French
German
 
Seite zur Sammlung hinzufügen
'Einige Erklärungsansätze zu den Gründen der Krise '
 
1 Seite(n) in der Sammlung
 
 
 
 
 

Einige Erklärungsansätze zu den Gründen der Krise

Einige Aspekte sind den beiden Regionen, die hier vergleichend betrachtet werden, gemeinsam. In Erwartung einer starken und dauerhaften Zunahme des Stahlverbrauches hatten die Unternehmen - zum Teil dank der finanziellen Beihilfen der EGKS und der jeweiligen Staaten - in den sechziger Jahren rasch die Kapazitäten ihrer Einrichtungen erweitert, indem sie die Produktionsbereiche beschleunigt modernisierten. Die Verschuldung hatte somit zu Beginn der 1970er Jahre ein Maximum erreicht. Jedoch gab es auch einige erwähnenswerte nationale und regionale Besonderheiten.

In Frankreich deckte man schon vor 1973 tiefe und althergebrachte Gründe für die Krise auf, zum Beispiel einen beachtlichen Schwund der Produktivitätsgewinne und einen zunehmenden Konkurrenzdruck. Ab 1973 kommen die Auswirkungen der allgemeine industriellen Depression hinzu, was zu einer Beschleunigung der Schwierigkeiten und zu immer geringer werdenden Investitionen führte, zumal die französischen Unternehmen kaum noch über Eigenmittel verfügten und von einer übermäßigen Verschuldung - eine "französische Besonderheit" - gekennzeichnet waren. Diese Verschuldung war das Ergebnis typischer Beziehungen zwischen französischem Staat und Privatkapital: der Staat hat sowohl auf die Verkaufspreise als auch auf die Beschäftigungspolitik Einfluss genommen. Andererseits stagnierte der Verbrauch vor dem Hintergrund des Rückgangs einer spezialisierten Nachfrage, des durch den technischen Fortschritt verringerten Abfallvolumens und durch die aufgrund der Qualitätsverbesserung reduzierte quantitative Nachfrage. Hinzu kam die Konkurrenz der Substitutionsmaterialien (Plastik), so dass das Bild eines ehemals vielversprechenden Sektors rasch verblasste.

Abbildung 12:

Der 11. Dezember 1978 bedeutete für die Stahlindustrie von Lothringen (aber auch die nationale) den Kulminationspunkt der Krise! An diesem Tag wurde die Schließung des Stahlwerks Chiers in Longwy und der Hälfte des Werkes in Senelle beschlossen. Auch in Gouraincourt zwischen Longwy und Mont-Saint-Martin bedeutete dies den Beginn des Abbaus der Stahlindustrie im sog. Pays-Haut Lothringens.

Internet-Quelle [1]

Der Stahlsektor offenbarte somit zwei offensichtlich Schwachpunkte: eine schwerfällige Struktur der Arbeitnehmerverbände und Gewerkschaften, die jede Entscheidung erschwerte, vor allem aber der Überfluss an lothringischen Erz, eine echte "nationale Angelegenheit", die alle Forschungsaktivitäten mobilisierte und auf sich konzentrierte, wodurch der Blick der französischen Eisen- und Stahlindustrie auf die unausweichlichen neuen technischen Verfahrensweisen lange Zeit verstellt wurde. Somit scheint es aufgrund unserer Analyse, dass hier ernste strategische Fehler gemacht worden sind, dass vor allem auch die Gewerkschaftskammer der französischen Eisen- und Stahlindustrie (CSSF (5)), nicht gesehen hat, dass es sich um eine strukturelle und nicht um eine konjunkturelle Umkehr der Lage handelte. Aber auch seitens der nachfolgenden Regierungen blieb es bei der alten Konzeption: der neue "Stahlplan" von 1982 legte noch als Zielsetzung eine Erhöhung der Produktion auf 24 Mio. Tonnen (gegenüber 17 Mio.) fest. Schließlich hat der Streit zwischen den beiden Regionen Nord-Pas-de-Calais und Lothringen um die Begrenzung der regionalen Verluste die Verhandlungen nicht eben vereinfacht. 

In Deutschland war die Krise von etwas andersartiger Natur. Auch hier ist sie nicht mehr konjunkturell, wie bei früheren punktuellen Krisen, sondern strukturell. Mit anderen Worten: wenn die Krise einmal eintritt, werden die Wachstumsraten nie mehr ihr früheres Niveau erreichen. Aber in den Jahren, die der Krise vorausgegangen waren, hatten die Unternehmen gewaltig investiert und ihre Produktionskapazitäten erhöht, weil sie fest an die Entwicklung der Nachfrage glaubten. Auch hier hatte man also schlechte Prognosen auf die Zukunft formuliert, verbunden mit erheblichen Investitionen seitens der mächtigen deutschen Stahlunternehmen zu Beginn der 1970er Jahre, wobei deren Investitionskraft im Vergleich zu den französischen Unternehmen deutlich höher lag, was letztlich aber das Krisenphänomen eher noch verstärkt hat. 

Abbildung 13:

Der Steinkohlenbergbau war die wichtigste Grundlage der Industrieentwicklung im Ruhrgebiet. Seit dem 18.Jahrundert wurde hier Kohle gefördert. Heute sind die meisten Zechen geschlossen, Bergbauausrüstungen werden verschrottet, Fördertürme werden abgewrackt.

Internet-Quelle

Im Jahre 1979 war die Lage der deutschen Stahlindustrie dadurch gekennzeichnet, dass ein Drittel der Produktionskapazität ungenutzt war und dass durch diese ungenutzten Überkapazitäten ein zunehmender Zerfall drohte. Insbesondere die dadurch bedingten kostenmäßigen Auswirkungen auf den Produktionsprozess der Großunternehmen brachte diese in eine immer schwierigere Konkurrenzsituation. So traten, durch die allgemeine Krise verursacht, immer häufiger Liquiditätsprobleme ein, die Investitionen im Bereich der Produktionsveränderung aufgrund veränderter Nachfragen ebenso erschwerten wie dringend notwendige Investitionen im technologischen Bereich.

Abbildung 14:

In Duisburg-Rheinhausen besetzten am 10.12.1987 Krupp-Arbeiter eine Brücke, um gegen die Schließung ihres Werkes zu protestieren. Rheinhausen wurde damit zum Synonym für "Stahlkrise", die nicht nur das Ruhrgebiet betraf.

Internet-Quelle [2]

Zu Beginn der 1980er Jahre sank folglich die Produktivität ebenso wie das Eigenkapital der Unternehmen, das in vielen Fällen auf ein beunruhigendes Niveau zurückzugehen begann. Die Unternehmen konnten es nicht verhindern, dass sie, über allgemeine Rationalisierungsmaßnahmen hinaus, ihre Produktionskapazitäten verringern und ganze Produktionsstandorte schließen mussten (6). Ein Ergebnis der bereits erwähnten drastischen Arbeitsplatzverluste waren gewalttätige, in dieser Form bisher in Deutschland seltene soziale Proteste. Die Ereignisse anlässlich der Schließung der Krupp-Werke in Rheinhausen im Jahre 1987-1988 wurden zu einem Symbol des Widerstandes gegen die Politik der Konzerne.

___________________

Anmerkungen

(5) Chambre Syndicale de la Sidérurgie française.

(6) In Hattingen, Oberhausen et Rheinhausen.