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'Die Teilung Deutschlands - eine Zäsur der Geschichte'
 
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Die Teilung Deutschlands - eine Zäsur der Geschichte

Drei politische Vorgänge führten im Laufe des März und April dazu, daß im deutsch-französischen Verhältnis eine Beruhigung eintrat. Und wenn sich das persönliche Verhältnis zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl auch nicht verbesserte, so entkrampfte es sich doch. Diese drei Vorgänge waren: die Festlegung der Inhalte, die im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Gespräche behandelt werden sollten, das Ergebnis der Volkskammerwahlen in der DDR am 18. März und schließlich eine gemeinsame europäische Initiative von Helmut Kohl und François Mitterrand, die am 18. April in einem gleichzeitig in Paris und Bonn veröffentlichten Brief an den irischen Ratspräsidenten vorschlugen, bei dem EG-Sondergipfel zur Deutschen Einheit, der für den 28. April in Dublin geplant war, die politische Union Europas gleichzeitig mit der Währungs- und Finanzunion zu verhandeln und zum 1. Januar in Kraft treten zu lassen.

In den Zwei-plus-Vier-Gesprächen hatte Frankreich das seinem Rang zustehende Mitspracherecht über die deutsche Einheit erhalten. Der Ausgang der Volkskammerwahlen machte François Mitterrand, der sofort nach Bonn gratulierte (31), klar, daß die Politik von Helmut Kohl ihre Weihe durch das Volk der DDR erhalten hatte. Der Ausgang der DDR-Wahl machte Mitterrand aber auch bewußt, daß nun die deutsche Einheit nach Artikel 23 GG vollzogen werden würde, die wiederauflebenden Länder der DDR sich also der Bundesrepublik anschlössen, so daß es keine Beitragsverhandlungen zwischen EG und DDR geben müßte, die automatisch Ansprüche Polens und Ungarns nach sich gezogen hätten. 

"Die Deutschen müssen eine symbolische Geste machen, ein faßbares Zeichen ihres Willens, Europa wieder anzukurbeln. " So lauteten Forderungen aus der Ebene der hohen Beamten, die damit der Presse in Paris Zitate lieferten, so daß in den Gazetten das schlechte deutsch-französische Verhältnis belegt werden konnte. 

Diese Kritik ließ sich nach der gemeinsamen Europa-Initiative von Kohl und Mitterrand nicht mehr aufrechterhalten, zumal eher Bundeskanzler Kohl für die politische Union Europas Druck machte als der französische Staatspräsident, der weiterhin etwa einer Verstärkung der Rechte des Straßburger Parlaments kritisch gegenüberstand. Im Élysée freute man sich aber besonders, daß Bonn, ohne lange zu zögern, auch das französische Streben nach einer europäischen Sicherheitspolitik in den Brief nach Dublin aufgenommen hatte. Damit war allerdings immer noch nicht der französische Wunsch angenommen, den Termin der Regierungskonferenz vorzuziehen. Allerdings war Bonn jetzt wenigstens bereit, ein Abschlußdatum für die Verhandlungen über die europäische Währungs- und Finanzunion festzusetzen. 

Auch Mitterrand reiste in Sachen Neuordnung Europas: Am 19. April traf er sich mit US-Präsident George Bush auf Key Largo in Florida, am 25. Mai mit Michail Gorbatschow in Moskau. Doch die großen Linien des Weges zur Einheit sind abgesteckt, es geht jetzt um die Feinarbeit, und da kämpfen die Franzosen weiterhin um jedes Karo auf dem Millimeterpapier – allerdings doch nicht so verbissen wie die Briten. In der EG, so fordert Europa-Ministerin Edith Cresson, müsse klar sein, daß dem zukünftigen Deutschland keine "besondere, zusätzliche Hilfe" gewährt werden dürfe, um den wirtschaftlichen Rückstand der ehemaligen Gebiete der DDR aufzuholen. Frankreich werde auf die von den Deutschen eingereichten Anträge "sehr genau hinschauen, mit Sympathie, aber Wachsamkeit". Im Zwei-plus-Vier-Prozeß verweigern die Franzosen - allerdings nicht als einzige - den Deutschen die volle Souveränität, selbst die Sowjets sind offener. So wollen die Franzosen verhindern, daß die Westberliner bei der für Dezember 1990 angesetzten Bundestagswahl abstimmen dürfen, was die Amerikaner nutzen, um zu versuchen, einen Spalt zwischen Deutsche und Franzosen zu treiben. 

Die Regel sah vor, daß die Zwei-plus-Vier-Gespräche jeweils in einem anderen der sechs beteiligten Länder stattfinden sollten. Frankreich legte großen Wert darauf, die Sitzung, zu der der polnische Außenminister eingeladen wurde, um an der Regelung der Grenzfrage teilzunehmen, in Paris anzusiedeln. Als Datum wurde dafür der 17. Juli 1990 angesetzt. Der Durchbruch der deutsch-sowjetischen Verhandlungen in Moskau mit anschließendem Ausflug in den Kaukasus, vorbereitet durch Genschers Treffen mit Schewardnadse in Brest-Litowsk und in Münster, war am Tag zuvor dank der politischen Größe Michail Gorbatschows gelungen, so daß die Position der Bundesrepublik gestärkt worden war. 

Hans-Dietrich Genscher war, aus der Sowjetunion kommend, direkt nach Paris weitergeflogen. Nach der ersten Runde mit den Ministern der Zwei-plus-Vier fuhr Genscher in das schöne Stadtpalais, in dem die polnische Botschaft untergebracht ist, wurde von Außenminister Skubiszewski herzlich auf deutsch begrüßt, doch dann war für die Polen alles ein Mißverständnis, was in den letzten Wochen in Warschau erklärt worden war. Dort hatte die Regierung gefordert, Deutschland dürfe erst dann die volle Souveränität erhalten, wenn der Grenzvertrag mit Polen geschlossen sei. Und zwar sollten noch die beiden bestehenden deutschen Staaten einen Grenzvertrag mit Polen aushandeln und ihn bei der Vereinigung gleichzeitig ratifizieren. Polen wollte nun nicht nur einen Grenzvertrag, sondern bestand darauf, daß in dem Grundgesetz des vereinten Deutschland alle Bezüge auf die Grenzen von 1937 getilgt würden. Diese Forderungen unterstützten die DDR und Frankreich. Doch nach fünfzig Minuten hatte Hans-Dietrich Genscher das Problem mit der Zusicherung weitestgehender Wirtschaftshilfe geregelt, und die Zwei-plus-Vier-plus-Eins setzten sich im Quai d'Orsay zum Mittagessen zusammen. 

Als die Runde der Außenminister - der zwei deutschen, vier alliierten und des einen polnischen - sich nach dem Déjeuner zur Arbeitssitzung zurückzog, war bald ausgemacht: Polen würde nach Einigung und voller Souveränität Deutschlands einen Grenzvertrag mit Bonn abschließen. Dem sollte ein grundsätzlicher Vertrag über die deutsch-polnischen Beziehungen folgen, und die Garantie der Grenze würde in das Schlußdokument der Zwei-plus-Vier-Gespräche aufgenommen werden. Am Abend nach der Sitzung erklärte der französische Außenminister Roland Dumas: "Nichts steht dem mehr im Wege, daß Deutschland mit all seinen Rechten und voller Souveränität vor Ende des Jahres vereint wird." 

Ende September findet der letzte deutsch-französische Gipfel vor der Vereinigung statt. Er läuft fast routinemäßig ab. François Mitterrand handelt mit Helmut Kohl aus, daß der deutsche Bundeskanzler keinen Druck auf Paris in Fragen GATT ausüben wird, und begründet noch einmal den schon am 14. Juli verkündeten Beschluß, die französischen Truppen aus Deutschland innerhalb von zwei Jahren abzuziehen, da die Gründe für die Stationierung weggefallen seien: denn, so hatte es Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement ausgedrückt, es sei höflicher, sich bei einem Abendessen rechtzeitig zu verabschieden, bevor man gebeten wird, zu gehen. 

François Mitterrand zeigt sich mit der Regelung der deutschen Einheit zufrieden und rechtfertigt die von ihm eingeschlagene Politik am 25. September 1990 in einer Rede vor dem Forum Européen 90 de la Presse: "Diese Vereinigung war selbstverständlich: Sie lief in einer natürlichen Bewegung der Geschichte ab; sie konnte nicht verhindert, höchstens verzögert, erschwert, belastet werden. Und ich glaube, wenn die Sache so schnell und gut geregelt worden ist, dann, weil die Verantwortlichen, alle Verantwortlichen - es wurden immer mehr - die Weisheit hatten, von Anfang an alle Probleme zu nennen... Ich zähle sie auf: die Regelung, wie Deutschland seine volle Souveränität wiederfinden würde; die Bedingungen, unter denen die Vier Mächte auf ihre besonderen Rechte verzichten würden; die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze; die Bestätigung des deutschen Verzichts auf ABC-Waffen; die Regelung, wie die Lage der DDR gegenüber der Europäischen Gemeinschaft auszusehen hätte, nachdem dieses Gebiet integrierter Bestandteil Deutschlands geworden sein würde; eine ähnliche Regelung die NATO betreffend und schließlich die Bekräftigung der Verpflichtung Deutschlands beim Aufbau Europas. Über manche Punkte mußten wir hart verhandeln", und bei der Frage der Oder-Neiße-Grenze "mußte man es eher zweimal sagen als nur einmal..." 

Mit dem Ergebnis erklärte sich François Mitterrand auch in einem Gespräch zufrieden, zu dem er zwei Tage vor dem Inkrafttreten der deutschen Einheit Eberhard Piltz, Frankreich-Korrespondent des ZDF, und mich empfing. All seine Bedingungen sah Mitterrand als erfüllt an. 

"Die Teilung Deutschlands war ein Unfall der Geschichte", so Mitterrand. "Sie entsprach nicht der Wirklichkeit der Geschichte selbst und dem Leben eines Volkes. Deshalb betrachte ich die Einigung als normal. Sie folgt der Entwicklung der Zeit. Und ich ziehe daraus den Schluß, daß sie nur möglich war, weil demokratisch, friedlich und die Interessen der Nachbarn berücksichtigend. Diese Bedingungen sind vollkommen erfüllt, und zwar in einer Rekordzeit - und das ist gut so." 

"Vor einem Jahr haben viele Politiker die Befürchtung geäußert, die deutsche Vereinigung wurde die europäische Einigung verzögern. Ist diese Sorge heute noch berechtigt?" 

"Das ist schwer zu sagen. Ich selbst habe diese Befürchtung nie gehabt. Denn ich habe den Ablauf der Ereignisse von nahem begleitet. Ich habe häufig den Bundespräsidenten von Weizsäcker, Kanzler Kohl und Herrn Genscher getroffen und hörte immer wieder dasselbe Motto: Die deutsche Einheit und die Einheit Europas gehen Hand in Hand. Und die europäische Dynamik ist ja zum Teil der Bundesrepublik zu verdanken wie auch Frankreich. " 

"Mit dem Wandel der Weltpolitik entsteht auch die Notwendigkeit eines neuen Sicherheitsgefüges in Europa." 

"Ja, wenn die Europäische Gemeinschaft sich politisch zusammenschließt, dann muß sie sich auch sofort auf eine gemeinsame Sicherheitspolitik einigen. Zuerst aber brauchen wir die gemeinsame politische Union, um zu wissen, was man Verteidigungspolitisch macht." 

"Deutschland erhält nun seine volle Souveränität, und die Truppen der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges werden Deutschland verlassen. Frankreichs Situation ist besonders, da es die deutsch-französische Brigade gibt. Nun hat die deutsche Regierung Sie persönlich gebeten, die französischen Truppen nicht so schnell abzuziehen. Sie wollen das jedoch nicht. Weshalb halten Sie einen Verbleib französischer Truppen nicht für sinnvoll?" 

"Das ist meines Erachtens nicht angebracht. Aber ich bin bereit, den Abzug in angemessenem Zeitrahmen zu vollziehen. Die Hälfte wird in den nächsten zwei Jahren gehen. Wir können über die Fristen diskutieren. Das muß in bestem Einverständnis vollzogen werden. Ich werde da den Deutschen keine Entscheidung aufzwingen. Ich will nur verständlich machen, daß es weise wäre, keine fremden Truppen in einem großen Land wie dem Ihren zu stationieren, selbst wenn es die Truppen von Freunden sind. Wenn Deutschland dies im Rahmen der europäischen Verteidigung als notwendig empfindet, dann ist es etwas ganz anderes, und wir brauchen ein neues Abkommen. Darüber müssen wir dann offen reden. Wissen Sie, Frankreich will vermeiden, einen psychologischen Fehler zu begehen. Es möchte nicht dem Ablauf der Geschichte widersprechen. Wenn wir gemeinsam ein europäisches System aufbauen wollen, dürfen wir nicht auf den alten Machtverhältnissen der Nachkriegszeit beharren - von Sieger zu Besiegtem. Wir müssen ein neues Verhältnis aufbauen: von gleichgestellten Ländern, die befreundet und verbündet sind. Als Präsident der französischen Republik drücke ich die Gefühle Frankreichs und der Franzosen aus, wenn ich sage: Die Geschichte hat gesprochen, und sie hat gerecht gesprochen. Was ich vorhin einen Unfall der Geschichte nannte, die Teilung Deutschlands in zwei Staaten, das gehört nun der Vergangenheit an. Dem vereinten Deutschland wird jetzt die volle Verantwortung aufgebürdet, seinen Weg weiterzugehen, einen Weg, auf dem wir seit langem mitgehen, schon seit den fünfziger Jahren, um Europa ein neues Gesicht zu geben, um unserem Kontinent eine Gegenwart, eine Stärke, eine Präsenz in der Welt zu verleihen. Und man wird plötzlich feststellen, daß die Freundschaft und die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich und den anderen vielleicht das wichtigste geschichtliche Ereignis des modernen Zeitalters sein werden."

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Anmerkungen

(31) "Die deutsche Einheit in der Einheit der Gemeinschaft, sie selbst Vorspiel zur europäischen Einheit, diesen Weg haben wir gemeinsam vorgezeichnet, und dem gilt es von nun an zu folgen."

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