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'Ein Kontextmodell für die europapolitische Bildung'
 
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Ein Kontextmodell für die europapolitische Bildung

Das Modell von Geertz lässt sich als ein Kontextmodell deuten. In Kontexten denken ist die innere Logik, die Sinnlogik, die diesem "kulturrelativistischen" Ansatz zugrunde liegt. Es geht bei Geertz darum, über dichte Beschreibungen die provinzielle Verhaftung des Menschen festzuhalten, d. h. um die "Sinnprovinzen" (Ritsert 1988: 268 ff.), in denen der Einzelne zunächst mal in seiner Alltagswelt lebt, in die er qua Geburt und Aufwachsen eingeschweißt wird bis hin zu rituellen Zusammenhängen, Sprache, Dialekt usw. Der Ansatz von Geertz lässt sich auf die Formel bringen: den anderen aus seinem Kontext heraus verstehen. Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für eine europapolitische Bildung?

Abbildung 5:

Buchtitelseite von Clifford Geertz: "Dichte Beschreibung".

Zum Inhalt schreibt O. Mölk (2002): Die "dichte Beschreibung" von Ryle und Geertz charakterisiert spezifisch menschliches Handeln. "Dichte Beschreibungen" erfassen Handlungen als von Absichten und Regeln bestimmt. Ein Augenzwinkern etwa entspricht einer Absicht und hat eine durch Regeln bestimmte Bedeutung. "Dichte Beschreibungen" kommen in Erklärungen vor, die sich auf verfolgte Ziele und befolgte Normen beziehen.

Internet-Quelle [1]

Der herausgestellten Logik des Verstehens folgend, wäre von Schülerinnen und Schülern geäußertes Unverständnis etwa gegenüber fremden Kulturen nicht vorschnell als Unzulänglichkeiten oder abwehrende Unlust abzuwerten, sondern produktiv im Sinne einer Zumutung von Fremdem aufzufassen und weiterzuführen. Als Anhaltspunkte und Hilfe sind drei Kriterien herauszustellen, die den Ansatz von Geertz besonders charakterisieren:

  • dem Nicht Verstehen nachgehen;
  • beobachten und nicht einfühlen, bewusste Distanz;
  • in Kontexten denken, den anderen aus seinem Kontext heraus verstehen

Außerdem können Auslösesituationen und Zugangsweisen zum Verstehen des Fremden und Unbekannten benannt werden, die in dem Ansatz von Geertz implizit angelegt sind. Für das Verstehen sozialer und politischer Zusammenhänge können dies sein:

  • Grenzerfahrungen: rätselhaft erscheinende Szenen/Situationen was fremden Beobachtern unverständlich erscheint Anlass zu der Befürchtung, mit einem Aspekt der Erfahrung nicht fertig zu werden Situationen, die Ängste auslösen chronische Beunruhigung Unfassbares durchschaubar machen (z. B. Terror und Krieg);
  • Orts und Milieuwechsel: ländliches Milieu, städtisch geprägtes Milieu allgemeinere Integrationsmuster (z. B. Lokales und globale Verstrickungen)

Als Zugangsweisen zum Verstehen von sozialen und politischen Zusammenhängen lassen sich beschreiben:

  • Beobachtungshaltung: bewusst distanziert eingenommene Haltung sich mit anderen Antworten vertraut machen;
  • Selbst als öffentliches Selbst: weniger Zentriertsein auf Personen Umgangs und Verhaltensformen sozialer Kollektive Vorstellungsstrukturen, die die Handlungen bestimmen typische Eigenschaften dieser Strukturen;
  • Lokales Wissen: aus sich selber heraus in dynamische Spannung zueinander bringen;
  • Rituale, Situationen: genau beobachten, beschreiben, analysieren in der selbst geschaffenen eigenen Gegenwart Ausdrucksformen als ausgearbeitetes Beispiel dieses sozialen Lebens betrachten Durchbrechen üblicher begrifflicher Zuordnungen.

Ritualen kommt im Kontext europapolitischer Bildung eine besondere Funktion zu im Hinblick auf die Bildung eines Selbst und Weltverhältnisses, da diese trotz vorgegebener Rahmenhandlung immer auch die Möglichkeit in sich bergen, Erfahrungen zu machen. "Rituale reklamieren den körperlich praktischen, sinnlich handelnden Bezug zur Welt, und sie sind dem kulturdominanten Habitus des rationalen Akteurs entgegenzusetzen" (Combe 2000: 111).

Abbildung 6:

Unterrichtsprojekt "Unterwegs in Europa" an der Anton-Rée-Schule Allermöhle in Neu-Allermöhle bei Hamburg (Klasse 4a, 2001)

 

 

 

Internet-Quelle [2]

Offenbar kann auch über die Beschäftigung und den Umgang mit Ritualen, mit fremden Ritualen, ein unmittelbarer Zugang zur Welt hergestellt werden. "Sinn für symbolisches Handeln und Verstehen" kann geschärft werden, dazu bedarf es Combes Beobachtungen zufolge "feinfühliger Ethnologenseelen" (ebenda: 109). Anhand von Ritualen ließen sich Fragen z. B. von gesellschaftlicher und politischer Ordnung entzünden und auch sinnliche Erfahrungen machen.