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'Kennzeichen und Wirklichkeiten der Krise'
 
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Kennzeichen und Wirklichkeiten der Krise

Hinsichtlich der Produktion muss ein technischer Aspekt berücksichtigen werden, der die Interpretation der Tatsache einer Stagnation und dann des Rückgangs der Tonnage seit Mitte der 1970er Jahre relativiert. Tatsächlich ist der Indikator der mengenmäßigen Produktion aufgrund der Verbesserung der Qualität und der Verschiedenheit der Produkte nicht mehr befriedigend, da hierdurch Preisabweichungen bis zum 40-fachen bewirkt werden. Die Produktion muss also auf der Grundlage des Umsatzes verglichen werden, da innerhalb des Sektors der erzielte Mehrwert in den einzelnen Produktionsbereichen stark schwankt.

Abbildung 7:

Die französische Rohstahlproduktion 1995 - 2003

 

 Internet-Quelle [1]

Generell gesehen ist diese Depression sehr viel bedeutender als alle anderen, die im Laufe des Jahrhunderts bekannt geworden sind. Als ein erstes wesentliches Charakteristikum sei herausgestellt, dass schon in der Zwischenkriegszeit in Frankreich ein Rückgang der Produktion etwa im gleichen Umfang erfolgt war (rd. -35%), mit einem noch umfangreicheren Beschäftigtenrückgang innerhalb eines Jahrzehnts als nach 1974 (-62% im Vergleich zu -18%). Dieser Rückgang hat sich nach 1983 fortgesetzt und dauert immer noch an. Hier sei aber nochmals an die vorangegangene Bemerkung hinsichtlich der technischen Entwicklungen erinnert. Man kann davon ausgehen, dass bei gleicher Mengenproduktion deren Wert sehr viel höher ist, zumal die Produktivität stark gestiegen ist, was weitgehend den Beschäftigungsrückgang erklärt. Festzuhalten ist auch, dass der Rhythmus des Abbaus von Arbeitsplätzen insgesamt zwar rasch, aber nicht regelmäßig erfolgte. Seinen Höhepunkt erreichte er in Frankreich im Jahre 1980 (minus 15 000 Arbeitsplätze). Insgesamt entfiel allein auf die Periode von 1975 bis 1987 - der Höhepunkt der Krise - ein Verlust von mehr als 80 000 Arbeitsplätzen im Stahlsektor, darunter ungefähr ein Drittel allein in der Region Nord-Pas-de-Calais.

Abbildung 8:

Carte de situation de la Région Nord Pas-de-Calais

 

 

 

 

 

 

Source : Document scanné par l'auteur

Auf finanzieller Ebene hat sich diese Krise als echter Abgrund erwiesen: 80 Mrd. Defizite haben sich zwischen 1975 und 1987 kumuliert, und 100 Mrd. Francs öffentlicher Subventionen sind verschlungen worden, darunter 80 Mrd. für Sozialmaßnahmen. Das Niveau der Investitionen ist, mit zwei Tiefpunkten (2): 1979-1982 und 1986-1989, stark gesunken, mit Ausnahme der Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die sogar gestiegen sind: ein deutlicher Hinweis auf die Bedeutung, die dem technologischen Wandel beigemessen wird (3). Anfang der 80er Jahre ist das Bild der Eisen- und Stahlindustrie in Frankreich tief und dauerhaft beschädigt, sie ist ein Krisensynonym [2]  geworden. 

Abbildung 9:

Das Industrierevier Nord-Pas-de-Calais, das berühmte pays noir, mit Kohle, Stahl und Textilindustrie als den drei traditionellen Schwerpunkten.

 

Internet-Quelle [3]

Im Industrierevier Nord-Pas-de-Calais ist diese Krise von einigen Besonderheiten geprägt. Die Eisen- und Stahlindustrie bildete hier einen der drei traditionellen Pole neben Kohlen und Textil. Ein großer Teil der nationalen Stahlproduktion entfällt auf diese Region, in der sich einige der modernsten und leistungsfähigsten Unternehmen konzentrieren. Die Krise des Stahlsektors hat allerdings das Gleichgewicht zwischen den drei Industriezweigen ins Wanken gebracht und hat eine echte Explosion des Dienstleistungssektors bewirkt, dessen Anteil zwischen 1954 bis 1997 von 33 % auf 70 % der Erwerbsbevölkerung gestiegen ist. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil des primären Sektors von 13 % auf 3 % gefallen.

Abbildung 10:

Les 40 premières entreprises de métallurgie et de transformation des métaux dans la région du Nord-Pas-de-Calais en 2002

 

 

Internet-Quelle [4]

Der Industriesektor in der Region Nord-Pas-de-Calais hat zwischen 1968 und 1997 im Durchschnitt 8 000 Arbeitsplätze jährlich verloren. Die Eisen- und Stahlindustrie beschäftigte dort Anfang der 60er Jahre mehr als 40 000 Personen, gegenüber weniger als 15 000 heute, gleichwohl entfallen auf diesen Sektor noch 50 % der Industriebeschäftigten der Region. Die Gesamtzahl der Arbeitsplätze in der Region war mit rd. 1,2 Mio. allerdings im Jahr 2000 praktisch die gleiche wie Anfang der 70er Jahre. Hier verbirgt sich ein Hauptphänomen des strukturellen Wandels der Wirtschaft schlechthin, der sich besonders in der Analyse des Stahlsektors offenbart. Die Folgen des Wandels waren für die Region ein anhaltend negativer Wanderungssaldo aufgrund eines abstoßenden sozialen und wirtschaftlichen Gesamtbildes, zu dem alle drei krisengeschüttelten Industriezweige gleichermaßen beigetragen haben. Die Korrektur dieses Bildes ist heute allerdings im Gange.

Abbildung 11:

Rohstahlerzeugung, Beschäftigtenentwicklung und Produktivität im Stahlsektor Deutschlands 1960 bis 2003

 

 

 

Internet-Quelle [5]

An der Ruhr, wo Anfang der 1970er Jahre der Großteil der eisen- und stahlverarbeitenden Produktion Deutschlands konzentriert war, waren die Erscheinungsformen der Krise besonders im Bereich der Beschäftigung kaum anders, bei einem etwas anderen Rhythmus. Bis 1980 waren die Arbeitsplatzverluste gegenüber Frankreichs Eisen- und Stahlindustrie vergleichsweise schwach. So fiel die Zahl der Beschäftigten zwischen 1976 und 1980 um rd. 14 % (-18 000 Arbeitsplätze), was einem Rückgang von 132 000 auf 114 000 entsprach. Erst in den 1980er Jahren verschlechterte sich die Lage drastisch, nunmehr verbunden mit einem kräftigen Aderlass der Eisen- und Stahlindustrie von Nordrhein-Westfalen. Die Zahl der Arbeitsplätze nahm jährlich um 6 800 ab, was für den Zeitraum zwischen 1980 und 1998 einen Verlust von 75 000 Arbeitsplätzen allein in der Eisen- und Stahlindustrie der Region bedeutete. Anders ausgedrückt: Von den 132 000 Beschäftigten vor der Krise waren bis 1985 nur noch ungefähr 80 000 und bis 1998 nur noch 39 000 übrig, das heißt der Gesamtverlust betrug ungefähr 70 %. 

Zahlreiche Standorte von Hochöfen und Walzwerken sind seitdem völlig verwaist, dies in Städten, die früher fast ausschließlich von der Stahlindustrie lebten (Gelsenkirchen, Rheinhausen, Dortmund). Traditionelle Unternehmen der großer industrieller Tradition, wie der Bochumer Verein, Hoesch oder Mannesmann, sind aus dem wirtschaftlichen Leben verschwunden. Die einzige überlebende Gesellschaft an dieser Hekatombe ist die Gruppe Thyssen-Krupp (Duisburg), die 1997 fusionierten (4).

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Anmerkungen

(2) Absoluter Rekord 1988, mit einem Index von 58 im Vergleich zum Zeitraum 1963-1971 (= 100)

(3) Der sich für die französische und die deutsche Stahlindustrie als wirksam, allerdings zum Nachteil der Beschäftigung erweisen wird.

(4) Aber sogar in diesem prestigeträchtigen Konzern der rheinischen Stahlindustrie stellt die Eisen- und Stahlproduktion, die den Beginn der Ruhrindustrialisierung kennzeichnete, heute nicht mehr als ein Drittel der Beschäftigten und des Umsatzes dar.