- Die Sicht des jeweils Anderen: das Eigene und das Fremde
- Der deutsch-französische Krieg 1870/71
- Der Erste Weltkrieg
- Der Erste Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis der Deutschen und der Franzosen
- Das Feindbild der Deutschen - Das Feindbild der Franzosen
- Die Kriegsstärke der deutschen und der französischen Truppen und ihrer Verbündeten
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- Französische Zwangsarbeiter in Deutschland 1940-45
- 1945 - 1963: Deutsche und Franzosen - Von der "Erbfeindschaft" zur Partnerschaft
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Die Kriegsziele Frankreichs
Georges-Henri Soutou über die Kriegsziele Frankreichs
Bereits zu Beginn des Konflikts trafen die Alliierten zwei grundlegende Entscheidungen: sie proklamierten am 5. September [1914] ihre militärische und diplomatische Solidarität und bekräftigten am Ende desselben Monats ihren Willen, einen totalen Sieg über Deutschland und nicht nur einen Verhandlungsfrieden zu erzielen.
Bereits am 26. August beschäftigte sich Poincaré mit dem rechtlichen Ungleichgewicht innerhalb des Dreier-Bündnisses. Während eine Klausel des französisch-russischen Bündnisses jeden Separatfrieden ausschloß, hatte Großbritannien keinerlei Verpflichtung dieser Art unterschrieben und war daher nicht einmal juristisch an seine Partner gebunden. [...]
Die Russen ihrerseits waren nicht nur wegen der fehlenden Verpflichtung Englands in Sorge, sondern auch im Hinblick auf die Entschlossenheit Frankreichs nach den anfänglichen Niederlagen. Am 1. September schlug Sasonow Delcassé den Abschluß eines dreiseitigen englisch-französisch-russischen Abkommens vor, das jeglichen Separatfrieden ausschloß. [...]
Aus dieser allgemeinen Übereinstimmung entstand das Londoner Abkommen vom 5. September, dessen erster Satz festlegte, dass die drei Regierungen sich verpflichteten, "während des gegenwärtigen Krieges keinen Separatfrieden zu schließen". Der Text wurde unverzüglich veröffentlicht, was seine Bedeutung erhöhte. [...]
Das Abkommen vom 5. September wurde sehr schnell durch eine Entscheidung der drei Alliierten ergänzt, deren Bedeutung und bewußten und systematischen Charakter man bis jetzt unseres Wissens nicht hinreichend unterstrichen hat: die Entscheidung, den Krieg bis zum totalen Sieg fortzuführen, in jedem Fall bis zur Erreichung zuverlässiger Garantien gegen das Reich, die die europäische Ordnung tiefgreifend veränderten. [...]
Die Rückkehr Elsaz-Lothringens
Alle Autoren stimmen darin überein, dass die Rückkehr Elsaß-Lothringens von der Gesamtheit der führenden Kreise und der öffentlichen Meinung als ein klares und unumstößliches Kriegsziel betrachtet wurde. Diskussionen konnte es allein wegen der Besorgnisse einiger Sozialisten geben, die die Rückgabe zu gegebener Zeit durch eine Volksabstimmung bestätigt sehen wollten - eine Idee, die im allgemeinen in den übrigen politischen Lagern heftig bekämpft wurde. [...]
Gewisse Leute haben sofort begriffen, dass die Rückkehr Elsaß-Lothringens die Grundlage der französischen Industrie, besonders der Eisenindustrie, spürbar erweitern würde, und sich die Vorteile vor Augen gehalten, die sie aus diesem Zuwachs ziehen könnte. So hat der vom Quai d'Orsay [Sitz des Außenministeriums] seit dem September 1915 mit einer langwierigen ökonomischen Mission in Italien betraute Paul Claudel vermerkt, dass sich vor dem Krieg der französische Handel auf der Halbinsel kaum entwickeln konnte, weil die italienische und die französische Wirtschaft viel mehr miteinander konkurrierten als sich ergänzten. Die Rückkehr Elsaß-Lothringens aber würde aus Frankreich eine industrielle Großmacht machen; infolgedessen könnte Frankreich an Italien die für dessen industrielles Wachstum erforderlichen Investitionsgüter liefern; so könnte es Deutschland vom italienischen Markt verdrängen, und man könnte sogar eine Zollunion zwischen den beiden Ländern ins Auge fassen.
Das Problem der Saar und es Rheinlandes
Viele Verantwortliche in Verwaltung und Industrie haben sofort begriffen, dass die Rückkehr Elsaß-Lothringens die Kapazität der französischen Eisen- und Stahlindustrie von 4 auf 8 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr, das heißt auf britisches Niveau, anwachsen lassen und somit das ökonomische Gleichgewicht Europas durcheinanderbringen würde. Sie haben daher ebenfalls sofort eingeräumt, dass Frankreich aus diesem Wachstum der Eisen- und Stahlindustrie nur unter der Bedingung vollen Nutzen ziehen könne, dass parallel dazu seine Kohlevorräte vermehrt würden, die schon in den Grenzen von 1914 unzureichend waren.
Sehen wir weiter die (ketzerischen!) Überlegungen der Industriellen und des Comité des Forges [Interessenverband der Eisen- und Stahlindustriellen (1864-1940)] zu diesem Punkt. Für die betreffenden Spitzenvertreten ist die Lösung des Problems einfach: man muß sich die Kohle durch Annexionen verschaffen, die über das Elsaß-Lothringen von 1870 hinausgehen, insbesondere im Saargebie.t, und darüber hinaus sogar bis ins Rheinland gehen, sei es in Form direkter Annexionen, sei es in Form eines indirekten Protektorats, um in der Eisen- und Stahlindustrie und der Energiegewinnung des neuen Frankreich das Gleichgewicht wiederherzustellen. [... ]
Wir glauben nicht, dass es sich dabei allein um Träumereien von Verbandsvertretern ohne politische Verantwortung handelte, sondern dass im Gegenteil die politischen Führungsschichten, wenn auch in einer klügeren und vor allem diskreteren Form, Ziele derselben Art anvisierten. Ihre im wesentlichen politischen und strategischen Überlegungen deckten sich so weitgehend mit den ökonomischen Betrachtungen der Experten.