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'Das Bild des Anderen in der satirischen Propaganda'
 
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Das Bild des Anderen in der satirischen Propaganda

Ganz allgemein ist in den durchgeführten Analysen deutlich geworden, dass sich das Bild des Anderen in der Propaganda der dreißiger Jahre, und zwar sowohl in der Diktatur als auch in der Demokratie, einer Rangfolge von öffentlichen Diskussionsgegenständen ein- und unterordnet. Diese Rangfolge wird von der Entwicklung der internationalen Spannungslage bestimmt. Der Wahrnehmungshorizont schränkt sich ein, der Blick wird abgelenkt, um diejenigen Aspekte ins rechte Licht zu setzen, die mit den aktuellen Prioritäten im Einklang stehen; er klammert hingegen alles aus, was in einer bereits labilen Stimmungslage weiter verunsichernd wirken könnte.

Jede Aussage dient letztlich dazu, ihren Autor wie ihren Leser zu beruhigen :

  • wenn 1937 deutsche Durchschnittsbürger sich an einem klavierspielenden Mädchen begeistern, weil es "sait faire des gammes en forme de croix" (unübersetzbares Wortspiel: im Französischen läßt sich eine Verbindung zwischen "Hakenkreuz" und "Tonleiter" herstellen),
  • wenn 1933 gezeigt wird, wie Hitler eine Taube aus seiner Kanone schießt, dann bestärkt all dies den Leser des Canard enchaîné in seinem Bedürfnis, den Nationalsozialismus nicht als Bedrohung für den Frieden anzusehen;
  • wenn immer wieder die Franzosen als diejenigen hingestellt werden, die diplomatischen Verhandlungen mit Deutschland aus dem Weg gehen, wobei in Wirklichkeit die Regierenden des nationalsozialistischen Deutschlands unter offensichtlicher Mißachtung des Versailler Vertrages vollendete Tatsachen schaffen, dann kann der deutsche Leser des Simplicissimus sein Gewissen beruhigen und sich sagen, dass die außenpolitischen Spannungen, unter anderem im Verhältnis zu Frankreich, nicht der deutschen Seite anzulasten sind.

Angesichts von Konfliktsituationen und Unterdrückungsregimen tendiert der Realitätsanteil im Bild des Anderen dazu, bemerkenswert zusammenzuschrumpfen: nicht selten werden Dinge behauptet, die den beweisbaren Fakten vollständig widersprechen.

All diese Phänomene schwerwiegender Verfremdung in der Darstellung sollten uns wachsam und sensibel machen für Manipulationsversuche durch Sprache oder bildliche Aussagen. Denn wir haben in den vorstehenden Ausführungen gesehen, wie sehr das Bild des Anderen von Darstellungsmechanismen abhängig ist, die immer darauf zielen, momentane mentale Bedürfnisse einer menschlichen Gemeinschaft zu befriedigen. Die Prämissen einer Propagandastrategie sowie der tiefempfundene Wunsch einer Bevölkerung haben sich als bestimmender für das Bild des Anderen erwiesen als irgendeine objektiv nachprüfbarer Gegebenheit. Das Bild des Anderen ist eine Schöpfung unseres menschlichen Geistes, der zur Außenwelt keinen unmittelbaren, sondern nur einen durch die Wahrnehmung vermittelten, indirekten Kontakt hat. Aber derselbe menschliche Geist, wenn wir ihn auf kritische Weise einzusetzen wissen, versetzt uns auch in die Lage, die Phänomene der Verfremdung des Bildes zu entdecken. So kann er uns helfen, der Verbreitung von Ressentiment und Haß entgegenzuwirken.

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