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'Konzentration der Akteure und Marktaufteilung'
 
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Konzentration der Akteure und Marktaufteilung

Am industriepolitischen Kurs der Regierung hat der Sonderfall Vivendis - der viel mit den Visionen eines Managements zu tun hatte, das Finanzspekulationen und Shareholder value einen größere Stellenwert beimaß als klassischer industrieller Unternehmensführung - nichts geändert. Ob Pharma (Aventis) oder Medien - wichtig bleibt der Erhalt des Standorts Frankreich).

Dies hat auch die Konzentration auf einem horizontal und vertikal stark integrierten Medienmarkt [1] gefördert, den sich insgesamt sechs Unternehmensgruppen mit dem geschrumpften Vivendi Universal teilen, allesamt börsennotierte Aktiengesellschaften. Diese sind mehr oder minder in allen Mediensparten vertreten (Cross-Media-Ownership) bzw. planen dies in naher Zukunft.

Der Baulöwe Bouygues SA hebt das Fernsehen ins Industriezeitalter

Als im April 1987 das erste Fernsehprogramm TF1 zur Privatgesellschaft umstrukturiert wurde, gingen zehn Prozent des Kapitals an die Belegschaft und 40 Prozent an die Börse (Kleinanleger). Die andere Hälfte wurde im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens an eine Gruppe von Investoren veräußert, darunter den federführenden Gesellschafter Bouygues [2] SA mit 41,1 Prozent der Anteile (Stand Ende 2003), der auch die Lizenz erhielt. TF1 ging noch im gleichen Jahr unter dem Namen TF1 SA an die Börse und wuchs allmählich zu einer mächtigen Film- und Fernsehgruppe heran: der Groupe TF1.

Abbildung 8:  

Bouygues est aujourd'hui un groupe industriel diversifié structuré par une forte culture d'entreprise. Implanté dans 80 pays, Bouygues compte 124.000 collaborateurs.

 

Internet-Quelle [3]

Die Übernahme des ersten Fernsehprogramms durch die Bouygues SA, einen der weltgrößten Hoch- und Tiefbaukonzerne, löste damals bei Kulturschaffenden einen Sturm der Entrüstung aus. "Ausverkauf" des kulturellen Erbes und "Cow-Boy-Methoden" warf man der neuen Führung vor. Nun war Bouygues zwar nicht der erste private Konzern, der in Frankreich Fernsehen veranstaltete (11), aber der erste medienfremde. 

Mit ihm verbreitete sich ein neuer Geschäftsansatz in der Führung eines Fernsehunternehmens. Bouygues brach mit der öffentlichen Verwaltungskultur, die den staatlichen Rundfunk bis dahin geprägt hatte. Der Konzern übertrug das Modell rationalen und effizienten Wirtschaftens in eine risikoreiche und finanzintensive Branche, die zuvor öffentliche Mittel verwaltete und deren Werbeeinnahmen sich nur in geringem Ausmaß an den Einschaltquoten orientiert hatten. Mit der Privatisierung von TF1 wurde Fernsehen als eine Industrie anerkannt.

Anders als die CGE verfolgte die Bouygues SA keinen wilden Expansionskurs. Der Baulöwe stieg Mitte der 1990er Jahre ebenfalls ins Telekommunikationsgeschäft ein: Auch er ging somit den Weg von der Infrastruktur zu den Inhalten, doch hält er sich mit Auslandsbeteiligungen bis heute zurück. Als die deutsche Kirch-Gruppe Insolvenz  [4] anmeldete, zeigte die Tochter TF1 [5]  Interesse an einer Kapitalbeteiligung (12) doch die Muttergesellschaft Bouygues zögerte. Es blieb schließlich bei der bisherigen Kooperation mit Leo Kirch bei Film- und Fernsehproduktion. 

Die TF1-Gruppe ihrerseits wächst beständig - als Medienkonzern mit Produktion, Vertrieb und einer hauseigenen Werbezentrale. Komplementär zum terrestrischen TF1 - absoluter Marktführer mit 32 Prozent Zuschauermarktanteil und einem Anteil am Werbemarkt von gut 50 Prozent - gründete die Gruppe eine Familie von analogen wie digitalen Spartensendern (darunter Eurosport oder den in Wirtschaft und Politik gepriesenen Newskanal LCI). Herzstück ist die Beteiligung (66 Prozent) an der digitalen Satellitenplattform Télévision par Satellite (TPS), die ca. 50 Programme im Abonnement vertreibt sowie interaktive Dienste anbietet. Da solche Angebote in Zukunft ebenfalls über das telefonische Festnetz (ADSL-Technik) verbreitet werden können und France Télécom Mitgesellschafter bei TPS ist, ergeben sich hier willkommene Synergien mit dem Telekom-Bereich von Bouygues. 

Abbildung 9:

Das Verwaltungsgebäude von TF1 in Paris.
Le siège de TF1 se compose de cinq bâtiments totalisant 45.000 m2 de bureaux, mais aussi de lieux de détente.

 

 

 

 

Internet-Quelle [6]

Somit beherrscht die TF1-Gruppe nicht nur einen großen Teil des analogen terrestrischen Fernsehmarktes, sondern auch knapp die Hälfte des so genannten "Komplementärangebots", das in Frankreich nur als Pay-TV zu beziehen ist: die Kabel- und Satellitenprogramme.

2003 stieg die Gruppe auch in den Printmedienbereich ein - als Partner des schwedischen Konzerns Metro [7] International, mit dem sie die Gratiszeitung "Metro" herausgibt. Mit dieser Entwicklung wird für die kommende Markterweiterung vorgebaut, die sich mit der Einführung von digitalem terrestrischen Fernsehen und dem Ausbau des Regionalfernsehens in Partnerschaft mit Presseverlagen ergeben wird.

Lagardère Groupe - vom Rüstungs- zum Medienkonzern

Der Einstieg des Flugzeugbauers und Rüstungskonzerns Lagardère [8] Groupe verlief weniger spektakulär. 1980 kaufte [9] der Technologiekonzern Matra - Kerngesellschaft der heutigen Lagardère Groupe - Frankreichs führenden Buch- und Zeitschriftenverleger, die Hachette-Gruppe, die auch weltweit die Nummer 1 ist. Diese verlegt die Wörterbücher "Larousse", die historische Taschenbuchreihe "Le Livre de Poche", Programmhefte wie "Télé 7 Jours" oder Zeitschriften wie "Elle" und "Paris Match". Dazu gehören zahlreiche Filialen und Beteiligungen in Europa und den USA (z.B. der Lexikonverlag Grolier).

Abbildung 10:

Der ehemalige Rüstungskonzern Lagardère, der seit den 180er Jahren systematisch zu einem der bedeutendsten Medienkonzerne erweitert wurde.

 

 

 

Internet-Quelle [10]

Hachette [11]  ist seit Kriegsende neben dem Staat (51 Prozent) ebenfalls Anteilseigner (49 Prozent) der Pressevertriebsgesellschaft Nouvelles Messageries de la Presse Parisienne (NMPP [12] ). Diese hat in Frankreich das Monopol beim Vertrieb sowie ein Quasi-Monopol beim Zeitungsdruck und ist fest in den Händen der kommunistischen Druckergewerkschaft Le Livre (CGT), die sehr schnell zu Auslieferstreiks bereit ist oder sich mit brachialer Gewalt gegen unliebsame Konkurrenz schützt (13). Diese Machtposition treibt die Löhne und entsprechend die Druck- und Vertriebskosten der Zeitungen in die Höhe. Einige Zeitungsgruppe sind daher bereits aus der NMPP ausgetreten (so die Amaury-Gruppe [13]  mit der Zeitung "Le Parisien-Aujourd'hui") oder haben sich ihnen nie angeschlossen, so etwa die seit 2002 boomenden Gratiszeitungen. Über eine Reform der NMPP wird seit Jahren debattiert.

Als die französische Regierung 1986 begann, eine Reihe von Staatsunternehmen zu privatisieren, erhielt Hachette den Zuschlag für den Radiosender Europe 1 [14] . Diesen hatte der Staat über seine Finanzbeteiligungsgesellschaft Sofirad 1955 im damals noch französischen Saarland gegründet, und er nutzte damit die nach Westen gerichtete ehemals deutsche Langwellen-Frequenz, um mit einem Staatsprogramm dem benachbarten kommerziellen und politisch daher unabhängigen RTL Paroli zu bieten. Noch heute sendet Europe 1 - eines der drei führenden französischen Radio-Vollprogramme - über Langwelle aus dem Saarland, obwohl das Studio sich in Paris befindet. 

Die Europe 1-Gruppe hat sich mittlerweile zu einem Radioverbund entwickelt, dessen Anteil am Hörfunkmarkt knapp unterhalb der durch die Konzentrationsbestimmungen zugelassenen 30 Prozent liegt. Dazu gehören Europe 2 [15]  und RFM [16]  (beides Musiksender). Seit der Zulassung des privaten Rundfunks in Deutschland ist die Gruppe hier ebenfalls an verschiedenen Programmen beteiligt, z.B. an dem Berliner Sender 98,8 Kiss FM [17]  (die Adaption eines französischen Programms gleichen Namens) oder dem Saarbrücker Radio Salü [18] . Europe 1 war ebenfalls eine der ersten französischen Mediengruppen, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs an der Entwicklung des kommerziellen Radios in Osteuropa beteiligten. 

Diese Paarung von Rüstung bzw. Hochtechnologie und Medien schreckte die Öffentlichkeit nur wenig, die kurz nach Beendigung des staatlichen Rundfunkmonopols politische Einflussnahme mehr fürchtete als eine mögliche Interessenkollision zwischen Konzern-PR und unabhängiger Berichterstattung. Diese Gefahr besteht in Wirklichkeit auch kaum, da sie dem Ruf - und entsprechend den Einschaltquoten oder den Verkaufszahlen - der Informationsträger schaden würde. Ein Risiko ist hingegen nicht von der Hand zu weisen: Es entsteht, wenn der Verleger gleichzeitig der mächtigste Anzeigenkunde seiner eigenen Produkte ist oder wenn die Medien auf einen wichtigen Anzeigenkunden angewiesen sind. Aber das ist in der Mode- und Motorpresse nicht anders.

Die Lagardère Groupe besitzt ebenfalls Fernsehbeteiligungen. Sehr früh engagierte sich der Konzern, ebenfalls ein gewichtiger Film- und Fernsehproduzent, im Bereich des Kabelfernsehens (Pay-TV). Zum Portfolio gehören ein Wetterkanal (La Chaîne Météo [19] ), ein Jugendsender (Canal J [20] ), Musikprogramme (MCM, Muzzik) usw. Diese und ähnliche Programme werden heute ebenfalls über die digitale Satellitenplattform CanalSatellite [21]  verbreitet, an der sich der Rüstungskonzern im Rahmen einer im Jahr 2000 beschlossenen "strategischen Allianz" mit Vivendi beteiligte (34 Prozent). 

Auf den digitalen Pay-TV-Markt konzentriert sich der Konzern, seitdem er im Jahr 1992 auf dem freien, analogen terrestrischen Markt gescheitert war. Das Programm La Cinq [22] , das er gemeinsam mit Berlusconis Reteitalia (federführender Gesellschafter) betrieb, musste Konkurs anmelden. Dabei hatte offensichtlich auch die Politik noch ihre Hand im Spiel (14). Der Regierung war das Programm ein Dorn im Auge: Nach der Privatisierung von TF1 waren die privaten TV-Programme in der Überzahl (3:2), und die staatlichen Programme litten unter dem erhöhten Konkurrenzdruck - ihnen brachen die Werbeeinnahmen weg. Der frei gewordene Kanal wurde mit ARTE [23]  besetzt. 

Seitdem setzt die Largardère Groupe gezielt auf das Marktpotenzial, das sich aus der Konvergenz von Online-Diensten und Rundfunk ergibt. Der Konzern mit Schwerpunkt Technologie gründete nicht nur einen Internet-Provider (Club Internet) für jedermann, sondern bietet auch E-Business-Beratung für Unternehmen. Die anstehende digitale Kapazitätserweiterung für Hörfunk und TV veranlasst den Konzern heute dazu, seine Geschäfte neu zu sortieren. Die Sparten Rüstung wie Flugzeugbau sollen von den Medien getrennt und teilweise veräußert werden. Die Lagardère Groupe plant den Umbau zum reinen Medienkonzern.

Dassault - die Nachfolge von Hersant

Neu auf dem Medienmarkt ist der Flugzeugbauer Dassault. Im Juni 2004 übernahm seine Mediensparte Dassault Communication [24] die Mehrheit (82 Prozent) der Verlagsgruppe Socpresse, die nach dem Tod ihres Gründers Robert Hersant zum Verkauf stand. Diese verlegt Tageszeitungen wie die französischen Zeitungen "Le Figaro" oder "Le Dauphiné libéré", die belgische "Le Soir" sowie Nachrichtenmagazine wie "L'Express". Dassault Communication verlegt seinerseits das Wirtschaftsmagazin "Valeurs actuelles", die Finanzzeitung "Le Journal des Finances" oder das Regionalblatt "La Gazette du Val d'Oise".

Mit dieser Übernahme [25] schließt sich ein Kapitel französischer Zeitungsgeschichte. Ähnlich wie Axel Springer gründete Robert Hersant in den 1950er Jahren zunächst eine Zeitung ("L'Auto-Journal") und kaufte im Lauf der 1970er einige weitere hinzu, u.a. sein Flaggschiff "Le Figaro" sowie eine Reihe von Regionalblättern. Auf diese Weise baute er eine mächtige Verlagsgruppe auf, die ein Drittel der Pariser Zeitungen und ein Fünftel des Regionalmarkts umfasste, was in den 1980ern zur Konzentrationswelle auf dem französischen Pressemarkt beitrug und eine Ursache für die rasche Liberalisierung des Rundfunks war. Hersant war, neben Hachette und Berlusconi, Mitbegründer des kurzlebigen Kanals La Cinq.

Abbildung 11:

Marcel Dassault, Begründer eines Industrieimperiums, das inzwischen auch im Mediensektor sehr verankert ist.

 

Internet-Quelle [26]

Heute, in neuen Händen, bringt die Socpresse wieder Bewegung in die Presse- und Medienlandschaft. Die EU-Kommission hatte die Übernahme unter der Bedingung genehmigt, dass Dassault Communication einige Titel der Verlagsgruppe verkauft. Interesse an diesen Publikationen dürften andere Industriekonzerne zeigen, die schon im Besitz zahlreicher Medien sind. Der Luxusgüterkonzern LVMH [27] (Louis Vuitton-Moët-Hennessy) betreibt Radio Classique [28] , ein Musikradio mit Wirtschaftsnachrichten, er verlegt die Wirtschaftszeitung "La Tribune", die Kunstzeitschrift "Connaissance des Arts", und ist Internet-Provider (z.B. mit der Unternehmensbörse Salon des Entrepreneurs [29] ). Die Gruppe PPR [30] (Pinault-Printemps-La Redoute), der die Medienkaufhauskette FNAC [31] oder das Modehaus Gucci gehören, besitzt z.B. Anteile am führenden Wirtschaftsradio BFM [32] , sie verlegt die Finanzzeitung "L'Agefi" sowie das Nachrichtenmagazin "Le Point".

Abbildung 12:

Der Luxusgüterkonzern LVMH (Louis Vuitton-Moët-Hennessy) betreibt Radio Classique, ein Musikradio mit Wirtschaftsnachrichten, er verlegt die Wirtschaftszeitung "La Tribune", die Kunstzeitschrift "Connaissance des Arts" und ist Internet-Provider (z.B. mit der Unternehmensbörse Salon des Entrepreneurs).

Internet-Quelle [33]

Fast die gesamte Presselandschaft ist somit heute fest in den Händen von Industriekonzernen bzw. Finanzinvestoren (vor allem Versicherungsgesellschaften). Selbst "Le Monde [34] " und "Libération [35] ", die noch ihre Unabhängigkeit als Markenzeichen verwerten, gehören schon längst dazu, was ihre Kapitalstruktur angeht, und planen in naher Zukunft den Börsengang. Nur einige Verlage der Regionalpresse hat dieser Trend noch nicht erreicht; darunter befindet sich die einzige finanzkräftige Gruppe Ouest-France [36] mit der größten französischen Regionalzeitung gleichen Namens. Alle anderen sind noch in Familienbesitz und/oder stehen vor Nachfolgeproblemen, was sie wirtschaftlich schwächt.

Auch sie werden über spät oder lang ihr Kapital öffnen müssen - für Industriekonzerne oder Verlagsgruppen, die sich wie Le Monde SA im Aufbau befinden. Die Pariser Tageszeitung kaufte sich unlängst z.B. bei "Le Midi Libre" ein und übernahm die katholische Programmzeitschrift "Télérama". Und mit der Lagardère Group betreibt sie Le Monde Interactif, ein Internet-Portal mit Pay-Diensten.

Groupe SUEZ. Ausstieg aus RTL Group. Aufstieg in die Energiewirtschaft

Das Beispiel des Energie- und Wasserversorgers Groupe SUEZ [37] (ehemals: Lyonnaise des Eaux) macht deutlich, dass die Gründungs- und erste Entwicklungsphase des Medienmarktes abgeschlossen sind. Im Zusammenhang mit der EU-weiten Liberalisierung der Energiemärkte sind dem Konzern heute die Wachstumsperspektiven in diesem Segment wichtiger als Medienbeteiligungen, die für ihn ohnehin mehr politisch als wirtschaftlich Sinn machten.

So hat Groupe Suez Anfang 2004 seine Beteiligung an der Satellitenplattform TPS und am terrestrischen Vollprogramm M6 [38] abgestoßen. Damit aber stürzte das Unternehmen die Aufsichtsbehörde CSA - und im Hintergrund die Regierung - in große Bedrängnis. Denn bei dieser Gelegenheit wurde offensichtlich, dass die Konzentrationsregelung im Rundfunk reformbedürftig ist.

Bisher darf in Frankreich (ähnlich wie in Deutschland bis 1995) ein Gesellschafter bzw. Aktionärsverbund höchstens 49 Prozent des Kapitals halten (Konsortialmodell). Der Mitgesellschafter RTL [39] Group, federführend für M6, hätte seine Anteile gern entsprechend aufgestockt; er durfte dies jedoch nicht, weil er sonst gleich zweifach gegen das Konzentrationsrecht verstoßen hätte. Ein ausländischer Gesellschafter darf nämlich maximal 20 Prozent der Anteile an einem nationalen Fernsehanbieter halten. Diese Bestimmung des Gesetzes von 1986 soll die französischen Medien vor einem "Ausverkauf" ans Ausland schützen.

So wurde ein Kompromiss gefunden: Die RTL Group erhöhte ihren Anteil auf 48,39 Prozent, musste sich im Gegenzug aber mit einen Stimmrechtsanteil von 34 Prozent begnügen. Der CSA verpflichtete sich seinerseits zu Neuverhandlungen, sollte die Regierung die Konzentrationsgrenzen lockern, so der offizielle Tenor. Daran führt aber kein Weg vorbei, weil sich die französischen Bestimmungen kaum mehr mit dem freiem Dienstleistungsverkehr sowie der Niederlassungsfreiheit auf dem EU-Binnenmarkt vereinbaren lassen.

RTL Group. Der unliebsame europäische Medienriese 

RTL Group - der einzige reine Medienkonzern [40]  - ist Frankreich ein Dorn im Auge. Die 20 Prozent-Regelung ist eindeutig - wenngleich natürlich nicht offiziell - auf die Partner des deutsch-luxemburgischen Medienkonzerns gemünzt, der 1996 aus der Fusion zwischen der Bertelsmann-Tochter Ufa und der luxemburgischen Rundfunkgesellschaft CLT entstanden war. In Frankreich wurde diese Fusion als ein "Ausverkauf" französischer Interessen an deutsches Kapital empfunden (15); denn spätestens seit Kriegsende galt die luxemburgische CLT als ein französisches Unternehmen, obwohl an dem Konzern maßgeblich auch belgisches Kapital (Albert Frère) beteiligt war. Das Großherzogtum hatte im Rundfunksektor nicht nur den Stellenwert eines "Rundfunk-Glacis", das der vermeintlichen deutschen Vormacht Grenzen setzen sollte (16), sondern ist seit Kriegsende auch Standort des größten der französischen Radios, des Vollprogramms RTL. 

Abbildung 13:   

Depuis le 13 janvier 1997, l'industrie européenne de la radio et de la télévision se plie devant la prédominance du groupe de médias CLT-Ufa, qui est devenu RTL Group en 2000 et dont le siège se trouve au Luxembourg. Le groupe a acquis une renommée internationale en raison de son expertise reconnue.

Internet-Quelle [41]

Dieser Sender, der daher als "radio périphérique" bezeichnet wird (ebenso Europe 1 und in geringerem Maße Radio Monte Carlo - RMC [42] ), hat die französische Radiokultur entscheidend geprägt. Seine reine Werbefinanzierung hat ihn immer vor staatlichen Eingriffen geschützt, und RTL wurde schnell zum glaubwürdigsten Sender, was dem Hörfunk insgesamt zugute kam - Radio gilt in Frankreich als das vertrauenswürdigste Medium überhaupt. RTL prägte aber auch das für ein so genanntes General Interest-Radio typische Programmschema: ein strenges Nachrichtengerüst mit einer Primetime zwischen 6 und 9 Uhr, Sport, Service, Hörspiele, Kultur, Talk-Shows, Gewinnspiele und Musik. Ein Programm für jedermann, wie man es in Deutschland nur vom Fernsehen kennt.

Nun lockerte der Rückzug von Suez die französische Anbindung des Juwels RTL umso schmerzhafter, als er das Gespenst einer schleichenden "Germanisierung" des französischen Medienmarktes weckt. Über ihre Mitwirkung an ARTE (50 Prozent) besetzen ARD und ZDF einen der wenigen frei empfangbaren terrestrischen Kanäle - das wird unter europa- und kulturpolitischen Gesichtspunkten begrüßt. Weniger Gefallen [43] findet in Frankreich die Tatsache, dass Prisma Presse, Tochter des deutschen Verlags Gruner+Jahr (Bertelsmann), inzwischen zur Nummer 2 auf dem französischen Zeitschriftenmarkt aufgestiegen ist.

Abbildung 14:

Avec plus de 90 % des actions, Bertelsmann détient toutes les clés de la gestion de RTL-Group.

 

 

 

Internet-Quelle [44]

RTL Group ist federführender Gesellschafter der M6-Gruppe [45] , die nicht nur das gleichnamige terrestrische Vollprogramm für jüngere Familien veranstaltet, sondern auch an der Satellitenplattform TPS beteiligt ist und dort sowie im Kabelangebot diverse Spartenprogramme anbietet, z.B. Téva [46] (Frauen), Cinéfaz, Infosport oder Fun TV.

Die Gruppe, die mit M6 frontal der Konkurrenz von TF1 ausgesetzt ist, steht unter extremem Innovationsdruck. So bietet M6 z.B. die einzige Wirtschaftssendung des französischen Fernsehens (Capital), und es war das erste Programm, das in Frankreich die Reality-TV-Formate des holländisch-spanischen Unterhaltungskonzerns Endemol sendete, angefangen von "Big Brother" (französischer Titel: "Loft Story") bis zu "Popstars".

Zudem arbeitet M6 seit Beginn der 1990er Jahre eng mit der Regionalpresse zusammen, indem es als erster Anbieter in Frankreich lokale Regionalnachrichten sendete. Dafür wird - wie früher im ersten Programm der ARD - zu bestimmten Zeiten das Programm auseinander geschaltet. France 3 [47] , das staatliche Vollprogramm mit Regionalstudios (France Télévisions [48] ), machte es dem privaten Programm wenig später nach. Die Nachfrage nach regionalen Nachrichten ist umso größer, als im zentralstaatlich strukturierten Frankreich die Informationsmedien samt und sonders auf das nationale Geschehen ausgerichtet sind - mit Ausnahme natürlich der Regionalpresse und einer Handvoll Radiosender.

Abbildung 15:

Seit 2002 gehört der M6-Gruppe auch der Fußballclub Les Girondins de Bordeaux - eine Beteiligung, die für das Angebot an Sportprogrammen von besonderem Interesse ist.

Internet-Quelle [49]

Seit 2002 gehört der M6-Gruppe auch der Fußballclub Les Girondins de Bordeaux - eine Beteiligung, die für das Angebot an Sportprogrammen von besonderem Interesse ist. M6 ist in dieser Hinsicht bei weitem nicht die einzige Mediengruppe, die sich auf diesem Weg die "Ware" Sportereignisse sichert. Canal + besitzt z.B. den Fußballclub Paris Saint-Germain. Die Pressegruppe Amaury mit der Sportzeitung "L'Equipe" (die meist gelesene Zeitung Frankreichs) war allen ein Vorbild - sie ist nicht nur Partner der Tour de France, sondern auch Mitveranstalter diverser Veranstaltungen, darunter der Rallye Paris-Dakar. Und bei der kommenden weiteren Differenzierung des Programmangebots im Zuge der Digitalisierung ist der Zugang zu Sportrechten und anderen innovativen Inhalten mehr als wertvoll.

NRJ Group - eine etablierte Neugründung

Untypisch für das Engagement von Industriekonzernen im Medienbereich ist NRJ Group [50] , ein börsennotiertes Unternehmen im Besitz des Gründers, Jean-Paul Baudecroux [51] ; dieses beteiligt sich kräftig am nationalen Konzentrationsprozess und wächst auf dem europäischen Markt. Baudecroux startete 1981 in Paris eine neues Format: ein Jugend- und Musikradio. Damals gab es in Frankreich nur ein halbes Dutzend Radiosender, die über Langwelle sendeten und so im ganzen Land zu empfangen waren: die staatlichen Radiosender und die "radios périphériques", die aus diesem Grund als nationale Medien betrachtet wurden - eine Einschätzung, die sich bis heute gehalten hat.

Piratensender und die politische Opposition entdeckten zu diesem Zeitpunkt das UKW-Band, das in Frankreich noch nicht erschlossen war. Dazu gehörte auch NRJ [52] , das, wie fast alle Sender, 1982 legalisiert wurde. Heute besteht parallel zu den nationalen Vollprogrammen (auf Langwelle und UKW) eine Vielzahl (über 1 800) von kleineren UKW-Radios mit geringer technischer Reichweite. Da ihr entsprechend kleiner Hörerkreis keine ausreichende Wirtschaftlichkeit garantiert, schlossen sie sich zusammen oder gründeten Netzwerke.

Abbildung 16:

NRJ-Energy, der Zusammenschluss aller Filialen der NRJ-Group außerhalb Frankreichs. Wichtigster Standort ist Deutschland.

 

 

 

 

Internet-Quelle [53]

Eines der größten Netzwerke bildete durch Aufkäufe NRJ, das seine Radios unter vier Dachmarken gruppierte: NRJ (Stamm-Marke), Chérie FM, Rire & Chansons sowie Nostalgie. Als die NRJ Group in Frankreich ihre Wachstumsgrenzen erreichte, gründete sie in Europa unter dem Namen Energy [54] (wegen des Gleichklangs) Filialen und etablierte damit ihre Marken europaweit. Der wichtigste Standort ist Deutschland, einmal wegen der Dynamik des Werbemarktes - er ist doppelt so groß wie der französische - und dann, weil das Medium Radio im europäischen Vergleich hier noch unterentwickelt ist.

In Frankreich bereitet sich die NRJ Group nun auf den Start des digitalen terrestrischen Fernsehens vor. In Planung ist ein Vollprogramm mit starkem Musikanteil: NRJ TV. Es soll frei empfangbar sein und muss sich daher rasch bei den Zuschauern etablieren - je höher die Quote, desto größer die Werbeeinnahmen. Synergien liegen auf der Hand: Das Radio NRJ wird kräftig für NRJ TV [55] werben und so den Bekanntheitsgrad des neuen Programms stützen. Dass NRJ Group - anders als seine Mitbewerber - nicht auf das verschlüsselte Pay-Angebot als Geschäftsmodell setzt, liegt daran, dass auch der französische Werbemarkt demnächst liberalisiert wird. Um mit dem EU-Wettbewerbsrecht konform zu gehen, muss Frankreich das Verbot für Film- und Buchwerbung aufheben. Für Printmedien und Handel wurde dieses schon Anfang 2004 teilweise gelockert. Damit entstehen Wachstum und neue Dynamik.

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Anmerkungen

(11) Präsident François Mitterrand hatte der Berlusconi-Gruppe und anderen befreundeten Unternehmen höchstpersönlich noch vor Verabschiedung des Kommunikationsgesetzes 1986 eine Sendeerlaubnis erteilt. 

(12) Isabelle Bourgeois, " Jetzt oder nie. TF1 zieht es zu Kirch nach Deutschland", in epd medien Nr. 20 vom 15.03.2003

(13) Isabelle Bourgeois, Es geht ans Eingemachte. Frankreichs Krieg gegen Gratiszeitungen, in: epd medien Nr. 21 vom 20.03.2002

(14) Isabelle Bourgeois, La Cinq vor dem Aus. Chronik eines angekündigten Todes, in: epd medien Nr. 25/26 vom 4.04.1992.

(15) Isabelle Bourgeois, Ausverkauf. Was die Fusion CLT-Ufa in Frankreich wirklich bedeutet, in: epd medien Nr. 53 vom 10.07.1996.

(16) Aus genau diesem Grund galt die CLT Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre (als die Debatte um die Rundfunkliberalisierung begann) in Deutschland als suspekt.

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