- Unterschiedliche Kulturen und Aspekte des Kulturtransfers
- Kulturelle Strukturen im Vergleich: Baden-Württemberg und Rhône-Alpes
- Medien: Industriepolitik für den Standort Frankreich
- Einführung
- Die Titelseiten der beiden großen "überregionalen" Tageszeitungen: LE FIGARO und die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ)
- Die Zustellung im Gegensatz zum Straßenverkauf
- Strategien
- Der deutsche Föderalismus im Gegensatz zum französischen Zentralismus
- Die aktuelle gegenläufige Entwicklung
- Verlust von Inserenten, Neugewinn von Lesern?
- Die Leitmedien
- Die Boulevardpresse
- Die Boulevardpresse in Deutschland: Die BILD-Zeitung
- Die Boulevardpresse in Frankreich: AUJOURD'HUI EN FRANCE und FRANCE-SOIR
- Fazit
- Literatur
- Vom schönen Traum zum Alptraum? Eine innovative Betrachtung der Online-Version von Tageszeitungen und Magazinen
- ARTE - Fernsehen im interkulturellen Dialog
- Die Rolle des Fernsehens im deutsch-französischen Vergleich
'Anhang: Sehr viel greller: Die Boulevardpresse in England'
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Anhang: Sehr viel greller: Die Boulevardpresse in England
In Großbritannien gibt es eine riesige Zahl an Tageszeitungen, was daran liegt, dass viele Leser daran gewöhnt sind, regelmäßig zumindest eine Zeitung pro Tag zu lesen. In vielen Fällen handelt es sich dabei um ein populäres Massenblatt, das wie in Frankreich und in Deutschland im Straßenverkauf vertrieben wird, jedoch noch marktschreierischer, noch greller, noch sensationsgieriger und angriffslustiger als die französischen oder deutschen Boulevardzeitungen (vgl. Abb.10). Wie bereits deutlich wurde, beeinflussen die politischen Systeme die Presse. Dies gilt auch für Großbritannien. Sein politisches System besteht in einer wohl verankerten Demokratie. Die liberale Tradition ist seit Jahrhunderten anerkannt, staatliche Interventionen in die Wirtschaft - einschließlich der Medien - spielen so gut wie keine Rolle oder werden auf das strikte Minimum begrenzt. Es lässt sich also ein Unterschied zu den in Frankreich herrschenden Traditionen feststellen, die mehr oder weniger "Colbertistisch" sind, und zu der dort bestehenden wechselseitigen Abhängigkeit zwischen Staat und Wirtschaft. Die Presse erhält in Großbritannien keinerlei staatliche Subvention, sie ist völlig unabhängig. Daher müssen sich die Journalisten thematisch nicht beschränken: Sie betreiben regelrechte Kampagnen für oder gegen eine politische Entscheidung, ein Mitglied der Regierung, die Politik der "New Labour" usw. und nehmen auf diese Weise aktiv am politischen Leben des Landes tei (72). - Die Zustellung (im Übrigen ohne Abonnement) trägt ebenso dazu bei, die Leserbindung zu stärken; diese Vertriebsart ist in Großbritannien recht weit verbreitet (73).
Die Tageszeitungen der englischen Boulevardpresse sind nahezu alle nationale Zeitungen, was sich in Anbetracht der Bedeutung der Hauptstadt London von selbst versteht. Die größten populären Massenblätter sind THE SUN, DAILY STAR, DAILY MAIL, DAILY MIRROR und DAILY EXPRESS. THE SUN und DAILY MIRROR zählen zu den weltweit bekanntesten Zeitungen. THE SUN ist 1969 von Rupert Murdoch aufgekauft worden, seitdem hat die Zeitung ihre Umsatz- und Auflagenhöhe, die damals nur bei 800.000 Zeitungen lag (74), vervielfacht. Der 1903 gegründete DAILY MIRROR, ist von Sylvester Bolam, dem Verleger von 1948 bis 1953, wie folgt beschrieben worden:
"The Mirror is a sensational newspaper. We make no apology for that. We believe in the sensational presentation of news and views, especially important news and views... Sensationalism does not mean distorting the truth... It means big headlines, vigorous writing, simplifications into familiar everyday language, and the wide use of illustration by cartoon and photograph." (75) |
Diese Beschreibung des DAILY MIRROR gilt für alle populären Massenblätter Englands. Die Boulevardpresse ist sicher eines der mächtigsten Instrumente zur Kritik und Kontrolle der politischen Institutionen, obwohl sie nach dem Tod von Prinzessin Diana im Jahr 1997 (76) einen Teil ihrer Leserschaft eingebüßt hat.
Gegenüber der Boulevardpresse, die man als "tabloids" (Format) bezeichnet oder als "red tops" (Namen und Schlagzeilen auf der Titelseite sind oft rot unterlegt), rangieren die traditionellen großformatigen Zeitungen - "broadsheets", "quality papers" - in Großbritannien erst an zweiter Stelle. Aber ihre Auflage ist dennoch sehr viel höher als die der großen renommierten Zeitungen in Frankreich (LE MONDE, LE FIGARO) oder in Deutschland (SZ, FAZ, ...), siehe die Abbildungen 3, 4 und 5. THE DAILY TELEGRAPH verkauft über 900.000 Exemplare pro Tag und THE TIMES, die wie THE SUN in den Schoß des Presseimperiums News International von Murdoch gefallen ist, ist 1998 der Verkauf von über 700.000 Stück täglich gelungen und sie hält bis heute eine Auflage von über 600.000 (77).
Die Auflagenhöhen im Jahr 2003 (in Tausend Exemplaren) beliefen sich wie folgt:
- "Quality papers": Daily Telegraph 930; The Times 642; Financial Times 408; The Independent 168.
- "Tabloids": The Sun 3,578 (siehe Anmerkung 74); Daily Mail 2,440; Daily Mirror 2,070; Daily Express 940; Daily Star 835 (Roche 2003, S. 41).
Das sind fabelhafte Zahlen, von denen die französischen und deutschen Zeitungsverleger nur träumen können!
Die Sonntagesausgaben werden ebenfalls viel besser verkauft als in Frankreich und Deutschland und bieten eine viel größere politische Bandbreite (78).
Schließlich soll darauf hingewiesen werden, dass die Klassifikation der britischen Tageszeitungen in drei Gruppen langsam ebenso verbreitet ist, wie die bisher übliche Zweierklassifikation ("quality papers" vs. "popular papers"). Neben den "Tabloids" bilden Tageszeitungen, die seriöse Themen und fundierte Informationen anbieten, wie beispielsweise die DAILY MAIL den so genannten "mid market" (80).Dieses mittlere Niveau einer "populäre Presse mit Qualität " erinnert an die Ebene, die LE PARISIEN und seine nationale Ausgabe AUJOURD'HUI EN FRANCE anstreben.
Betrachtet man Abb. 10 ist auch bemerkenswert, dass eine gewisse Annäherung zwischen der Boulevardpresse und der seriösen Presse in Großbritannien stattfindet (81). Aufgrund der erbitterten Konkurrenz halten selbst die "quality papers" Sensationsthemen nicht für unter ihrer Würde, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, in diesem Fall die Affäre um Präsident Clinton und Frau Lewinsky. Allerdings ist ihre Sprache moderater als die der Massenblätter und ihre Schlagzeilen (Abb. 10) sind nicht derart "maßlos" und grell.
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Anmerkungen
(72) Un exemple: La campagne menée par le DAILY MIRROR à l'aide d'une liste de signatures renouvelée chaque jour contre la décision du premier ministre Tony Blair pour son ralliement au gouvernement américain du président Bush (guerre contre l'Irak). Voir la TAZ du 23/1/2003, 18.
(73) "Les deux tiers des détaillants offrent le portage à domicile, par 300.000 livreurs, surtout des adolescents. Environ un quart des nationaux sont livrés et un tiers des provinciaux" (Bertrand 1998, 50). Voir à ce propos aussi la partie 4 de la contribution de Dippon/ Grosse dans: Ernst Ulrich Grosse et Ernst Seibold (directeurs, 2003): Presse française, presse allemande - Études comparatives. Paris (L'Harmattan), p. 165 - 172.
(74) Dans la période décembre 1994 à mars 1995, THE SUN a vendu plus de 4 millions d'exemplaires par jour. Depuis, sa diffusion montre une tendance dégressive: p. ex., 3.709.090 exemplaires de décembre 1997 à mai 1998 (Roche 1998, 19), 3.675.286 de juillet à décembre 1998 (Thérin 1999, 52).
(75) Schmitz 1973, 19. - Traduction: "THE MIRROR est un journal au goût sensationnel. Nous ne demandons pas pardon pour cela. Nous croyons en la présentation sensationnelle des informations et des points de vue, surtout des informations et des points de vue importants... Le sensationnalisme ne veut pas dire qu'on fasse une entorse à la vérité... il signifie qu'on publie des titres énormes, que l'on emploie un style vigoureux, des simplifications qui vont vers la langue familière et un usage très large de la visualisation par les caricatures et les photographies."
(76) "La controverse sur le rôle des paparazzis dans la mort de Diana a provoqué de surcroît un véritable haut-de-cœur, une sorte de nausée nationale contre les excès du "journalisme de chéquier" auquel cette presse est associée" (Roche 1998, 19). Quant aux autres raisons plutôt structurelles de la baisse de la diffusion des tabloïds britanniques, cf. Roche 1998 et Thérin 1999. Seul le DAILY MAIL, bourré d'informations pratiques, est en hausse depuis plusieurs années. " Cette performance est due principalement à son choix de séduire la classe moyenne en traitant des sujets plus sérieux et moins graveleux" (Thérin 1999, 52). Grâce à cette stratégie, le DAILY MAIL est parvenu à une diffusion 1998 de 2,3 millions d'exemplaires, faisant concurrence au DAILY MIRROR pour la seconde place, THE SUN étant en pole position.
(77) Détails: Roche 1998, 19 et Thérin 1999, 52. - Activités de Murdoch dans la presse britannique: Bertrand 1998,22-24,50 et 97, Le Monde, 17/1/2003,20.
(78) Bertrand 1998, 52; Roche 2002, 19; Roche 2003, 21.
(79) Zeitung zum Sonntag, 20/9/1998, 43.
(80) Voir à ce propos la caractérisation du DAILY MAIL effectuée par le Guide de la Presse 2002, 365.