- Unterschiedliche Kulturen und Aspekte des Kulturtransfers
- Kulturelle Strukturen im Vergleich: Baden-Württemberg und Rhône-Alpes
- Medien: Industriepolitik für den Standort Frankreich
- Einführung
- Die Titelseiten der beiden großen "überregionalen" Tageszeitungen: LE FIGARO und die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ)
- Die Zustellung im Gegensatz zum Straßenverkauf
- Strategien
- Die aktuelle gegenläufige Entwicklung
- Verlust von Inserenten, Neugewinn von Lesern?
- Die Leitmedien
- Die Boulevardpresse
- Die Boulevardpresse in Deutschland: Die BILD-Zeitung
- Die Boulevardpresse in Frankreich: AUJOURD'HUI EN FRANCE und FRANCE-SOIR
- Anhang: Sehr viel greller: Die Boulevardpresse in England
- Fazit
- Literatur
- Vom schönen Traum zum Alptraum? Eine innovative Betrachtung der Online-Version von Tageszeitungen und Magazinen
- ARTE - Fernsehen im interkulturellen Dialog
- Die Rolle des Fernsehens im deutsch-französischen Vergleich
'Der deutsche Föderalismus im Gegensatz zum französischen Zentralismus'
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Der deutsche Föderalismus im Gegensatz zum französischen Zentralismus
In diesem Teil der Untersuchung soll die Frage geklärt werden, ob die politische Struktur eines Landes die Medien, insbesondere die Printmedien, beeinflusst. Die politischen Systeme in Frankreich und Deutschland sind recht unterschiedlich: Im zentralisierten Frankreich dreht sich alles um die Hauptstadt Paris, während im föderalistischen Deutschland die Regionen mehr Macht haben. Schritt für Schritt werden wir feststellen, dass sich Struktur und Organisation der Presse analog zu den jeweiligen Staatsformen herausgebildet und etabliert haben.
Zur deutschen Tagespresse kann allgemein gesagt werden, dass die Auflagenhöhe der regionalen größer als die der deutschlandweiten Presse ist. Diese Vorliebe der Deutschen für die Regionalpresse zeigt sich auch in der bundesweiten Tagespresse. Betrachtet man die Namen der Zeitungen, liegt es auf der Hand, dass diese Tageszeitungen in ihrer Herkunftsregion gut verankert sind, obwohl es sich um "bundesweite" Zeitungen handelt (27). Es stellt sich die Frage, warum dies so ist. Die Antwort ist einfach: die bundesweite Tagespresse in Deutschland hat sich aus der regionalen Tagespresse entwickelt, einige Zeitungen sind über ihr gewöhnliches Verbreitungsgebiet hinausgewachsen. "Tatsächlich wurden sie eher durch ihr Renommee als durch ihren Umsatz zu nationalen Zeitungen" (28])
1945 entstanden in Frankfurt die FRANKFURTER RUNDSCHAU (FR) und in München die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Die FR konkurrierte mit der 1949 in Frankfurt gegründeten FAZ, welche die liberale Tradition der ehemaligen FRANKFURTER ZEITUNG wieder aufnahm. DAS HANDELSBLATT, 1946 in Düsseldorf gegründet, wurde von den Engländern favorisiert; 1949 wurde es zum "großen täglichen Börsenorgan Deutschlands" (29). DIE WELT wurde in Hamburg gegründet und war zunächst Organ der englischen Militärverwaltung, bis sie 1953 von Axel Springer aufgekauft wurde. Als letzte Zeitung der deutschen Tagespresse erschien 1979 zum ersten Mal in Berlin die TAGESZEITUNG (taz), die sich an eine linksgerichtete Leserschaft aus Sozialisten und Grünen richtet; es handelt sich um den Versuch einer "LIBÉRATION im deutschen Stil " (30). - Dieser "klassischen" Aufzählung überregionaler Zeitungen könnten vielleicht noch einige Blätter wie die BERLINER ZEITUNG, DER TAGESSPIEGEL (auch aus Berlin) und die STUTTGARTER ZEITUNG hinzugefügt werden, die Bemühungen unternommen haben, zumindest einen kleinen Teil ihrer Auflage in ganz Deutschland zu verkaufen oder neue Abonnenten zu gewinnen (31).
Es darf nicht vergessen werden, dass Deutschland seine Einheit erst 1871 erlangt hat und dass das Land keine "echte" Hauptstadt wie Paris, London oder Rom besitzt, weil es vorher aus vielen Kleinstaaten bestand. Dies ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum die Regionalpresse die bundesweite Presse übertrifft. Es versteht sich von selbst, dass es in Deutschland wenige "überregionale" Tageszeitungen gibt. Die einzige wirkliche bundesweite Tageszeitung ist die BILD ZEITUNG mit ihren 23 Lokalredaktionen, von der noch im vierten Teil die Rede sein wird.
Aufgrund des französischen Zentralismus sind aller Blätter der nationalen französischen Tagespresse stark in der Hauptstadt Paris verankert. Daher könnte man sich sogar die Frage stellen, ob es sich bei der nationalen Presse in Frankreich nicht vielmehr um eine Pariser Presse handelt. Tabelle 1 zeigt, wie unverhältnismäßig hoch die Verbreitung der nationalen Tagespresse im Großraum Paris ist (32).
Tableau 1: diffusion des quotidens
nationaux dans la région parisienne
Le Parisien | 75,24 % | ||
France-Soir | 62,14% | ||
Les Echos | 59,43 % | ||
L'Humanité | 59,00 % | ||
Libération | 53,66 % | ||
Le Figaro | 50,44 % | ||
Le Monde | 44,87 % | ||
L'Équipe | 40,01 % | ||
Paris-Turf | 26,99 % | ||
La Croix | 25,50 % |
Source: Quid 1992, p. 1138 c.:
On voit bien que La Croix et Paris-Turf constituent les seules
exceptions à la sur-représentation de la région parisienne.
Unter den nationalen französischen Tageszeitungen gibt es Zeitungen aller Sparten. Die besten Beispiele liefern die täglich erscheinende Sportzeitung L'EQUIPE, die Wirtschaftszeitungen LES ECHOS und LA TRIBUNE, die katholische Tageszeitung LA CROIX, journal catholique und L'HUMANITE, die früher das Organ der Kommunistischen Partei in Frankreich war und trotz ihrer Bemühung, sich als modernes Informationsblatt zu profilieren, in ihren Artikeln der französischen kommunistischen Partei verbunden bleibt. Diese Vielfalt erklärt sich aus der Dominanz der Meinungspresse seit dem 19. Jahrhundert bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Laufe des 20. Jahrhunderts arbeiteten die Zeitungen lange Zeit direkt mit einer politischen Partei zusammen, was zu der großen Anzahl von insgesamt 28 Blättern führte. Als Beispiel seien genannt: L'HUMANITÉ/ LE SOIR (Kommunisten), LE POPULAIRE/ FRANC TIREUR (Sozialisten) und L'AUBE (Mouvement Républicain Populaire, christdemokratische Tendenz).
Die einzige politisch gebundene Tageszeitung, die überlebt hat, ist L'HUMANITÉ - dank kräftiger Subventionen von der Kommunistischen Partei und auch von Seiten des Staates. Es gibt ein kleines, neues Blatt, das eine Ausnahme darstellt: Es handelt sich um PRÉSENT, eine Zeitung der extremen Rechten, die als einzige neue Meinungszeitung in der Gegenwart entstanden ist; sie wurde 1982 gegründet und 1989 zu einer Tageszeitung. PRÉSENT, die der Front national nahe steht, erhält keinerlei staatliche Unterstützung, profitiert wenig von Werbeanzeigen, zählt nicht zu den offiziellen Titeln der nationalen französischen Tageszeitungen und überlebt nur schwer.
Wie lässt sich der Niedergang der Meinungspresse erklären?
Er entstand durch das Abbröckeln der Ideale der Résistance, durch die Abnutzung der "Herrschaft der politischen Parteien" und durch die Schwächen der instabilen Regierungen der IV. Republik (33). Zudem lässt sich ein großes Desinteresse der Bevölkerung am politischen Leben feststellen, das verschiedenste Ursachen hat, die hier nicht erklärt werden müssen, sowie die starke Konkurrenz audiovisueller Medien und der Magazinpresse
Dieser "Tod" der Meinungspresse wird dennoch sozusagen "ausgeglichen". Es darf nicht vergessen werden, dass die französische Presse viel stärker von politischen Meinungen beeinflusst wird als beispielsweise die angloamerikanische Presse. In Frankreich unternimmt der Staat alles, um eine "Vielfalt" der Meinungen zu garantieren. Jedoch muss man sich die Frage stellen, ob die französische Presse die Meinungsvielfalt tatsächlich getreu widerspiegelt: Gibt es wirklich zahlreiche Ansichten? Will nicht vielmehr der Staat gegenüber dem Ausland als pluralistisch erscheinen (34)? Die große Mehrheit der französischen Bevölkerung denkt, dass die Journalisten den Einflüssen der Politik und des Geldes unterliegen, was ein großes Glaubwürdigkeitsproblem verursacht (35).
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Anmerkungen
(27) FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, FRANKFURTER RUNDSCHAU, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
(30) Alberti Koch 2000, 57 s. La TAZ va très mal surtout à cause de son opinion politique assez extrême, de son système de fonctionnement - tous les rédacteurs reçoivent le même salaire - et à cause de la concurrence de bien d'autres quotidiens régionaux à Berlin, région principale de distribution de la TAZ. Voir l'annexe 2 (Les quotidiens de Berlin) dans la contribution de Dippon/ Grosse dans: Ernst Ulrich Grosse et Ernst Seibold (directeurs, 2003): Presse française, presse allemande - Études comparatives. Paris (L'Harmattan), p. 151 - 192.
(32) Cf. Grosse/ Seibold 21996, 6.
(33) Cf. Grosse/ Seibold 1994, 17.
(34) Rappelons que la presse française est dépendante de l'Etat à cause des subventions qu'elle en reçoit.
(35) 14e baromètre annuel Télérama-La Croix-Sofres sur la confiance des Français dans les médias: La presse n'obtient que 50 points, 58% de la population française - pas plus - ont confiance en la presse écrite (sources: Stratégies Newsletter, 26/1/ 2000 et 24/1/ 2001, Libération, 26/1/ 2000,31).