French
German
 
Seite zur Sammlung hinzufügen
'Die deutsche Einheit'
 
1 Seite(n) in der Sammlung
 
 
 
 
 

Die deutsche Einheit

Als die deutsche Einheit 1870/71 zu Stande kam, waren gerade vier Jahre vergangen, seitdem die Deutschen 1866 untereinander Krieg geführt hatten und sich südlich der Mainlinie nicht unerhebliche Ressentiments gegen Preußen aufstauten. Dass Deutschland nun gerade unter preußischer Vorherrschaft geeinigt wurde, unterstreicht die mobilisierende Wirkung des Krieges gegen Frankreich, der aus der Sicht der Zeitgenossen die einmalige Chance bot, den historischen Gegner der Einheit niederzuwerfen. In der Kriegslyrik wie in den Satireblättern wurde die Niederlage Frankreichs und die Einheit Deutschlands als zwei Seiten der gleichen Medaille besungen (Dok. 13 [1] ). Dabei wurden Napoleon und das französische Volk mit Hohn und Spott, aber auch mit Hass und Feindseligkeit überzogen.

links: (Kladderadatsch, Nr. 37, 14. August 1870)
mitte: (Kladderadatsch, Nr. 41, 4. September 1870)
rechts: (Kladderadatsch, Nr. 58, 18. Dezember 1870)

Die eigentliche Reichsgründung war das Ergebnis von Verhandlungen, die Bismarck im Oktober und November 1870 mit Vertretern der süddeutschen Staaten führte. Baden und Hessen-Darmstadt nahmen die Verfassung des Norddeutschen Bundes unverändert an. Schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen mit Württemberg und Bayern. Ihnen musste Bismarck erhebliche Zugeständnisse in Form von Sonderrechten machen. Diese sogenannten "Reservatsrechte" sicherten eigene Post- und Eisenbahnverwaltungen und Bayern außerdem die Militärhoheit in Friedenszeiten. Bundesrat und Reichstag des Norddeutschen Bundes nahmen die Verträge mit den süddeutschen Staaten und die Verfassungsänderungen [2] Anfang Dezember 1870 an. Unterdessen hatte Bismarck viel Mühe und Geld darauf verwendet, den bayerischen König Ludwig II [3] davon zu überzeugen, dass der preußische König künftig den Titel "deutscher Kaiser" tragen und dass Ludwig diesem die Übernahme der neuen Würde vorschlagen solle, und zwar vor möglichen Initiativen der Volksvertreter (Dok. 14 [4] ). Wilhelm I. stand dem Kaisertitel äußerst reserviert gegenüber, weil er eine Schmälerung der preußischen Königswürde fürchtete. Sein Wunsch, "Kaiser von Deutschland" zu heißen, lehnte Bismarck ab, weil daraus territoriale Herrschaftsansprüche abzuleiten gewesen wären, die mit der Souveränität der Einzelstaaten nicht vereinbar waren.

In der letzten Sitzung des Reichstags des Norddeutschen Bundes verabschiedeten die Abgeordneten mit nur sechs Gegenstimmen einen Antrag, der Wilhelm um Annahme der Kaiserkrone bat, um damit das Einigungswerk zu weihen. An der Spitze der Abgeordneten, der Kaiserdeputation, die Wilhelm am 18. Dezember 1870 in Versailles empfing, stand Eduard Simson. Er hatte bereits 1849 als Präsident der Nationalversammlung dem damaligen preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserwürde angetragen. Damals lehnte der Monarch es ab, eine Krone aus den Händen von Volksvertretern anzunehmen, da ihr der Geruch der Revolution und der Volkssouveränität anhafte. 1870 waren die Verhältnisse andere. Bereits am 2. Dezember war der Brief des bayerischen Königs eingegangen (Dok. 15 [5] ), in dem Wilhelm von seinen Standesgenossen die Kaiserwürde angetragen wurde. Da der Monarch diese Bitte angenommen hatte, bejahte er auch den Wunsch der Abgeordneten (Dok. 16 [6] ). Das deutsche Kaisertum entsprach - das offenbart die Kaiserdeputation - durchaus dem Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, aber die eigentlichen Entscheidungen waren nicht im Parlament gefallen, wie die reaktionäre Kreuzzeitung ebenso zutreffend wie befriedigt feststellte (Dok. 17 [7] ). Der journalistische Kommentar machte die Bismarcksche Reichsgründung zu einer historischen Revanche gegenüber dem demokratisch legitimierten Verfassungswerk der Frankfurter Nationalversammlung - und beschrieb damit ziemlich genau die historischen Vorgänge (Dok. 18 [8] ).

Die am 1. Januar 1871 offiziell in Kraft getretenen Verträge wurden am 18. Januar durch die Kaiserproklamation im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles [9] vollzogen. Bei der Zeremonie waren die Prinzen der deutschen Herrscherhäuser und die führenden deutschen Militärs anwesend, aber keine deutschen Parlamentarier. Die Feier ist in einem Gemälde von Anton von Werner festgehalten worden, das die Proklamation des deutschen Kaisers zugleich in eine Messe für Otto von Bismarck verwandelt und zu der Ikone der Reichsgründung geworden ist.

Das von Anton von Werner gemalte Bild ist keine authentische Darstellung der Kaiserproklamation, sondern eine Hommage an Otto von Bismarck. Das Original befindet sich heute im Bismarck-Museum in Friedrichsruh.

Die Erklärung, die Kaiser Wilhelm abgab, betonte die monarchische Grundlage des neuen Staates. Sie schrieb die von Frankreich ausgehende Bedrohung in die Zukunft fort, drückte aber gleichzeitig die Hoffnung auf Frieden und allgemeine Wohlfahrt aus (Dok. 19 [10] ). Für die Zeitgenossen war das kein Widerspruch. Auch der Berliner Oberbürgermeister äußerte sich in diesem Sinn, als er im Juni die heimkehrenden Truppen in der Hauptstadt begrüßte (Dok. 20 [11] ). Frankreich galt als Unruhestifter, dem gegenüber das neue Deutsche Reich als ein Hort des Friedens erschien.