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'Verschiedene Wertvorstellungen'
 
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Verschiedene Wertvorstellungen

Die Wertvorstellungen in beiden Ländern lagen damals noch sehr weit auseinander und ließen den jeweiligen Nachbarn fremd erscheinen. So hatten Ehefrauen und Mütter in Frankreich mehr Spielraum für eine eigene Berufstätigkeit und einen eigenen Wirkungskreis. Frauen arbeiteten in Frankreich nicht nur häufiger - als Angestellte, als Lehrerinnen, als Ärztinnen. Sie standen in den zahlreichen Familienbetrieben auch oft hinter der Kasse. Es war schon in den fünfziger Jahren üblich, die Kinder in Kindergärten oder in die allmählich entstehenden Ganztagsschulen zu schicken, die Töchter studieren zu lassen.

In der Bundesrepublik hingegen haftete der Arbeit von Ehefrauen und Müttern eher der Makel einer finanziellen Notlage an. Deutsche Frauen gingen deshalb auch seltener einer Beschäftigung nach bzw. nahmen weniger häufig ein Studium auf. Umgekehrt erhielten die Jugendlichen hierzulande oft mehr Freiraum, sollten ihre eigene Meinung entwickeln, sich abnabeln; sie durchlebten schärfere Generationenkonflikte und wandten sich mit zunehmendem Alter auch stärker von der Herkunftsfamilie ab. Deutsche verstanden daher unter "Familie" nur die engere Familie der Eltern und Kinder, Franzosen dagegen meist auch die weitere Verwandtschaft, Großeltern, Onkel, Tanten, Vettern und Kusinen. Sie fühlten sich an diese größere Familie [1] auch stärker gebunden.

Abbildung 4: Die Zahl der erwerbstätigen Frauen in Frankreich hat sich seit 1954 verdoppelt und beträgt heute rd. 47% der Erwerbsbevölkerung

 

 

 

Quelle: www.diplomatie.gouv.fr/fr/

In der Arbeitswelt [2] sahen Franzosen nicht nur in den fünfziger Jahren, sondern auch später betriebliche Hierarchien eher als gegeben an, standen den Unternehmern gleichzeitig misstrauischer, notfalls auch kämpferischer gegenüber, waren auf mehr Flexibilität und Improvisation am Arbeitsplatz eingestellt. Die Deutschen hingegen hielten genau umschriebene Verantwortungsbereiche für wichtiger. Seit den fünfziger Jahren legen jedoch auch die Bundesbürger mehr Wert auf Gruppenarbeit, auf Freizeit, auf stressfreie Arbeit, auf mehr Selbstverwirklichung.

Abbildung 5: Vier große Grundsätze leiten das staatliche Bildungswesen in Frankreich: gleiche Aufnahmekriterien für alle, Gleichbehandlung, Neutralität und Laizismus.

 

 

 

Quelle: www.diplomatie.gouv.fr/fr/

Hinsichtlich der religiösen Werte bestand in Frankreich ein tiefer Gegensatz zwischen laizistischer und kirchlich gebundener Kultur, Erziehung [3] , Politik. Dieser Gegensatz, der sich in ähnlicher Weise auch in der DDR entwickelte, blieb der alten Bundesrepublik fremd. Dort kam es allmählich zu einer Symbiose zwischen den beiden christlichen Kirchen, die für Franzosen schwer verständlich blieb.

Hinter diesen weiter existierenden Unterschieden verbargen sich fortbestehende historische Divergenzen: vor allem die ältere und solidere politische Liberalität [4] Frankreichs, die ganz unterschiedliche Erfahrung des NS Regimes, daneben aber auch die Verschiedenartigkeit der Industrialisierung und der sozialen Milieus, auf die unten noch zurückzukommen sein wird.