- Föderalismus versus Zentralismus: Deutschland und Frankreich im Vergleich
- Räumliche Konsequenzen der römischen Herrschaft
- Die territorialen Folgen der Reformen Diokletians und Konstantins
- Die Herrschaft der Franken
- Vom Hochmittelalter zum Zeitalter der absoluten Monarchie
- Neuordnung der Verwaltungsstrukturen als Folge der Revolution
- "Régions de programme" und Dezentralisierung
- Literatur
- Frankreich auf dem Weg vom Zentralismus zur Dezentralisierung?
- Grenzüberschreitende Probleme und Kooperation
- Regionale Beispiele
- Paris & Berlin - Hauptstadtporträts
'Territorialstrukturen im keltischen Gallien'
Sie sind hier: Deuframat > ... > Territorialstrukturen im keltischen Gallien
Territorialstrukturen im keltischen Gallien
Unter Berufung auf Cäsars Schilderung in De bello Gallico stimmen die meisten Autoren darin überein, dass am Ende des letzten vorchristlichen Jahrtausends im heutigen Frankreich in Anlehnung an die keltischen Familien- und Stammesstrukturen ein Gefüge mehr oder weniger großer Territorien entstanden war, sog. Pagi (Sing. Pagus frz. pays). Zentren dieser etwa 60 bis 80 pagi waren in den meisten Fällen die sog. oppida, die sich sowohl durch bestimmte Lagemerkmale (Spornlagen, Wasserwege, Handelsstrassen) als auch durch ihre städtischen Funktionen (Verteidigung, Handel, Herrschaftssitz) charakterisierten.
Ebenso unsicher wie die Vermutungen über die Zahlen der Bevölkerung im vorantiken Gallien sind die Kenntnisse über die Bedeutung dieser Städte. Selbst dort, wo durch Ausgrabungen eine recht exakte Rekonstruktion der Stadtanlagen möglich ist, lassen sich nur bedingt Aussagen über die Bevölkerungszahlen und noch weniger über die räumlichen Verflechtungen ableiten. Hinweise auf frühe Stadtanlagen ergeben sich oft durch die Städtenamen, von denen sich viele auf gallische Stammesbezeichnungen zurückführen lassen.
Maurois (1951, S. 11) entwirft ein detailliertes Bild der keltischen Sozialverhältnisse, die als Grundlage für die gallische Territorialstruktur verstanden werden können. Danach lebten die Kelten [1] (oder Gallier) in Familienverbänden (clans), von denen mehrere zusammen jeweils Stämme bildeten. Mehrere Stämme bildeten ein Volk. Für den Zeitpunkt der Eroberung durch Cäsar geht Maurois von vier- bis fünfhundert Stämmen aus, die in rund 70 Völkern organisiert waren. Jedes dieser Völker verfügte über ein oppidum oder mehrere oppida, die sich sowohl durch Befestigungsanlagen (Mauer, Wall, Graben, Pfahlzäune, Palisaden) als auch durch Markteinrichtungen auszeichneten. Sie waren meistens gleichzeitig auch Sitz eines Königs, Stammesfürsten oder politischen Führers (Vergobretos) und zentraler Ort für die Durchführung von Volksversammlungen. Außerdem boten sie der Bevölkerung des Umlandes im Gefahrenfalle Schutz, was die Weitläufigkeit verschiedener Siedlungen erklärt. Die nicht bebaute Fläche im Inneren des Oppidums Bibracte bei Autun betrug beispielsweise 135 ha, in Alésia 97 ha (Braudel 1989/90, 2, S. 54).
Damit zeichneten sich die keltischen Oppida zwar durch quasi-städtische Funktionen aus, jedoch hatten die Bewohner keine Sonderstellung, bildeten also kein Bürgertum (cives) und unterschieden sich somit rechtlich wenig oder gar nicht von der bäuerlichen Bevölkerung innerhalb des Stammesgebiets. Auch gab es keine festen Steinhäuser, sondern die Behausungen waren fast ausschließlich strohgedeckte Lehmbauten, was erklärt, dass aus jener Phase kein einziger Steinbau erhalten ist bzw. rekonstruiert werden konnte.
Abbildung 2 & 3:
Das Oppidum Bibracte in Burgund: Ausgrabungsplan und Rekonstruktionszeichnung
Internet-Quelle (Abb. 2)
Internet-Quelle (Abb. 3) [3]
Allerdings war die wirtschaftliche Struktur vieler Oppida bereits recht differenziert. Im Oppidum Bibracte [4] auf dem Mont Beuvray (Burgund) konnten beispielsweise die Viertel der Töpfer, Schreiner, Zimmerleute, Schmiede, Emailleure und anderer Handwerker nachgewiesen werden. Im Oppidum Ensérune [5] (bei Béziers,) findet sich ein ganzes Viertel mit Erdsilos, die der Magazinierung von Getreide und Öl bzw. Oliven dienten. Ähnliche Strukturen ergaben die Ausgrabungen im Oppidum Entremont [6] bei Aix-en-Provence.
Abbildung 4/5/6:
Das Oppidum Ensérune bei Béziers: Erdsilos zur Aufbewahrung von Oliven und Getreide
Internet-Quelle [7]
Die Marktfunktion der Oppida verdient eine besondere Hervorhebung. Im Nordteil des keltischen Galliens gab es bereits große, zusammenhängende Getreideanbaugebiete, wo für den Export produziert wurde (Werner 1989, S. 180). Wichtige Handelsprodukte waren außerdem Salz, Salzfleisch, Schinken, Milchprodukte usw., die sowohl für die Bewohner des Umlandes als auch überregional von Bedeutung waren. Die Griechen in Marseille tauschten gegen diese Waren Fisch, Wein und vor allem auch handwerkliche Produkte aus dem gesamten Mittelmeerraum. Eine ausgezeichnete Versorgungs- und Verkehrsinfrastruktur war somit notwendig und gehörte zu den Kennzeichen im keltischen Gallien. Sie trug wesentlich dazu bei, dass Cäsar das Land in so kurzer Zeit erobern konnte.
Andererseits dürfen der Handel und die Kommunikation zwischen den einzelnen Siedlungen nicht überbetont werden. Bekker-Nielsen (1989) konnte nachweisen, dass die gallischen Siedlungen zwar bereits ein vergleichsweise dichtes Netz bildeten (nach Tacitus auf dem Gebiet Galliens circa 100 Standorte), dass die einzelnen Oppida gemäss der Stammesgliederung der Kelten jedoch weitgehend isoliert lagen und jeweils von größeren Waldgebieten umgeben waren. Maurois (1951, S. 11) erklärt dies mit der Furcht vor den Angriffen durch nachbarliche Stämme, gegen die diese Wälder eine Art natürlicher Schutzzonen darstellten.
Hinsichtlich der historischen Raumstruktur ergibt sich damit ein interessanter Beleg für die These, dass vorindustrielle Stadtstrukturen in erster Linie auf ihr eigenes Umland ausgerichtet waren. Für viele Oppida, deren Einwohnerzahlen selten über 400 bis 500 Personen lagen, dürfte dies zutreffen. Lediglich die größeren Anlagen (Werner [1989, S. 182] nennt Zahlen von 2000 und mehr Einwohner) nahmen bei den Handelsbeziehungen eine Schlüsselrolle ein, insbesondere dann, wenn sie sich an verkehrsgünstigen Standorten befanden. Für die keltischen Parisii, die auf der Seineinsel von Paris siedelten und als nautae bezeichnet werden, war z.B. die Schifffahrt auf der Seine ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Wie sehr die keltische Territorialstruktur bis heute nachwirkt, hat K. F. Werner (1989, S. 168) mit Nachdruck betont: "Mit den Römern, die im Interesse des romanisierten Mittelmeerraums größere Veränderungen nicht mehr gestatteten, hat das Hexagon den Treibsand der Vor- und Frühgeschichte verlassen. Der feste Boden der Geschichte war erreicht, und eine der wichtigsten Grundlagen dieser Geschichte war für Frankreich bereits gegeben: die geographische und demographische Struktur der mittelgroßen Regionen um einen Zentralort und der kleineren Gebiete, der pagi oder Stammesuntergruppen. Die Namen dieser Regionen und ihrer Hauptstädte bewahren noch heute das Andenken an die keltischen oder keltisierten Stämme, die sich seit Cäsars Zeiten nicht mehr von der Stelle gerührt haben."
Einige Beispiele genügen, um dies zu verdeutlichen. Der keltische (gallische) Stamm der Cenomani gab der Landschaft Maine den Namen, aus Turones entwickelte sich Touraine, die Landschaft um Tours. Von den Pictones leitet sich Poitou ab, von den Arvernern Auvergne, von den Biturigern [8] Berry. Die Stadtbezeichnung von Nantes erinnert an den Stamm der Namneten, die von Sens an die Senonen, die von Paris an die Parisii (ausführlich bei Mirot, 1948, S. 19 ff.). Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Links:
- [1]http://www.altmuehlnet.de/gemeinden/boehmfeld/dorf/kelten/k-history.htm
- [2]http://www.skene.be/CE/archeoloj/AJ09021102.html
- [3]http://bibracte.com/TFrTheseBeuvray.html
- [4]http://www.bibracte.tm.fr/
- [5]http://www.oppidumdenserune.com/
- [6]http://www.mairie-aixenprovence.fr/article.php3?id_article=250
- [7]http://www.oppidumdenserune.com/parcours.htm
- [8]http://www.argentomagus.com/conquete.php