French
German
 
Seite zur Sammlung hinzufügen
'Das Bildungswesen in der Region Rhône-Alpes'
 
1 Seite(n) in der Sammlung
 
 
 
 
 

Das Bildungswesen in der Region Rhône-Alpes

Das französische Schulwesen ist ganz anders strukturiert und organisiert als das deutsche: Hierzu sei nochmals auf die folgende Abbildung verwiesen. In Frankreich sind die Gemeinden zuständig für den Bau und den Unterhalt der Grundschulen (wie auch der écoles maternelles, d.h. der "Vorschulen", die in jedem kleinen Dorf existieren). Die Departements kümmern sich um die collèges, also die einheitliche Sekundarstufe I für alle Kinder; sie organisieren auch den gesamten Schultransport. Der Bau und Unterhalt der lycées (Oberstufengymnasien - davon ein Drittel (!) technische Gymnasien - und Ganztags-Berufsschulen, genannt lycées professionnels) ist dagegen Sache der Regionen. Diese Verteilung wurde in diversen Dezentralisierungsgesetzen so geregelt, und sie hatte einen positiven Effekt. Jahrzehntelang hatte der Zentralstaat den baulichen Zustand der Schulen in der "Provinz" vernachlässigt. Nun aber konnten sich die "collectivités territoriales" selbst um die dortigen Bildungseinrichtungen kümmern, konnten sie sanieren und modernisieren oder auch viele Neubauten im Wesentlichen selbst planen und durchführen. Die Lehrpläne und damit die Unterrichtsinhalte für all diese Schulen werden dagegen zentral und einheitlich für ganz Frankreich vom Unterrichtsministerium vom französischen Unterrichtsministerium in Paris festgelegt.

Abbildung 12:

Schulwesen in der Bundesrepublik und in Frankreich

 

 

 

Quelle: Große/Lüger 2000: 217

Nur in der Berufsbildung haben die Regionen auch inhaltlich seit 1983 ein Mitspracherecht, und hier hat sich die Region Rhône-Alpes besonders stark engagiert. Da die in Frankreich sonst übliche Vollzeit-Berufsschule (lycée professionnel) die berufliche Eingliederung nach der Ausbildung erschwert, unterhält die Region ein breit angelegtes Programm zur Förderung dualer Aus- und Weiterbildungsgänge für Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren. Hier alterniert die zwei- bis dreijährige Lehrlingsausbildung in einem Betrieb mit dem Schulunterricht, der z.T. in einem Centre de Formation d'Apprentis (CFA) stattfindet. Das erinnert an das in Deutschland vorherrschende duale System. Die Region hat außerdem etliche Unités de Formation en Alternance (UFA) geschaffen, die in Zusammenarbeit der lokalen Unternehmen mit öffentlichen oder privaten lycées professionnels und technischen Gymnasien (lycées techniques) die praxisgerechte Qualifizierung der Nachwuchskräfte für die Unternehmen vorantreiben. Überall in der Region trifft man auch auf die von den Jugendlichen wie auch den Arbeitgebern sehr angesehenen zweijährigen Sections de Technicien Supérieur (STS), die meist einem lycée professionnel angeschlossen sind, eng mit den örtlichen Betrieben kooperieren und daher flexibel auf die lokalen Unternehmensbedürfnisse reagieren können. Durch ihre Berufspraktika und ihre betriebsnahe Ausbildung finden die STS-Absolventen im allgemeinen schnell einen Arbeitsplatz; sie sind sogar so begehrt, dass sie z.T. bereits während ihrer Ausbildung von den Betrieben abgeworben und eingestellt werden. Im Jahr 1999 standen 22.708 STS-Absolventen den 14.008 IUT-Absolventen in der Region gegenüber. Das zeigt, dass die den Universitäten angeschlossenen Instituts universitaires de technologie (IUT) auch in Rhône-Alpes weniger beliebt sind als die ebenfalls zweijährigen, aber orts- und betriebsnahen und stark spezialisierten Kurzstudiengänge des STS-Typs. (Näheres zu dem in Wirklichkeit höchst komplexen System der formation professionnelle in der Region findet man im Internet unter www.sdtefp-rhone-alpes.travail.gouv.fr/publications/march_fp.pdf [1] 03.05.2004)

Abbildung 13:

Anzahl der Auszubildenden bzw. Studenten in der Region Rhône-Alpes

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [2]

"Vor Ort" weiß man besser als in Paris die Berufsbildung im Hinblick auf die lokalen und regionalen Bedürfnisse zu organisieren. Daher kämpft die Region Rhône-Alpes seit Jahren für mehr eigene Kompetenzen in diesem Bereich. Einen großen Teil ihres Gesamtbudgets (es belief sich 2002 auf 1.630 Mio. Euro: eine Winzigkeit im Vergleich zu Baden-Württemberg, aber das zweithöchste in Frankreich nach der Ile-de-France mit 2.630 Mio. Euro, so Le Monde, 14.3.2002: 15) gibt die Region für die verschiedenen Einrichtungen der Berufsbildung aus. Zu ihnen gehören auch zahlreiche Weiterbildungsmaßnahmen. Es verwundert also nicht, dass Rhône-Alpes in ganz Frankreich als Vorkämpfer für eine totale oder doch eine immer stärkere Autonomie der Regionen im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung [3] gilt. Die Erfolge dieser Politik sind jedenfalls unleugbar. Sie zeigen sich schon in der dort niedrigeren Quote der Jugendarbeitslosigkeit. Freilich kann sich die Region als politische Instanz solche Erfolge nicht allein auf ihre Fahnen schreiben: sie sind natürlich auch der Wirtschaftskraft der Privatunternehmen zu verdanken. Und die hässlichen Schattenseiten (die mangelnde Integration und hohe Arbeitslosigkeit arabischstämmiger und "farbiger" Jugendlicher wie überall in Frankreich) lassen sich nicht leicht beheben.

Die neue Dezentralisierungspolitik der Regierung Raffarin (seit Juni 2002), die vor allem auf eine Stärkung der Kompetenzen der Regionen zielt und dies seit Oktober 2002 in einer Verfassungsreform zu verankern sucht, sieht auch ein fünfjähriges Experimentieren der Regionen mit der vollständigen Übernahme bisheriger Staatskompetenzen vor. Diverse Regionsparlamente (conseils régionaux) haben bereits entsprechende Anträge gestellt: wie z.B. Burgund für den gesamten dortigen Tourismus oder die Bretagne für die Wasserversorgung, so bezeichnenderweise Rhône-Alpes für die formation professionnelle. Allerdings protestierten sowohl diverse Gewerkschaften als auch die Präsidenten der sozialistisch regierten Regionen gegen eine solche Umverteilung der Kompetenzen besonders im sensiblen Berufsbildungssektor (obwohl es ursprünglich die Linke nach Mitterrands erstem Wahlsieg von 1981 war, die die Dezentralisierungsgesetze dank ihrer Mehrheit beschlossen hatte). Sie protestierten im Namen der "égalité": Raffarins Politik gewähre den reicheren Regionen Vorteile auf Kosten der ärmeren, es entstünde eine "France à 26 vitesses" (26: wegen der 26 Regionen); der Staat dürfe sich folglich nicht aus seiner einheitlichen Verantwortung für ganz Frankreich zurückziehen (Libération, 16.10.2002). Zwar hat die gaullistisch dominierte "Präsidentenpartei" UMP, der auch Raffarin angehört, die absolute Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung, aber es gibt auch versteckte Widerstände in den Reihen der traditionell zentralistisch gesonnenen Gaullisten. Man darf also gespannt sein, welche Kräfte sich durchsetzen und ob die Region Rhône-Alpes dank einer Verfassungsreform die erstrebte völlige Eigenverantwortung in der Berufsbildung für zunächst einmal fünf Jahre erringen wird.

Nachzutragen bleibt, dass das gesamte Schulwesen der Region Rhône-Alpes in zwei Verwaltungsbezirken (sog. académies) organisiert ist: Lyon, zuständig für die dicht besiedelten Departements Loire, Rhône und Ain, und Grenoble für die fünf verbleibenden Departements. Diese Schulverwaltungsbezirke unterstehen dem französischen Unterrichtsministerium in Paris und damit dem Zentralstaat, der dadurch auch über die Lehrpläne und Prüfungen fast aller Privatschulen (mit einem Anteil von über 20% Schüler im Sekundarbereich der Region) wacht. Will die Region neue Schulen bauen oder hat sie auch außerhalb der Berufsbildung bestimmte Innovationswünsche, so setzen daher trotz der offiziellen Zuständigkeit der Region für den Bau manchmal ziemlich langwierige Abstimmungs- und Verhandlungsrunden mit den Behörden der académies oder dem Pariser Zentrum ein, bevor die Pläne zur Wirklichkeit werden können. (Weiteres zum Schulwesen der Region einschließlich der (staatlichen oder privaten) derzeit 175 lycées généraux und der 370 lycées professionnels s. Große/ Kempf/ Michna 1998: 203-229).

Zu den Hochschuleinrichtungen [4] : Neun Universitäten, davon vier in Lyon einschließlich der privaten Université catholique, drei in Grenoble und je eine in Saint-Etienne und Chambéry, dazu über 35 als höherrangig betrachtete Grandes Ecoles (elitäre, z.T. sehr spezialisierte Bildungseinrichtungen für bestimmte Fachbereiche des Ingenieurwesens und des Handels) sowie zahlreiche Fachhochschulen, die den Universitäten angeschlossen sind, zeigen die Existenz eines dichten Netzes der Wissenschaft und Forschung in der Region. Es steht dem der Région parisienne kaum nach. Zur Verteilung (1999) s. das folgende Schaubild.

Abbildung 14:

 

 

 

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [5]

Der von der Region herausgegebene "Atlas de l'enseignement supérieur Rhône-Alpes", derzeit (August 2003) noch auf dem Stand von 1999, soll in absehbarer Zeit aktualisiert werden. Deutliche Schwerpunkte im Bereich der Universitäten und der Grandes Ecoles, aber auch bei den verschiedenen Arten fachhochschulähnlicher Einrichtungen sind in den Räumen in und um Lyon und Grenoble erkennbar; kleinere Zentren liegen in St.-Etienne, Chambéry, Annecy sowie Bourg-en-Bresse, Roanne und Valence. Der Atlas ist erhältlich bei der Région Rhône-Alpes, 78 route de Paris/ B.P. 19, F-69751 Charbonnières-les Bains Cedex. (Eine Liste der Internetadressen sämtlicher Hochschulen der Region findet sich unter
http://www.cr-rhone-alpes.fr/default_f.cfm?cd=1058&depth=2&dept0=1033&dept1=1058&dept2=1058&doc=4688 [6] .)

Wie Baden-Württemberg, so weiß auch die "High-Tech-Region [7] " Rhône-Alpes, dass in der guten Ausbildung der nachwachsenden Generation und in der Zusammenarbeit zwischen Forschern und Unternehmen ihre Zukunft liegt. Bemerkenswert ist dabei, wie sehr namentlich Grenoble und Lyon im Ausbau der Forschungseinrichtungen miteinander rivalisieren (Näheres s. Große/ Kempf/ Michna 1998: 124-143, 146-149 und allgemeiner zum Bereich der Hochschulen 214-228.)