- Politische Struktur, Zentralismus, Dezentralisierung
- Die Saarfrage in historischer Perspektive
- Grenzraum Saar-Lor-Lux - eine Modellregion für Europa?
- Wirtschaftsbeziehungen im saarländisch-lothringischen Grenzraum
- Vorbemerkung
- Grenzland seit römischer Zeit
- Alamannen und Franken: Bezwinger der Römer
- Die "Fränkischen Teilungen" und ihre Folgen
- Ständige Grenzverlagerungen seit dem Absolutismus
- Der deutsch-französische Streit um Elsass-Lothringen
- Regionalsprachen in Frankreich
- Die elsässische Sprache als Identitätsmerkmal
- Das Deutschlandbild in Frankreich
- Das Frankreichbild in Deutschland
- Deutsch-französische Beziehungen und Kontakte
- Hypotheken für die europäische Einigung?
- Grenzüberschreitende Kooperation im Oberrheingebiet
- Arbeitsbeziehungen und Grenzgängertum
- Kulturelle Kooperation: einige Beispiele
- Fazit: Neue regionale Identitäten in einem neuen Europa?
- Quellen
- Deutsche Zuzügler im südlichen Elsass - Probleme der Europäisierung des Immobilenmarktes
- Kapitalverflechtungen im europäischen Integrationsprozess, dargestellt am Beispiel der elsässischen Oberrheinregion
- Energie und Umwelt in Frankreich und Deutschland
- Regionale Beispiele
- Paris & Berlin - Hauptstadtporträts
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Unternehmens- und Kapitalverflechtung
Natürlich interessiert die Frage, welche konkreten wirtschaftlichen und kulturellen Kooperationsformen sich im Rahmen der neuen Netzwerke in der Oberrheinregion nun tatsächlich herausgebildet haben. Dies sei an einigen Aspekten aufgezeigt, die rasch die unterschiedliche Dimension für die Partner auf beiden Seiten des Rheins erkennen lassen. Die Unternehmens- und Kapitalverflechtungen der deutschen Unternehmen im Elsass und der französischen Unternehmen im deutschen Oberrheingebiet unterscheiden sich z.B. sowohl in der Struktur und Zahl der Unternehmen als auch in ihren Verflechtungen und Auswirkungen sehr deutlich. Nicht in jedem Falle sind dabei die Synergieeffekte, die sich aufgrund der Mobilität der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital in Form von Grenzgängertum und Direktinvestitionen ergeben, exakt messbar - und mit Sicherheit sind sie nicht uneingeschränkt positiv!
Im Zeitraum von 1955 bis 1980 haben sich 210 deutsche Unternehmen im Elsass niedergelassen, davon waren 135 industrielle Produktionsbetriebe und 75 Ansiedlungen aus dem Bereich Handel und Dienstleistungen. Fast die Hälfte der Unternehmen stammte aus dem benachbarten Bundesland Baden-Württemberg (48,6%), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (15,7%) und Bayern (13,3 %) (BÖRKIRCHER/ TIEDTKE, 1981, S. 2).
Erste Unternehmensgründungen deutscher Firmen im Elsass fanden bereits in den 1950er Jahren statt. Auffällig ist dabei, dass sie zur damaligen Zeit in Bereichen investierten, die im Elsass rückläufig waren (z. B. Textil & Bekleidung, Holz & Möbel, Bergbau u.a.). Entscheidend für diese Investitionen waren offensichtlich u.a. die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, die billigeren Löhne und die geringeren Lohnnebenkosten. Dies erklärt umgekehrt auch die vergleichsweise geringen Investitionen elsässischer Unternehmen im badischen oder schweizerischen Nachbargebiet im Zeitraum bis 1975.
Durch Auslandsinvestition geschaffene Arbeitsplätze im Elsass
und Baden im Vergleich (Zeitraum 1955 - 1974)
Herkunft | Baden | Elsass |
Frankreich | 6.405 | nicht erfasst |
BRD | nicht erfasst | 14.098 |
USA | 10.040 | 5.016 |
Schweiz | 18.235 | 3.234 |
Industriebeschäftigte gesamt | 255.175 | 256.870 |
Quelle: in Anlehnung an Marandon, 1977
Die zentrale Lage und die vielfältige Verkehrsverbindungen nach Deutschland, in die Schweiz, nach Norditalien und Frankreich waren zu jener Zeit bereits wichtige Standortfaktoren. Hinzu kamen die Markt- und Kundennähe in einem insgesamt dichtbesiedelten Raum, die bei Standortentscheidungen der Industrieunternehmen offensichtlich hohe Priorität genossen. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Verfügbarkeit von Gewerbeflächen, die zudem meist noch deutlich günstiger angeboten wurden als im benachbarten Deutschland. Offensichtlich weniger bedeutsam waren zumindest in dieser Phase die Lohnkosten, und letztlich unbedeutend waren für die Unternehmen Fragen der Wechselkursvorteile oder der Umweltgesetzgebung und des Planungsrechts. (BÖRKIRCHER/ TIEDTKE, 1981, S. 4/5).
Investitionsmotive für ausländische Produktionsunternehmen im Elsass in % (Phase 1955 - 1980)
Kriterium | Sehr wichtig | Wichtig | Unwichtig |
Marktnähe | 71 | 22 | 7 |
Kundennähe | 57 | 26 | 17 |
Günstiges Gelände | 56 | 23 | 21 |
Billige Arbeitskräfte | 37 | 51 | 12 |
Wettbewerbsvorteil | 33 | 47 | 20 |
Geringe Personalkosten | 22 | 53 | 25 |
Grundstückspreise | 37 | 39 | 34 |
Vertrieb/Transportkost. | 26 | 32 | 42 |
Wechselkursvorteile | 4 | 33 | 63 |
Umweltfragen | 3 | 20 | 77 |
Quelle: verändert nach BÖRKIRCHER/ TIEDTKE , 1981, S. 4
Die Investitionsbereitschaft elsässischer Unternehmen auf deutscher Seite war im Vergleich hierzu gering. Bis 1974 hatten sich auf badischer Seite lediglich sieben französische Unternehmen mit 6.405 Beschäftigten angesiedelt (MARANDON, 1977, S. 187). Im gesamten Bundesgebiet waren Ende der 1970er Jahre ca. 800 französische Unternehmen beheimatet (BÖRKIRCHER/ TIEDTKE (1981),S. 1). Im badischen Raum haben sich als Schwerpunkte französischer Industrieansiedlungen der Raum Karlsruhe, Baden-Baden, Freiburg und Lörrach herauskristallisiert, wobei Karlsruhe (hier gibt es bereits seit 1906 einen Zweigbetrieb der Michelin Reifenwerke) und Lörrach über die ältesten Ansiedlungen verfügen.
Seit Beginn der 1980er Jahre erfolgte eine effektivere Koordination und Operationalisierung der Investitionstätigkeit durch die verstärkte politische und institutionelle Kooperation. Von besonderer Bedeutung waren hierbei die seit 1988 regelmäßig durchgeführten Dreiländerkongresse, durch die zahlreiche Impulse für die soziale, politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgelöst wurden. Auch die bereits erwähnten Fördermaßnahmen im Rahmen der INTERREG [1] -Programme wirkten sich hier positiv aus. Schließlich verstärkten sich in den 1990er Jahren auf nationaler Ebene auch die sogenannten "Elefantenhochzeiten", d.h. die Fusionierung großer Wirtschaftsunternehmen und Konzerne, die ganz allgemein ein Kennzeichen der Globalisierung der weltweiten Wirtschaftsstrukturen zu Beginn des dritten Millenniums geworden sind. Die fusionierten Unternehmen haben meist zwei Hauptsitze, so dass sich Ungleichgewichte der Zusammenarbeit häufig ausschließlich auf die direkte Kapitalverflechtung (Anteile) beschränken.
"Elefantenhochzeiten" deutscher und französischer Unternehmen
in den 1990er Jahren
Sektor | Deutsche Unternehmen | Französische Unternehmen | Name | Typ | Umsatz Mia. Euro |
Nuklear | Siemens | Framatome | Fusion | 3,1 | |
Pharma | Hoechst | Rhône-Poulenc | Aventis | Fusion | 18,4 |
Luft- und Raumfahrt | DASA | Aerospatiale Matra | Fusion | 19,8 | |
Energie | EnBW | EDF | EADS | Beteiligung | 4,0 |
Eisenbahn | Deutsche Bahn | SNCF | Kooperation | - | |
Telekom | Mannesmann | Vivendi (Vodafone) | Vodafone | Übernahme | - |
Multimedia | Deutsche Telekom | Lagardère | Club Internet | Übernahme | - |
Börse | Deutsche Börse | Kooperation | - |
Internet-Quelle
Auch im Oberrheingebiet hat in den letzten Jahren eine Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation stattgefunden. Auffällig ist dabei jedoch nach wie vor das Übergewicht badischer Unternehmensgründungen im Elsass, während elsässische Unternehmen in Baden-Württemberg eher zurückhaltend investieren. Zu Beginn der 1990er Jahre kamen 70% aller ausländischen Investitionen im Elsass von deutschen und schweizerischen Unternehmen (Chassignet, 1996, S. 209), während im gleichen Zeitraum Investitionen aus anderen Regionen Frankreichs im Elsass relativ unbedeutend waren. Auffallend ist hierbei die eindeutige Dominanz von Industrieunternehmen (Produktionsbetriebe), wohingegen nur wenige deutsche Dienstleistungsbetriebe im Elsass investieren. Wie stark die Wirtschaftsverflechtungen zwischen dem Elsass und Deutschland heute sind zeigt sich u.a. darin, dass 61,5 % der elsässischen Importe aus Deutschland kommen und dass im Gegenzug 53,2% der elsässischen Exporte nach Deutschland (gemessen an Außenhandelsbeziehungen mit EU-Ländern) gehen. (Kleinschmager, 1999, S. 117).
Einen deutlichen Bedeutungszuwachs haben in den letzten Jahren neben den deutschen und schweizerischen Großunternehmen auch multinationale Ansiedlungen aus den USA und Großbritannien erfahren. Zu Beginn der 1990er Jahre kamen erste Betriebsgründungen japanischer Unternehmen hinzu.
Herkunft ausländischer Grossunternehmen im Elsass 1996
Herkunftsland | Betriebe | Beschäftigte | |
---|---|---|---|
Schweiz | 45 | 6.592 | |
Deutschland | 28 | 5.892 | |
USA | 16 | 5.412 | |
Großbritannien | 10 | 2.513 | |
Japan | 4 | 2.264 | |
Italien | 2 | 473 | |
Skandinavien | 1 | 125 | |
Niederlande | 1 | 51 | |
Gesamt | 107 | 23.322 |
|
Quelle: Mohr, B. (2000): Das Elsass - grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein. In: Geographie heute, 21. S. 38.
Auch im Branchenspektrum ergaben sich Veränderungen. Während in der Anfangsphase der Kooperation im Oberrheingebiet Betriebe der "traditionellen" Industriezweige (Textil, Bekleidung, Holz etc.) vorherrschten, sind in der jüngeren Entwicklung innovative Technologien stärker vertreten. Beispielhaft sei auf das Projekt Bio-Valley [2] hingewiesen, das federführend vom Chemiekonzern Novadis (Fusion zwischen Ciba und Sandoz 1996) initiiert wurde und das im Rahmen des Innovationsprogramms INTERREG eine Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur einerseits und eine Innovationsförderung andererseits verkörpert. In diesem Kontext setzt man in der Oberrheinregion große Erwartungen in die Zukunft und hofft, eine führende europäische Biotechnologie-Region [3] zu werden. Zur Zeit wird die Effektivität dieses Vorhabens jedoch aufgrund nach wie vor bestehender politisch-administrativer Hemmnisse in Frage gestellt (Rausch, 2000, S. 183 ff.).
Im Gegensatz zu der zunehmenden Investitionsbereitschaft ausländischer Unternehmen im Elsass ist die Neigung elsässischer Unternehmen zu Verlagerungen (oder Filialisierungen) im benachbarten Ausland vergleichsweise gering. Zu Beginn des Jahres 2001 hatten von 6.435 Wirtschaftsunternehmen des Elsass nur 113 ein oder mehrere Zweigbetriebe im Ausland (Gesamtzahl 260). Hinsichtlich des Branchenspektrums dieser Betriebe dominierte der Bereich des Groß- und Einzelhandels (173), gefolgt von Industrie- und Baugewerbe (50) und sonstigen (37). Hinsichtlich der regionalen Verteilung ist eine breite Streuung erkennbar, wobei auf die Euro-Zone zusammengenommen rund 43,5 % entfallen. Eine Präferenz dieser Betriebe für die benachbarte badische Region ist nicht erkennbar. Im einzelnen waren sie angesiedelt (nach Banque de France 2001):
Osteuropäische Länder | 29 |
Deutschland | 52 |
Sonstige europäische Länder | 118 |
USA-Kanada | 22 |
Asien | 21 |
Afrika | 16 |
Lateinamerika | 2 |
Dass die Frage der Firmenfusionen bzw. anderer Kooperationsformen gelegentlich auch Problemen gegenübersteht, ist naheliegend. Auch wenn aus der jüngeren Entwicklung eine hohe Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen im Elsass (und in Frankreich allgemein) zu beobachten ist, so gibt es doch immer wieder auch Zurückhaltung. Nach einer Darstellung in der Tageszeitung Le Figaro vom 02.04.2001 sind dafür unter anderem unterschiedliche Grundverständnisse hinsichtlich der Systeme und der Ausrichtung von Unternehmen verantwortlich. Gelegentlich sei auch "Misstrauen" gegenüber dem Partner im Spiel: "Les Allemands jugent les Français ‚pas sérieux' ou ‚chaotiques'."
Dass hierdurch im Rahmen der Globalisierung das Elsass an Attraktivität verlieren könnte, wird vor allem in den letzten Jahren mit einer gewissen Nervosität konstatiert. Auch wenn in der breiten Bevölkerung eine allzu starken Überfremdung der elsässischen Wirtschaft kritisch gesehen wird, so registrieren die Akteure der Wirtschaft und der Politik doch jedes Nachlassen der Investitionsbereitschaft mit einer gewissen Sorge.