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'Leibniz und Tozen'
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Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) - selbst als Verfasser europäischer Einigungspläne bekannt - empörte sich unmittelbar nach dem Erscheinen des Entwurfes [des Abbé de Saint-Pierre] in Briefen an die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans bzw. von der Pfalz, der Gönnerin St. Pierres, dass durch dessen "Ewigen Freiden" das "Band des Römischen Reiches zertrümmert" und große Gebiete vom Reich abgerissen würden, weshalb der Kaiser diesem Projekt niemals zustimmen könne. Das Reich, so schlug Leibniz vor, solle mit seiner jetzigen Verfassung in die "Europäische Vereinigung" eintreten und von dieser wie im Westfälischen Frieden garantiert werden.
Die bis dahin umfassendste Auseinandersetzung mit der Idee der europäischen Einigung erfolgte vier Jahre nach dem Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges 1752 durch den Mecklenburger Historiker und Staatsrechtler Eobald Tozen (1715-1789), der die erste Anthologie europäischer Friedensprojekte veröffentlichte und die einzelnen Konzepte mit ausführlicher Kritik bedachte. [...] Tozen (...) hielt eine europäische Einigung angesichts der vielen Monarchien in Europa für unmöglich, da Monarchien nach seiner Ansicht stets nach Machtvergrößerung strebten und sich niemals die Möglichkeiten dazu entwinden lassen würden. Republiken hingegen seien primär an der Freiheit des Handels interessiert, die wiederum Frieden voraussetze. [...] Tozens Kritik richtete sich vorrangig gegen den Verlust von Unabhängigkeit und Souveränität. Es erschien ihm unmöglich, die Handlungsfreiheit der Souveräne durch einen europäischen Rat oder Gerichtshof zu beschneiden, da er insbesondere das Recht auf Selbsterhaltung für unveräußerlich hielt. Darüber hinaus glaubte er nicht, dass man eine gesetzliche Grundlage für die Rechtssprechung eines Bundesgerichtes finden könne, da das Natur- und Völkerrecht auf Grund der verschiedenen Interpretationen unsicher und ungenügend sei. Dass der Bund selbst neues Recht schöpfe, wie einige Autoren vorgeschlagen hatten, hielt er angesichts der widerstreitenden Staatsinteressen in einem angemessenen Zeitraum für wenig erfolgversprechend. Tozen versammelte also bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts jene Argumente, die auch noch am Ende des 20. Jahrhunderts, als die Vereinten Nationen die Errichtung eines ständigen Gerichtshofs zur Aburteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord in Angriff nahmen, gegen diese Absicht angeführt wurden. [...] Voller Argwohn gegen möglicherweise unkontrollierbare gesamteuropäische Institutionen resümierte Tozen: Man würde in der Christlichen Republik "vielleicht mehrere Ungemächlichkeiten, als in dem gegenwärtigen Zustande Europas, welchen man die Staatsverfassung des Gleichgewichts nennt, antreffen. Ja vielleicht ist derselbe nicht so böse, als er von denen, die ihn durch die Errichtung der Christlichen Republik verbessern wollen, ausgeschrien wird."
Text: Wolfgang Burgdorf: "Chimäre Europa". Antieuropäische Diskurse in Deutschland (1648-1999), Bochum 1999, S. 52; 57-59 (mit freundlicher Genehmigung des Dr. Winkler-Verlages Bochum)