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Einleitung

Der Bereich der Stahlindustrie ist ein symbolischer Sektor der Krise geworden. Die bloße Nennung des Begriffs der Eisen- und Stahlindustrie ist heute gleichbedeutend mit den finanziellen und menschlichen Problemen altindustrieller Reviere, obwohl eigentlich die Krise der Kohle bereits vorausgegangen ist und erhebliche Verluste im Bereich der Beschäftigungs- und Finanzstruktur verursacht hat, wie im Norden Frankreichs deutlich wird. Andererseits ist der Sektor ein schönes Beispiel der Neuorientierung im europäischen Rahmen und angesichts des technologischen Fortschritts. Der geschichtliche Vergleich dieses Strukturwandels in altindustrialisierten Industrieregionen ist eine umfassende Aufgabe, deren Untersuchung eben erst beginnt. Sicherlich haben sich bereits zahlreiche Studien diesem Feld gewidmet, aber grundlegende Fragen harren noch einer Antwort. Warum erfolgte zum Beispiel die Umstrukturierung in einigen Revieren, etwa im Ruhrgebiet, umfassender, erfolgreicher und schneller als anderswo? Welche Akteure waren an dem Prozess beteiligt? Welche finanziellen und sozialen Kosten zeichnen sich ab?

Abbildung 1a-b:

L'usine sidérurgique Thyssen à Gelsenkirchen hier et aujourd'hui. 
 Plus de 3.000 personnes y travaillaient dans les années 1930 (photo de gauche). L'ancien site sidérurgique abrite aujourd'hui (photo de droite) un parc scientifique.

 

Internet-Quelle

Der industrielle Strukturwandel hat eine beträchtliche historische Spannweite, die gleichbedeutend ist mit der Übergangsphase der Gesellschaft vom Zeitalter der industriellen Revolution zur derzeitigen Dienstleistungsgesellschaft. In der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts verursachte die Entstehung der Industriereviere die Umorientierung ehemalig bäuerlicher und handwerklicher Arbeitskräfte zu Fabrik- und Bergarbeitern. Ab den 1950er Jahren haben die großen technologischen Veränderungen auf den Gebieten der Energiegewinnung, der Produktionsweisen, der Automatisierung, der Informatik und sonstiger Netzwerke nach und nach diese Gesellschaft in Frage gestellt, die vorwiegend auf der Schwerindustrie mit ihren Tausenden von Beschäftigten basierte. Eine erneute Umorientierung war notwendig geworden, die wiederum revolutionären Charakter hatte und die gleichbedeutend war mit einem Strich unter zwei Jahrhunderte Industrialisierung, die aber gleichwohl die Zukunft der Menschen in den am dichtesten bevölkerten Regionen von Europa sichern musste. Die vergleichende Geschichte mit ihren Methoden kann sicherlich dazu beitragen, diese grundlegenden Veränderungen zu analysieren und zu begreifen.

Abbildung 2:

Das Modell des erwerbsstrukturellen Übergangs von der Agrargesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft von Jean Fourastié

 

Internet-Quelle

Der Strukturwandel hat zu einem Zeitpunkt eingesetzt, als Europa mit der Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS [1] ) auch politisch eine Trendwende erfuhr. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Anfänge der europäischen Integration auf Wirtschaftsbereichen von großer symbolischer Tragweite beruhten, dies zu einem Zeitpunkt, als diese bereits erste Anzeichen von Schwächen zeigten. Folglich war die europäische Integration eng an die industrielle Umorientierung gebunden. Hat diese jene gebremst? Oder hat sie im Gegenteil der neuen Gemeinschaft eine historische Legitimationsgelegenheit geliefert? Es ist diese letztere Hypothese, die die wahrscheinlichere ist.

Die Vorstellung der industriellen Umorientierung geht mit der Entstehung der Europaidee einher. Das wird deutlich in der Erklärung vom 9. Mai 1950 [2] , in der die Bildung eines Konvertierbarkeits-Fonds gefordert wurde, "der die Rationalisierung der Produktion erleichtert". Der Begriff der "Umorientierung" ist zwar im Text des Vertrages von Paris vom 18. April 1951 [3] nicht enthalten, aber die hohe Behörde der EGKS fordert wörtlich: "Die Gemeinschaft hat in fortschreitender Entwicklung die Voraussetzungen zu schaffen, die von sich aus der rationellsten Verteilung der Erzeugung auf dem höchsten Leistungsstand sichern; Sie hat hierbei dafür zu sorgen, daß keine Unterbrechung in der Beschäftigung eintritt, und zu vermeiden, daß im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten tiefgreifende und anhaltende Störungen hervorgerufen werden." (Art. 2).

Abbildung 3:

Der EGKS-Vertrag vom 18. April 1951

 

 

 

 

Internet-Quelle [4]

Im Rückblick auf ein gutes halbes Jahrhundert geht es nunmehr darum, die nachhaltige Wirksamkeit der Anti-Krisen-Politik(en) durch die EGKS sowie durch die betroffen Staaten und Regionen zu analysieren, die das Herz dieser industriellen Aktivitäten und dieser Krise darstellen. Auf welcher geographischen Ebene wurden beispielsweise vorwiegend Interventionen bevorzugt? Nach der Darlegung einiger Grundvergleiche zu den Phasen der Krise sowie den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen in den beiden untersuchten Ländern soll diesen Fragen anhand der Beziehungen zwischen den Unternehmern und den öffentlichen Entscheidungsträgern sowie der verschiedene Interventionsmaßstäbe und deren Wirkungen hinsichtlich des Krisenmanagements nachgegangen werden.

Während in Deutschland die Verbindungen zwischen den Privatunternehmen und der öffentlichen Hand seit langem privilegiert gewesen sind, scheinen diese auf der französischen Seite von einer anderen Natur zu sein, sehr viel unruhiger. Während die deutsche Eisen- und Stahlindustrie gleichsam einen Grundpfeiler des Landes symbolisierte und deswegen über ein Jahrhundert lang besondere Förderung erfuhr, sah sich die französische Stahlindustrie immer dem Misstrauen der jeweiligen Regierungen ausgesetzt, das gleichzeitig eine Art Spiegel der öffentlichen Meinung des Landes war. Sie war regelmäßig Gegenstand von gewalttätigen Angriffen, die in den Jahren seit Beginn der Krise immer heftiger aufflammten. Besonders im Revier Nord-Pas-de-Calais [5] , wo erhebliche Investitionen getätigt wurden, um Teile der Aktivität, die traditionell in Lothringen angesiedelt waren, zu etablieren, sind die ernsten Schwierigkeiten des Sektors zunächst nur schlecht begriffen worden. Tatsächlich zeigten die umfangreichen Subventionen, die durch den französischen Staat für diese Region gezahlt wurden, kaum Wirkung auf dem Arbeitsmarkt und verhinderten somit auch nicht die starke Abwanderung der Beschäftigten in einer ohnehin durch die Kohlenkrise seit mehr als einem Jahrzehnt in katastrophalem Maßstab geschädigten Region. Diese Situation entfachte lebhafte Spannungen.

Abbildung 4:

Arbeitslosenzahlen der Region Nord-Pas de Calais im Vergleich zum nationalen Mittel - ein Indikator für die Krisensituation im ehemaligen Pays Noir

 

Quelle: A. Pletsch, 2003, S. 292

Demgegenüber waren an der Ruhr, trotz geringerer Subventionen seitens des Staates, die Ergebnisse offensichtlich besser. Auch wenn die Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigungssituation dort kaum geringer waren, so haben die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise, die hauptsächlich auf privater Initiative beruhten, eine schnellere Wiederbelebung der Unternehmen erlaubt. In einer vergleichenden Bilanz soll im folgenden versucht werden, die Wirkungsmechanismen zwischen den Unternehmern, den Regionen und den Staaten aufzuzeigen und der Frage nachzugehen, warum sie angesichts unterschiedlicher Politikansätze mehr oder weniger erfolgreich sein konnten (1).

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Anmerkungen

(1) Die hier vorgestellten Ergebnisse stützen sich auf eigene Forschungen zur Krise der französischen Stahlindustrie in ihrer Gesamtheit, der Gruppe Usinor-Sacilor und der Krise im Nord-Pas-de-Calais, sowie auf die Arbeit von Karl Lauschke über die Stahlindustrie an der Ruhr und die Synthese von René Leboutte über die Krise und Umorientierung in den traditionellen Industrierevieren Europas (Vie et mort des bassins industriels en Europe 1750-2000, L'Harmattan, 1997) und einige andere seiner Arbeiten (bsdrs. zu sozialen Aspekten im Rahmen der Interventionen der EGKS).