- Deutsch-französische Kulturbeziehungen
- Kulturaustausch auf neuen Wegen
- Das Dilemma verfehlter Wahrnehmung
- Die Sprachbarriere
- Gleiche Wörter, anderer Sinn?
- Eine unterschiedliche historische Semantik
- Beabsichtigte Wahrnehmungsverzerrung
- Die doppelte Rolle des deutsch-französischen Stereotypendiskurses
- Werte und Wertewandel in Frankreich und Deutschland
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- Medien und Kommunikation
'Bedrohungsängste erschweren eine differenzierte Wahrnehmung'
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Bedrohungsängste erschweren eine differenzierte Wahrnehmung
Ein Beispiel dafür ist die Reaktion der französischen Medien auf die Wiedervereinigung und darauf folgend deutsche Missgestimmtheiten (8). Solange der Aufstand der DDR-Bürger gegen das Regime sich in die Freiheitstradition der Französischen Revolution einordnen ließ, wurde sie enthusiastisch begrüßt; als die staatliche Wiedervereinigung zum politischen Faktum zu gerinnen drohte, wurden "Angst" und "Beunruhigung" zu Schlüsselworten der französischen Deutschland-Berichterstattung. (9) Manchmal reflektiert wie in dem Leitartikel Jacques Julliards, der sein "ungutes Gefühl" mit dem Nachwirken kollektiver Erinnerung erklärte: "Ein Teil meiner Reflexe ist durch das Jahr 1940 bedingt; mein Unterbewusstes geht auf 1914 zurück und mein Stammhirn auf 1871". (10) Manchmal bewusst polemisch wie im Canard Enchainé, der unter der Überschrift "Kohlossales Deutschland" bissig bemerkte: "Ehemals hat Bismarck Frankreichs Pläne durchkreuzt, heute ist es Big Mark". (11)
Abbildung 8:
Atomkraftgegner auf der "Stunkparade" in Berlin (1999). Die Vorstellung der Deutschen als bedingungslose Kriegsgegner, zu Hunderttausenden gegen den Atomtod agitierend und demonstrierend wirkte in Frankreich mit Blick auf die Vergangenheit teilweise verunsichernd.
Internet-Quelle [1]
Schon das Aufkommen der sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik hatte in Frankreich Befremden hervorgerufen. Die Deutschen als Grüne - das ließ sich noch mit den überkommenen Vorstellungen vom deutschen Naturmystizismus verbinden. Aber die Deutschen als bedingungslose Kriegsgegner, zu Hunderttausenden gegen den Atomtod agitierend und demonstrierend - diese Erfahrung verunsicherte. Nicht nur weil sie dem Klischee der autoritätshörigen, militaristischen Deutschen widersprach, das spätestens seit Voltaires "Candide" in den Deutschland-Diskurs eingeschrieben und oft genug durch die Realität eingeholt worden war, sondern auch weil sie das französische Sicherheitsbedürfnis gegenüber der Sowjetmacht tangierte.
Den Intellektuellen, von denen einige die deutschen Turbulenzen zu erklären versuchten, mangelte es entweder an den notwendigen sozialwissenschaftlichen Kategorien oder an der Bereitschaft, aus ihrem nationalkulturellen Interpretationshorizont, dem was Braudel [2] "la prison de la longue durée" nennt, auszubrechen. Jedenfalls verraten die einschlägigen Publikationen, die Mitte der 80er Jahre erschienen, (12) ihre Abhängigkeit von kulturmorphologischen, geistesgeschichtlichen Modellen, die im Umfeld der Romantik entstanden, bis über den 2.Weltkrieg hinaus durch die nationale Identitätsliteratur geisterten, aber mit der sozialwissenschaftlichen Nation-Forschung ausgedient haben sollten. (13) Es sieht allerdings so aus, als bestehe seit Ende der 90er Jahre umgekehrt die Gefahr eines Wiederauflebens historisch obsoleter nationaler Identitätszuschreibungen. Wenn die professionellen Mittler dagegen nicht ihren aufklärerischen Einfluss geltend machen, könnte es sein, dass die deutsch-französischen Beziehungen statt in einer freundlichen Indifferenz in "feindlicher Nähe" enden. (14)
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Anmerkungen
(8) U.E. Koch, Michel und Marianne nach dem Fall der Berliner Mauer: Wechselseitige Wahrnehmung in den Medien, in: Frankreich-Jahrbuch 1995, S. 81 f.
(9) U.E. Koch/D. Schröter/P. Albert (Hg.), Deutsch-französische Medienbilder, München 1993, S. 141 f.
(10) Le Nouvel Observateur, 28.2.1990.
(12) A. Glucksmann, La force du vertige, Paris 1983; dt.: Die Philosophie der Abschreckung, Stuttgart 1984; Brigitte Sauzay, Le vertige allemand, Paris 1985.
(13) Vgl. H.M. Bock, Nation als vorgegebene oder vorgestellte Wirklichkeit?, in: Ruth Florack (Hg.), Nation als Stereotyp. Fremdwahrnehmung und Identität in deutscher und französischer Literatur, Tübingen 2000, S. 11 f.
(14) Titel des Briefwechsels zwischen dem französischen und dem deutschen Historiker: F. Furet/E. Nolte, Feindliche Nähe. Kommunismus und Faschismus im 2o.Jahrhundert, München 1998.