- Bevölkerungsstruktur, Migration, Minderheiten
- Vorbemerkungen
- Die sozialen und kulturellen Beziehungen vor 1963
- Unterschiedliche Erinnerungen und nationale Identitäten
- Verschiedene Wertvorstellungen
- Zaghafte Verständigungsinitiativen
- Fortdauer der alten Feindbilder
- Annäherung der französischen und der deutschen Gesellschaft
- Parallelen in der wirtschaftlichen Entwicklung
- Angleichung der Familienstrukturen
- Abbau der sozialen Unterschiede
- Die gesellschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit
- Ausblick
- Zum Nationsverständnis in Frankreich und Deutschland
- Zivilgesellschaftliche Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich
- Provinz zwischen Reich und Republik - Politische Mentalitäten in Deutschland und Frankreich 1918 bis 1933/36
- Das Jahr 1968 und die Folgen
- Begegnungen im Alltag
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Annäherung der Wertvorstellungen
Auch in der Entwicklung der Werte [1] lassen sich deutliche Parallelen zwischen beiden Ländern ausmachen, auch wenn genaue Ergebnisse vergleichender Umfragen erst seit den achtziger Jahren vorliegen. Seither sind jedenfalls die Verschiebungen bei den Werten Arbeit, Familie, Religion und Politik sehr ähnlich. In Frankreich wie in der Bundesrepublik wird Arbeit weiterhin als wichtigster Wert angesehen, einerseits eng mit Leistung verbunden, andererseits zunehmend danach beurteilt, ob sie die Möglichkeit zur Selbstentfaltung bietet.
Abbildung 19:
Sozialer Wandel in Deutschland: Eheschließungen und Ehescheidungen 1950-2000
Die Verheiratetenquote, d. h. der Prozentanteil Verheirateter an der jeweiligen Altersgruppe, ist in Deutschland, ebenso wie in Frankreich, rückläufig. Von den Männern waren in der Altersgruppe der 30-45-Jährigen 1960 85,7 % verheiratet, von den Frauen 84,7 % (Westdeutschland). 1995 war der Anteil in Gesamtdeutschland auf 65,9 bzw. 74,4 % gesunken. Zunehmend ist dagegen die Scheidungsquote (Anteil der Scheidungen in einem Zeitraum bezogen auf eine Grundgesamtheit, z. B. Scheidungen pro Jahr auf 10.000 Ehen). Sie betrug z. B. 1890 7,4%, 1910 15,2 %, 1950 67,5 % und 1980 61,3 % (die Zahlen sind auf das frühere Bundesgebiet bezogen).
Internet-Quelle [2]
Sozialer Wandel in Frankreich: Eheschließungen und Anteil der Mischehen 1980 - 2000
Année de mariage | Ensemble des mariages | Nationalité des époux | |||
Deux époux français | Deux époux étrangers | Couples mixtes | |||
Épouse étrangère | Époux étranger | ||||
1980 | 331 377 | 308 066 | 5 696 | 8 323 | 12 292 |
1985 | 269 419 | 241 497 | 6 505 | 8 773 | 12 644 |
1990 | 287 099 | 247 853 | 8 703 | 12 606 | 17 937 |
1995 | 254 651 | 225 612 | 5 214 | 10 545 | 13 280 |
1996 | 280 072 | 251 158 | 4 868 | 10 783 | 13 263 |
1997 | 283 984 | 254 020 | 5 237 | 10 916 | 13 811 |
1998 | 271 361 | 239 704 | 5 658 | 11 604 | 14 395 |
1999 | 286 191 | 250 252 | 5 897 | 13 638 | 16 404 |
2000(p) | 305 000 | - | - | - | - |
Internet-Quelle
An zentraler Stelle steht für Franzosen wie Deutsche - nicht anders als in den fünfziger Jahren - auch die Familie. Sie entwickelte sich beiderseits des Rheins verstärkt zum Raum der Gefühlswerte, der Gefühlsbindungen zwischen den Ehepartnern sowie zwischen Eltern und Kindern. Die familiären Erziehungswerte gingen mehr und mehr in eine ähnliche Richtung. In beiden Ländern wurde die Ehe, in der die Partner demselben Land und dem gleichen sozialen Milieu, auch derselben Region oder Konfession angehören sollten, zugunsten der Liebesehe, die auf gegenseitigem Verständnis und Vertrauen aufbaut, zurückgedrängt. Religiöse Grundüberzeugungen [3] wie der Glaube an Gott oder ein Leben nach dem Tod verloren demgegenüber in beiden Ländern nicht an Bedeutung. Allerdings lockerten sich hier wie dort die Bindungen an die Großkirchen, synkretistische Überzeugungen und Esoterik fanden etwas größere Verbreitung, blieben aber auf eine Minderheit beschränkt.
In der Politik behielt die Sicherung der Grundrechte, der Demokratie und der Sozialstaatlichkeit in Frankreich wie in Deutschland ihre große Bedeutung. Die Veränderungen vollzogen sich weitgehend parallel: Die Bindungen an politische Parteien und große Verbände schwächten sich ab, die Neigung zur direkten politischen Partizipation und zum vorübergehenden, aktionsgebundenen politischen Engagement nahm in beiden Ländern besonders unter den besser Ausgebildeten deutlich zu. Die politischen Großthemen entwickelten sich sehr ähnlich. Dies zeigt sich, selbst bei der Unterstützung der Europäischen Union; diese nahm in den achtziger Jahren leicht zu, ging in den neunziger Jahren aber zeitweise wieder leicht zurück.
Diese Annäherung beider Gesellschaften hat zwar nicht zu einer Nivellierung der Unterschiede geführt, aber deren Bedeutung doch abgeschwächt. Zudem werden Differenzen von der französischen und der deutschen Öffentlichkeit zunehmend anders interpretiert. Die Einstellung zur eigenen und zu anderen europäischen Nationen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Nachbarstaaten werden heute eher als Partner betrachtet, gegen die man keinesfalls Krieg führen will, die freilich ihre jeweils eigenen Interessen vertreten, und durchaus Konkurrenten auf einem gemeinsam geregelten Feld, etwa der Wirtschaft, sind. Nationale Eigenarten werden nicht mehr fast zwanghaft als Zeichen von Über- oder Unterlegenheit gewertet. Der Austausch mit und das Lernen von anderen sowie die nüchterne Analyse der Stärken und Schwächen des eigenen Landes gehören ebenso zu diesem veränderten Bild der eigenen Nation wie die Verantwortung für das gemeinsame europäische Projekt.