- Kulturelle und territoriale Vielfalt bis zum Zeitalter der Revolution
- Von den verachteten "Fröschefressern" zu den "besten Deutschen": Zur Geschichte der Hugenotten in Deutschland
- Migrationen und kultureller Austausch seit 1815
- Einleitung
- Ein Massenphänomen: ungelernte Arbeiter
- Politisches Exil
- Adressbuch der Deutschen von 1854
- Ein Phänomen für sich: hessische Straßenkehrer
- Zerstreut und zurückgezogen
- Bonnes à tout faire: deutsche Dienstmädchen
- Weiterführende Literatur und Internetadressen
- Minderheiten, Immigranten und Integration in Frankreich
- Einwanderung und Probleme der Integration in Deutschland seit 1960
- Laizität und Religionen im heutigen Frankreich
- Gesellschaftsvergleiche
- Das Jahr 1968 und die Folgen
- Begegnungen im Alltag
Sie sind hier: Deuframat > ... > "Tour de France" der Handwerker
"Tour de France" der Handwerker
Deutschsprachige Lehrlinge und Gesellen kamen bereits im 17. Jahrhundert auf ihrer Walz nach Frankreich. Viele unternahmen eine regelrechte "Tour de France", die sie durch zahlreiche französische Städte führte. Die Wanderschaft dauerte oft mehrere Monate oder sogar Jahre. In einer Stadt angekommen, sprachen die Gesellen in den verschiedenen Werkstätten vor und baten um Arbeit. Wurde jemand gebraucht, so blieben sie für einige Zeit. Gab es keine Arbeit, ließen sich die Handwerker ihr "viatique" aushändigen, eine Art Wegegeld oder Hilfe zur Weiterreise.
Nach Paris wollten fast alle Handwerker, galt doch die französische Hauptstadt in vielen Bereichen als "haut lieu" des handwerklichen Könnens. Vor allem die hochspezialisierten Berufe wie Tischler, Schreiner und Möbelbauer sowie Schneider und Schuster konnten sich hier moderne Verfahrenstechniken aneignen. Nicht selten kamen auch Meister nach Paris, um dort gegen Bezahlung eine besondere Technik zu erlernen: so z. B. der belgische Damenfriseur François, der für seine Kundinnen in Brüssel das Wellenlegen "à la Marcel" in Paris erlernen wollte (3).
Die Physiognomie der deutschen Handwerker in Paris: links Schneider, rechts Schuster
Quelle: Deutsche Emigranten in Frankreich, Französische Emigranten in Deutschland 1685-1945. Eine Ausstellung des französischen Außenministeriums in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut, Paris 1983, S.89.
Der Aufenthalt in Paris war für die Handwerker auch aus Prestigegründen wichtig: Wer einige Zeit in der französischen Hauptstadt gearbeitet hatte, konnte sich hinterher auf dem heimischen Arbeitsmarkt gute Chancen ausrechnen. Auch beeindruckte die Weiterqualifizierung in Paris die Kunden in der Heimat. Umgekehrt genossen in Paris gerade die deutschen Handwerker einen ausgezeichneten Ruf. Das galt vor allem für die qualifizierten Kunsttischler mit ihren Intarsienarbeiten sowie für die deutschen Schneider. Die Haute Couture war damals deutsch und es gehörte in der französischen Gesellschaft zum guten Ton, seine Garderobe bei einem deutschen Schneider fertigen zu lassen.
"Non-seulement les tailleurs allemands sont en très-grand nombre à Paris, mais encore il est à remarquer que tous les plus célèbres dans les annales de la mode nous sont arrivés d'outre-Rhin, et le bon goût français, si renommé en Europe, doit une immense partie de ses progrès à ces Allemands qui passent tout justement pour très-mauvais juges en fait d'élégance et d'adjustments."
Aus: Louis Huart, L'Allemand, in: Louis Desnoyers u.a. (Hg.), Les étrangers à Paris, Paris 1844 (?), S. 160-180, hier S. 167.
Aufgrund ihres Erfolges ließen sich deutsche Meister in Paris nieder. Dabei ordneten sie sich in die Gewerbegeographie der Stadt ein: die Tischler und Möbelbauer in den Faubourg Saint-Antoine gleich hinter der Bastille, die Schneider in das Viertel Sentier im 2. Arrondissement. Viele dieser sesshaften Handwerker integrierten sich, lernten Französisch, verheirateten sich mit Französinnen und ließen sich naturalisieren.
Die Werkstätte dieser deutschen Meister zogen die deutschsprachigen Gesellen auf ihrer Wanderschaft an. In so manchen Werkstätten und Hinterhöfen im Faubourg Saint-Antoine soll ausschließlich deutsch gesprochen worden sein. Hinzu kamen deutsche Tavernen, Kaffeehäuser, Läden, Leseclubs und Vereine, so dass sich mancher aufgrund der starken Präsenz und Sichtbarkeit der Deutschen eher in Berlin oder Leipzig als in Paris glaubte (4). Die Integrationsfähigkeit der Gesellen war eher schwach ausgeprägt: Kontakte zu Franzosen, die über das Berufliche hinausgingen, soll es kaum gegeben haben. Der größte Teil von ihnen soll auch nach jahrelangem Aufenthalt nur sehr ungenügend Französisch gesprochen haben. Meistens blieben die deutschsprachigen Handwerker unter sich und verbrachten auch ihre Freizeit miteinander.
"Depuis très-longtemps, les Allemands ont à Paris, pour ainsi dire, le monopole de certains genres d'industries; les bottiers et les tailleurs de cette nation sont surtout tellement nombreux, qu'on pourrait croire que les Allemands seuls ont la vocation de ces professions. (...) Le nombre des bottiers ou ouvriers bottiers allemands s'élève bien à deux mille, et celui des tailleurs ou compagnons tailleurs à quatre mille. Presque tous ces ouvriers sont garçons, et vivent, pour ainsi dire, en communauté dans certains hôtels où on parle allemand du rez-de-chaussée aux mansardes."
Aus: Louis Huart, L'Allemand, in: Louis Desnoyers u.a. (Hg.), Les étrangers à Paris, Paris 1844 (?), S. 160-180, hier S. 166.
Mit der einsetzenden Industrialisierung wurde die Zahl derjenigen Gesellen immer größer, die für geringen Lohn eher mechanische Arbeit an Maschinen ausführten. Vor allem Schneider und Schuster waren davon betroffen und damit auch oftmals der allgemeinen Verelendung ausgesetzt. Vielfach lebten diese Gesellen zu viert oder mehr gemeinschaftlich in einem armseligen Zimmer ohne Licht und ohne Heizung in einem Garni-Hotel, wo sie auf strohbedecktem Boden schlafen mussten.
_____________________
Anmerkungen