- Die Sicht des jeweils Anderen: das Eigene und das Fremde
- Einleitung
- Der Weg in den Krieg
- Der Krieg
- Der Krieg gegen das französische Kaiserreich
- Der Sturz des französischen Kaiserreichs
- Der Krieg gegen die französische Republik
- Die deutsche Einheit
- Wahrnehmungen und Deutungen
- Der Erste Weltkrieg
- Der Erste Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis der Deutschen und der Franzosen
- Der Friedensvertrag von Versailles. Eine Bilanz
- Frankreich und Deutschland im Zweitem Weltkrieg
- Französische Zwangsarbeiter in Deutschland 1940-45
- 1945 - 1963: Deutsche und Franzosen - Von der "Erbfeindschaft" zur Partnerschaft
- Deutsch-französische Beziehungen 1945-2000
- Vierzig Jahre Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR
- Vive la République! Marianne als deutsch-demokratischer Mythos im Satiremagazin Eulenspiegel
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Der Weg aus dem Krieg
Fast zeitgleich mit den ersten deutschen Siegen im August 1870 wurden in Deutschland Stimmen laut, die verlangten, Frankreich müsse das Elsass und Lothringen abtreten. Diese Gebiete hatten bis zum 17. Jahrhundert zum damaligen Heiligen Römischen Reich gehört. Nach 1648 fielen sie an Frankreich. Seit der Französischen Revolution von 1789 fühlten sich die Bewohner als Franzosen. Sie blieben aber dem deutschen Sprach- und Kulturkreis verbunden (siehe den Beitrag von A. Pletsch: Grenzregionen [1] ). Ein weiteres Argument für die Annexion - neben den historisch-kulturellen Referenzen - lieferte die Art und Weise, wie der Kriegsausbruch in Deutschland empfunden wurde, und die daraus hervorgehende Überzeugung von der französischen Unversöhnlichkeit. So war die Forderung nach sicheren Grenzen für die deutschen Zeitgenossen besonders plausibel. Von daher erklärt sich das plötzliche und fast einhellige Verlangen nach der Abtretung von Elsass und Lothringen. Die Meinung der Elsässer und Lothringer spielte dabei keine Rolle. Die heute als drastisch empfundenen Formulierungen des Historikers Heinrich von Treitschke spiegeln die vorherrschende Meinung in Deutschland gut wieder (Dok. 21 [2] ).
Auch Bismarck hatte zu Beginn des Krieges Überlegungen zu territorialen Veränderungen angestellt und ließ sich dabei ebenfalls von der Überzeugung der französischen Unversöhnlichkeit leiten. Seit Ende August legte Bismarck seine Diplomaten auf diese Position fest (Dok. 22 [3] ). Fast zeitgleich schloss die neue französische Regierung durch die Erklärung vom 6. September (Dok. 6 [4] ) jede territoriale Veränderung kategorisch aus.
Das zentrale Problem der Kriegsbeendigung, das den weiteren Verlauf der Ereignisse bestimmen sollte, wird hier greifbar und macht die veränderte Natur des Krieges deutlich. Trotz der eindeutigen militärischen Niederlagen gab sich Frankreich nicht geschlagen. Um den Krieg zu beenden, genügte es nicht mehr, wie in den traditionellen Kabinettskriegen eine Armee zu besiegen, sondern ein Land musste seine Niederlage eingestehen.
Auf französischer Seite war man im September aber noch weit davon entfernt, den Krieg verloren zu geben. Die Regierung der nationalen Verteidigung war beseelt von der Idee einer neuen "levée en masse" und ging in Anbetracht der deutschen territorialen Forderungen von dem Grundsatz aus: "vaincre ou mourir". Daher scheiterten Waffenstillstandsverhandlungen, die Bismarck im September mit Jules Favre und im November mit Adolphe Thiers führte. Bismarck war aber an einer baldigen Beendigung des Krieges interessiert, denn die neutralen Großmächte konnten den Krieg zum Gegenstand eines europäischen Kongresses machen und Lösungen vermitteln, die nicht im preußischen Interesse lagen. Die preußischen Militärs plädierten dagegen für eine Fortsetzung des Krieges bis zur vollständigen Vernichtung des Feindes. Moltke sprach von "Exterminationskrieg" (Dok. 23 [5] ). Gambetta rief angesichts der feindlichen Invasion zur "résistance à outrance" auf (Dok. 24 [6] ).
Der Gefahr, dass der Krieg eskalieren und auf unabsehbare Zeit andauern werde, versuchte Bismarck durch eine entschiedene Verschärfung der Kriegsführung, u.a. auch durch die Beschießung von Paris zu begegnen und die französische Regierung auf diese Weise zum Frieden zu zwingen. (Dok. 25 [7] ). Anfang Januar 1871 begann die Beschießung der französischen Hauptstadt. Als Mitte Januar die neu aufgestellten Armeen der provisorischen Regierung erneut geschlagen worden waren, bat Außenminister Favre um Waffenstillstandsgespräche, auf die Bismarck sofort einging. Nach mehreren Gesprächsrunden wurde am 26. Januar ein Waffenstillstand unterzeichnet, der die Kapitulation von Paris und für den 8. Februar freie Wahlen zu einer konstituierenden Nationalversammlung vorsah, die dann über den definitiven Friedensschluss und über die Frankreich zu gebende Regierungsform entscheiden sollte.
Während die republikanischen Kräfte den Waffenstillstand nur als Atempause verstanden, um den Krieg weiter führen zu können (Dok. 26 [8] ), traten die monarchistischen Kräfte für eine Beendigung des Krieges auch unter Annahme der deutschen Bedingungen ein. Letztere gingen als eindeutige Sieger aus der Wahl hervor. Nachwahlen Anfang Juli, als von 114 neu zu besetzenden Sitzen 99 von Republikanern gewonnen wurden, machen deutlich, dass es sich im Februar in erster Linie um eine Friedenswahl handelte - nicht um eine Entscheidung zwischen Republik und Monarchie.
Die Nationalversammlung trat in Bordeaux zusammen und wählte am 17. Februar Thiers zum "chef du pouvoir exécutif de la République française". Über das politische System war damit aber noch nicht entschieden. Die Aufgaben der Nationalversammlung und der Regierung Thiers beschränkten sich nämlich auf die Abwicklung des Krieges und die materielle Reorganisation des Landes. Erst danach sollte eine Entscheidung über die Staatsform getroffen werden. Die Frage wurde endgültig erst 1877, nach langen Auseinandersetzungen, zugunsten der Republik entschieden.
Am Tag, an dem Thiers in sein Amt gewählt wurde, protestierten die elsässischen Abgeordneten feierlich gegen die Annexion ihrer Heimat durch das Deutsche Reich (Dok. 27 [9] ). Die neue Regierung, in der Favre wieder Außenminister war, nahm sofort Verhandlungen mit Bismarck auf. Deutsche Darstellungen betonten und glorifizierten seine entschlossene Verhandlungsführung, so dass die französischen Gesprächspartner nicht als gleichwertig erschienen. Nach dem Abschluss eines Präliminarfriedens begannen im Frühjahr die Gespräche über einen endgültigen Friedensvertrag, der am 10. Mai 1871 in Frankfurt unterzeichnet wurde. Er bestimmte, dass das Elsass und das deutschsprachige Lothringen einschließlich der Festung Metz dem Deutschen Reich angegliedert werden und Frankreich eine Kriegsentschädigung von 5 Milliarden Franc zu entrichten habe. Als Sicherheit besetzten deutsche Truppen große Gebiete im Norden und Osten Frankreichs, aus denen sie sich in dem Maße, wie die französischen Zahlungen erfolgten, zurückziehen sollten. Der Krieg war damit beendet.