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'Die Interventionsmaßnahmen gegen die Krise'
 
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Die Interventionsmaßnahmen gegen die Krise

Die Antikrisenpolitiken in den Regionen der französischen Eisen- und Stahlindustrie

Bezüglich der öffentlichen Interventionen waren die Herangehensweisen in den beiden Ländern sehr unterschiedlich. Dies lässt sich nicht mit den politischen Verhältnissen begründen. So stellt man fest, dass die politisch bedingten Regierungswechsel in Frankreich weder auf die politischen Konzepte noch auf der Wirksamkeit der Maßnahmen im Antikrisenkampf besondere Auswirkungen gehabt hätten: es handelte sich vielmehr um einen Vorgang, auf den die politischen Machtträger kaum Einfluss genommen haben. Gleichwohl hat es ab 1977 eine starke staatliche Intervention gegeben (z. B. vier Dringlichkeitspläne innerhalb von 10 Jahren, von denen aber keiner umgesetzt wurde; Unterzeichnung eines Sozialpakts mit der Eisen- und Stahlindustrie im Jahre 1979). Als Folge dieser Maßnahmen ist die Verschuldung der französischen Eisen- und Stahlindustrie, die in den 70er Jahren das Niveau ihres Umsatzes erreichte oder gar überschritt, stark zurückgegangen: einerseits durch die Umwandlung der Staatsdarlehen in Unternehmensanteile (1978) (10), andererseits durch Kapitalaufstockung nach der Nationalisierung der Unternehmen (1982), schließlich im Jahre 1995 durch die erneute Privatisierung. 

Im Sinne einer gewissen Logik ging der Rückgang der Beschäftigtenzahlen sowie die Erhaltung bzw. Steigerung des Umsatzes mit einer bedeutenden Produktivitätssteigerung einher. Wenn es die bekannten verheerenden sozialen Folgen nicht gäbe, könnte man sich fragen, ob man angesichts dieser Produktivitätssteigerung überhaupt von einer "Krise" sprechen kann. Der Sektor unterliegt einer grundlegenden Umstrukturierung bei gleichzeitig starker Zunahme der Konzentration (11) (der gesamte Sektor befindet sich heute in den Händen von Usinor bzw. Arcelor [1] ), wobei sich der Prozess, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts in mehreren Etappen abgelaufen ist, stark beschleunigt hat. Damit verbindet sich auch eine grundlegende Standortverlagerung: während zu Beginn der 1970er Jahre rd. 70 % der Produktion aus Lothringen kamen, ist die Produktion Ende der 1990er Jahre zu mehr als 50 % auf zwei Standorte konzentriert: Dünkirchen und Fos [2] .

Abbildung 17:

Der Verwaltungssitz des Usinor Konzerns (heute Teil von Arcelor) in Paris-La Défense

 

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [3]

Der auf Innovation ausgerichtete neue Akzent in der französischen Stahlindustrie hat zu einer kompletten Aufgabe der Verwendung lothringischen Erzes und zur Einführung neuer Technologien geführt, darunter auch jene des Stahl-Recyclings. Die wesentlichen und für das Überleben der französischen Eisen- und Stahlindustrie grundlegenden Innovationen verdankt diese zumindest teilweise der Rolle des Irsid [4]  (12), gleichzeitig aber auch ab 1984 der endgültigen Abkehr von pharaonischen Projekten (13). Es war eine Wahl zu treffen zwischen Spezialisierung und Diversifizierung: den Beginn machte Usinor im Jahre 1987 mit dem Bau neuer Produktionsstätten zur Erweiterung des Produktsortiments, die nach der Umstrukturierung der Usinor-Gruppe 1986 möglich geworden war (14). Andererseits erfolgte auch ein Investitionsabbau, um die Gruppe einzig auf den Stahlsektor zu zentrieren (15).

Die Informatisierung der Produktion hat spürbare Veränderungen hinsichtlich der Neueinstellungen und des Qualifikationsprofils der Beschäftigten bewirkt. Damit einher gehen unterschiedliche Sozialprogramme, etwa Modelle des Vorruhestandes (mit 55 und sogar 50 Jahren), oder auch innovative Angebote des Bildungsurlaubs (2 Jahre), der 35 (oder weniger) Stunden-Woche usw. So gesehen war die Eisen- und Stahlindustrie des Nordens ein echtes "Soziallaboratorium". Grundlegende Änderungen erfolgten auch auf dem Gebiet der Unternehmensführung, gekennzeichnet durch eine Abkehr vom traditionellen Autoritarismus hin zu einem Model des "mitbestimmenden Managements": etwa durch die Schaffung von "cercles de qualités" (Dünkirchen), von "groupes d'action et de progrès" (Sollac), der Neudefinition der Führungskräfte in "facilitateurs" (Erleichterer) oder "Piloten", ebenso durch Gewinnbeteiligungen, Leistungsgratifikationen, Innovationswettbewerbe, usw.

Die Strategie der Internationalisierung (16) schlägt sich u.a. im Aufkauf amerikanischer und britischer Unternehmen oder in einer verstärkten Präsenz in Deutschland (Aufkauf von Saarstahl [5] ) nieder: im Jahre 1989 war z. B. ein Viertel der Lohnempfänger des Konzerns deutsch. Zu erwähnen sind darüber hinaus auch Abkommen mit Belgien, Luxemburg und Italien. 

Abbildung 18:

Die regionale Verteilung der Industrieunternehmen in der Region Nord-Pas-de-Calais nach Branchen

 

 

 

Internet-Quelle

Abbildung 19:

Standorte der stahlerzeugenden und metallverarbeitenden Industrie in der Region Nord-Pas-de-Calais

 

 

 

Internet-Quelle [6]

Die Absicht einer stärkeren Einbeziehung der regionalen Ebene hat zur Gründung der DATAR (17) beigetragen, eine Art Ministerium für Raumordnung, dessen Hauptaufgabe es ist, die Regionalplanung unter weitgehender Berücksichtigung lokaler oder regionaler sozialer Netzwerke zu betreiben. Seit 1984 werden in der Region Nord-Pas-de-Calais im regionalem Maßstab Planungsmodelle experimentell erprobt. Es ist dies das Jahr der Gründung der Planungsgesellschaft Finorpa [7] , deren Hauptaufgabe darin besteht, neue Arbeitsplätze als Kompensation für die Verluste im Bereich der traditionellen Branchen des Bergbaureviers zu schaffen. Der gleichen Aufgabe widmet sich die Planungsgesellschaft "Nord-Pas-de-Calais développement [8] " (18), die sich insbesondere um Unternehmenspartnerschaften und die Anwerbung ausländischer Investoren bemüht.

Jedoch hat die französische Eisen- und Stahlindustrie, im Gegensatz zu ihrem deutschen Pendant, auf regionaler Ebene nie wirklich funktioniert. Die Entscheidungen lagen ausschließlich bei der Direktion der Usinor-Gruppe und wurden in direkten Verhandlungen mit der nationalen öffentlichen Entscheidungsträgern getroffen, und dies zu allen Zeitpunkten der Krise. Schenkt man den Aussagen der Führungskräfte Glauben, so bestand stets eine gewisse Ablehnung, mit lokalen Verantwortlichen zu diskutieren sondern anstehende Fragen direkt im Kabinett der betroffenen Minister zu behandeln.

Die Antikrisenpolitiken an der Ruhr

Der deutsche Stahlsektor war angesichts seiner Schlüsselposition seit jeher ein bevorzugter Sektor im bedeutendsten europäischen Industrieland. Seine Unternehmen waren besonders mächtig, was es ihnen mit Billigung der öffentlichen Machthaber und letztlich auch des Volkes erlaubte, regelrechte Machtinstrumente zu werden. Anders als im Fall des Kohlesektors wurde die Krise des Stahlsektors jedoch von der öffentlichen Hand nur wenig durch finanzielle Maßnahmen unterstützt. Die Unternehmen waren es gewöhnt, private Handlungsstrategien zu entwickeln. So setzten sie zur Krisenbewältigung ihre Rücklagenfonds ein, außerdem konnten sie auf verschiedene Kreditmöglichkeiten zurückgreifen, so dass sie bis zum Jahre 1980 kaum Substanzverluste erfuhren, die ihre Existenz in Frage gestellt hätten. Danach aber gerieten auch sie in sehr ernste finanzielle Schwierigkeiten. Die ungleiche Behandlung des Sektors innerhalb der europäischen Staaten wurde in der Folge als eine der wesentlichen Ursachen der Schwierigkeiten der deutschen Eisen- und Stahlindustrie angeprangert, die es verhindere, die Krise zu überwinden. 

Zwischen 1975 und 1985 hat die deutsche Eisen- und Stahlindustrie aus öffentlichen Mitteln lediglich 7,2 Mrd. DM erhalten, umgerechnet also staatliche Subventionen von 16 DM pro Tonne Stahl, im Gegensatz zu Frankreich mit 102 DM pro Tonne (Gesamtsumme 23,6 Mrd.) und Großbritannien mit 142 DM pro Tonne (27,1 Mrd.). Angesichts dieser Zahlen wurde dem Staat vorgeworfen, nicht auf eine gerechte Behandlung seiner Eisen- und Stahlindustrie im Verhältnis zu seine europäischen Konkurrenten geachtet zu haben. Aber im Unterschied zu den Unternehmen der Schwerindustrie in anderen Regionen Deutschlands rechneten die "Großunternehmen" an der Ruhr (Thyssen, Mannesmann, Krupp und Hoesch) nicht mit konsequenten Beihilfen von Seiten der Länder, und noch weniger dachten sie in dieser Phase an Betriebsvereinbarungen oder gar an die Fusion der Unternehmen. So wurde der Vorschlag zur Bildung von zwei großen Konzerngruppen, der im Jahre 1983 durch die Banken im Einvernehmen mit der Bundesregierung gemacht worden war, konsequenterweise abgelehnt (19).

Mit Ausnahme einiger gezielter Maßnahmen zur direkte Unterstützung, etwa das Stahlforschungsprogramm (1978) oder das Hilfsprogramm für die Stahlindustrie (1981), hat sich die deutsche Regierung überwiegend auf soziale Begleitmaßnahmen beschränkt, die darauf abzielten, den Folgen der Krise in verschiedenen Formen abzuhelfen. Zusätzlich gab es auch Pläne auf regionaler Ebene für die Verbesserungen der Infrastrukturen, die vor allem konzipiert waren, um kleine und mittlere Unternehmen anzuziehen und damit die in der Großindustrie verlorenen Arbeitsplätze zu kompensieren. In diese Kategorie kann man das 6,9 Mrd. DM umfassende "Aktionsprogramm Ruhr [9] " (1979) einordnen, ebenso rd. 2 Mrd. DM im Rahmen der "Zukunftsinitiative Montanregionen" (1987) und schließlich die Schaffung des internationalen Ausstellungsparks "Emscherpark [10] " (1989). 

Abbildung 20:

Der Emscherpark. Die Internationale Bauausstellung Emscherpark ist keine Ausstellung im her- kömmlichen Sinne. Sie setzt Impulse mit neuen Ideen und Projekten mit dem Ziel, architektonische, städtebauliche, soziale und ökologische Maßnahmen als Grundlage für den wirtschaftlichen Wandel in einer alten Industrieregion zu verwirklichen.

Internet-Quelle

Die Regierung des Landes Nordrhein- Westfalen, in langer Tradition sozialdemokratisch, war der Hauptbefürworter dieser sozialen Maßnahmen. Die Region war ein echtes "Bollwerk" der SPD, und sie erhielt eine breite Unterstützung durch die Bundesregierung in den ersten Krisenjahren. Mit der politischen Wende von 1982 und der Machtübernahme durch die christlich-liberale Koalition (CDU & FDP) nahm diese Einflussmöglichkeit auf Entscheidungen von nationaler Tragweite jedoch immer mehr ab.

Die Rolle der EGKS

Um dauerhaft den Schwierigkeiten zu entrinnen, mussten sich die Unternehmen notgedrungen restrukturieren, eine Strategie, die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften unterstützt wurde, indem sie übergangsweise verbindliche Produktionsquoten festgelegte. Vor allem aber hat die EGKS im sozialen Bereich eine wichtige Rolle gespielt hat, zumal das Hauptgewicht der sozialen Folgen von den Regionen zu tragen war.

Der achte Bericht der EGKS, der sich auf das Jahr 1959 bezieht, erwähnt zum ersten Mal die industrielle Umstellung und zitiert mit Sorge die umfassende Aufgabe, die sich für die künftigen Jahrzehnte ankündigt (dies v.a. aufgrund der ernsten Krise der Bergbauindustrie im Jahre 1957-1958, besonders in Wallonien). Eine Stellungnahme zur Eisen- und Stahlindustrie sollte indessen erst zwei Jahrzehnte später folgen.

Abbildung 21:

Eurofer - ist die europäische Vereinigung der Eisen- und Stahlindustrie. Sie wurde 1976 gegründet und hat ihren Sitz in Brüssel.

 

 

 

Internet-Quelle [11]  (Beim Anklicken dieses Internetlinks öffnet sich die nebenstehende Karte in einer interaktiven Form mit detaillierten Angaben zur Eisen- und Stahlproduktion in den betreffenden Ländern.) 

Insgesamt kann man feststellen, dass die Haltung der Europäischen Gemeinschaft überwiegend defensiv war: im Jahre 1980 verkündete die EGKS offiziell die "offenkundige Krisensituation" der europäische Eisen- und Stahlindustrie, was den Mitgliedsstaaten erlaubte, in diesem Bereich mehr als zuvor durch Bewilligung spezifischer Prämien und Subventionen, Quotenpolitik, Reduzierung der Kapazitäten (diese wird ab 1988-1989 angesichts eines hohen Auslastungsgrad sehr schwierig) etc. zu intervenieren. Die Erklärung erlaubte außerdem Sondermaßnahmen im Sinne von "Absprachen" und Kompromissen, etwa im Rahmen der Initiativen von Eurofer [12] , einem privaten Zusammenschluss der europäischen Stahlunternehmern, der zwar 1983 wieder zusammenbrach, sich aber danach mit dem Einverständnis der EG wieder neu konstituierte.

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Anmerkungen

(10) Der Staat wird Aktionär von Usinor mit 63,8 % und von Sacilor mit 76,9 % Anteilen.

(11) Es ist Raymond Lévy, Präsident von Usinor, 1982, der die Integration der beiden Konzerne empfiehlt. Die Fusion erfolgte im Jahre 1986 mit Francis Mer als neuem Vorstandsvorsitzenden.

(12) Institut de Recherche Sidérurgique (Institut für Stahlforschung).

(13) Beispiel: Universalzug von Gandrange.

(14) Mit der Neugruppierung der verschiedenen Produktionen pro Einheit: Sollac = Flachwalzprodukte; Ugine = rostfreie Stahle; Unimetall = Langstahl; Ascométal = Spezialstähle

(15) Bemerkung: In Deutschland hat Thyssen lange mit dieser Wahl gezögert. Mannesmann hat der Stahlproduktion völlig den Rücken gekehrt.

(16) Wie anderswo erhält die Stahlindustrie bis Mitte der 1980er Jahre starke nationale Unterstützung.

(17) Délégation à l'aménagement du territoire et à l'action régionale (Kommission für Raumordnung Regionalentwicklung).

(18) Entwicklungsgesellschaft für die Region Nord-Pas-de-Calais.

(19) Karl Lauschke, "Das Krisenmanagement in der Stahlindustrie des Ruhrgebiets", Vortrag anlässlich eines Kolloquiums in Lille, November 2003, Revue du Nord (erscheint 2004)