- Das Projekt Deuframat.de
- Unterrichtspraxis
- Europa & Geschichtsunterricht
- Vorbemerkung
- Das geographische Europa
- Europa: doch kein Kontinent?
- Abgrenzungen
- Europas Grenzen im Geographieunterricht heute
- Die Einführung der „Kontinente“
- Der Name „Europa“
- Zur Abgrenzung des Kontinents
- Europa als „eigener Erdteil“
- Die Untergliederung Europas
- Europa im Plural
- Konsequenzen für Europa im Geographieunterricht
- Schluss
- Literatur
- Europa & Schule, Schule & Europa
- Europa denken lernen
- Deuframat im Unterricht
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"Geographen haben Glück", bescheinigte ihnen René Girault, wenn nach einer "vernünftigen Definition" von Europa gesucht werde. Ihr Europa sei "ein klar definierter Kontinent, ein Raum, der einfach zu erkennende ‘natürliche’ Grenzen" habe: "Sie reichen vom Atlantik bis zum Ural und Kaukasus" (1995: 55). Wolfgang Burgdorf, in München für die Frühe Neuzeit zuständig, weiß dagegen: "Auch ist Europa kein geographisch klar definierter Kontinent wie Australien oder Afrika. Jede Epoche definierte die Abgrenzung zu Asien neu. Oft standen verschiedene Konzeptionen gleichzeitig nebeneinander" (2004).
Beliebter Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des geographischen Europas war und ist die Antike [1] ; in ihr kam der Begriff der Erdteile auf. Doch weder setzte er sich damals zur Bezeichnung von Landmassen als terminus technicus durch, noch wurde die um 500 v.Chr. erfundene, "im Kern bis heute gültige" Dreiteilung der damals bekannten Welt in Europa, Asien und Libyen (Afrika) bis zum Ende der Antike allgemein anerkannt. Einen "allseits akzeptierten Standard in der Frage der Erdeinteilung" gab es ebenso wenig wie in der Frage der Begrenzung der Erdteile, die "immer wieder Gegenstand der Diskussion" (Zimmermann 1999: 120f.) war.
Eratosthenes [2] zeichnete vor 2200 Jahren eine Erdkarte, die drei Kontinente enthielt: Europa, Asien und Libyen (Afrika).
(Quelle: www.heliheyn.de/Maps/Intro.html)
Hartnäckig hält sich auch die Vorstellung, das antike Europa habe bereits eine programmatische, sei es politische oder kulturelle, Bedeutung besessen, doch beruhten solche Annahmen nach Girardet "größtenteils auf einer stark ideologiehaltigen Fehl- und Überinterpretation der antiken Quellen" (2001: 107). Nur eine kleine Minderheit, so Alexander Demandt, habe schon damals eine Vorstellung davon gehabt, "daß Europa ein ungewöhnlich begnadetes Land, der Europäer ein außerordentlich begabter Mensch" (1998: 148) sei, wobei diese Selbstgefälligkeit gelegentlich schon als Gegensatz zwischen Europa und Asien "ideologisch aufgeladen" (141) wurde.
Die länderkundliche Geographie hat diesen Ansatz im 19. Jahrhundert durch pauschale Be-wertungen der Kontinente ausgebaut. Die Notwendigkeit, einen als Einheit angenommenen kontinentalen Großraum zu beschreiben, führte dabei unweigerlich zu Übergeneralisierungen, während für einzelne Aspekte oder Teilräume innerhalb des Großraumes durchaus gegensätzliche Bewertungen möglich waren und vorkamen. Plump, ungegliedert, schwerfällig, dürftig, ärmlich, verkümmert, unvollkommen, unharmonisch, grotesk, schroff, fremdartig, misslungen, so lauteten (abgestuft) die Urteile über Afrika, Australien und Asien (vgl. Oppel 1884: 387, 529, 532, 605). Speziell Asien, noch bis Anfang des 18. Jahrhunderts in Europa als vornehmster Weltteil geführt (Osterhammel 1998: 52f.), wurde nun zunehmend abgewertet und als Kontinent der Stagnation und des Verfalls abgestempelt, der in die Barbarei zurückgefallen sei. Allein Amerika hatte als neues Europa Aufstiegschancen. Frühzeitig wurde vermutet, ja, befürchtet, dass es einst das alte Europa überholen werde (vgl. Schultz 1999: 7f., 46f.).
Welche Vorzüge besaß Europa aus länderkundlicher Sicht? Zunächst seine Lage in der Mitte der Landhalbkugel, dann seine durch große und kleine Halbinseln, Inseln, Binnenmeere, Buchten und enge Meeresstraßen ausgezeichnete Küstengliederung, ferner seine reiche Binnendifferenzierung, die ihm von allen Reliefformen etwas gab und Einseitigkeiten vermied, und die darauf gründende Existenz klar individualisierter ‘natürlicher Länder’, ganz besonders aber sein gemäßigtes und dennoch abwechslungsreiches Klima und schließlich seine geistig bewegliche Bevölkerung. Kontinent und Völker passten ideal zusammen. Damit war Europa für den Geographen zum Fortschritt durch Arbeit prädestiniert, da es weder Faulheit aufkommen lasse, wie die üppig wuchernden Tropen, noch alle Energie der Menschen für den Überlebenskampf absorbiere, wie die Länder des kalten Nordens. Er stähle den Körper, schule den Willen und sporne den Geist zu Innovationen an. Das berechtige Europa auch dazu, die anderen Kontinente kolonisierend aus ihrer Entwicklungsstarre zu erlösen. Die Europäisierung der Erde (inklusive Raubbau, Dezimierung oder Vernichtung von Völkern) bekam so ihre wissenschaftliche Beglaubigung.