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Die deutsch-französische Beziehung
Heute vor vierzig Jahren haben Deutsche und Franzosen begonnen, ihre Vorgehensweise in die oben dargestellte Problematik einzubinden. Insbesondere die Ergebnisse der Wissenschaftler des Deutsch-Französichen Jugendwerkes (DFJW) [1] werden überall anerkannt, innerhalb und außerhalb Europas. Als regelrechte Pioniere haben sie erkannt, lange bevor im Delors-Bericht [2] oder bei der UNESCO davon die Rede war, dass es nicht ausreicht, etwas zu wollen, sondern dass es erforderlich ist, etwas zu erleben oder zu tun, und zwar gemeinsam, in dem Sinne, was E. Morin "einen permanenten dialogischen Strudel" nennt. Dem Deutsch-Französischen Jugendwerk und allen Anstrengungen anderer Institutionen wie der Deutsch-Französischen Gesellschaft sowie unermüdlicher Aktivisten ist folgende Einsicht zu verdanken : Wenn die Bildung in Europa zu einer europäischen Identität beitragen will, die nicht administrativ aufgesetzt sein soll, sondern auf zahlreichen tatsächlich bestehenden Verbindungen basiert, muss sie sich auf eine Pädagogik stützen, welche die gemeinsame Entwicklung der interkulturellen und sozialen Arbeit im Rahmen ehrgeiziger Kooperationsprojekte gewährleistet. Diese Pädagogik des interkulturellen Lernens ist nach fast einem halben Jahrhundert immer noch innovativ. Sie dient als Grundlage für die Definition einer interdisziplinären Sozialkunde, die den sprachlichen Ansatz und den anderer Fächer miteinander verbindet, von dem Erlebnishintergrund der Schüler und der von ihnen erlebten Geschichte ausgeht, um sie an eine archäologische Vorgehensweise heranzuführen. Sie erlaubt es jedem Einzelnen zurückzuverfolgen, welche Teile von ihm von anderen Menschen und anderen Orten stammen, so dass er nicht nur in der Lage ist, die Bildungssysteme zu vergleichen, sondern auch die verschiedenen Herangehensweisen an gemeinsame historische Verbindungslinien (dabei denke ich an die Arbeit, die einmal über den ersten Weltkrieg auf der Grundlage von Texten von Frontsoldaten und von E.M. Remarque gemacht worden ist). Austäusche bieten die Gelegenheit eines konkreten Dialogs, in dem die gemeinsamen Werte anhand präziser Fälle diskutiert und interpretiert werden können, wobei diese Werte nicht mehr als Grundlage einer Moral, sondern als Grundlage einer Bedeutung verstanden werden.
Die wegbereitende interkulturelle Arbeit, die auf Fächerebene praktiziert wurde, hat zur Anwendung einer interdisziplinären Zusammenarbeit geführt, zu deren Verankerung in unserer pädagogischen Landschaft die deutsch-französischen Arbeiten in weitem Maße beigetragen haben. Alles, was unsere Kollegen konkret entwickelt haben, um in gewisser Weise die Geschichte der Beziehung zum Anderen zu vermitteln, indem sie zunächst das Interesse daran und dann den Wunsch danach weckten: über den Besuch deutsch-französischer Gedenkstätten und die Entdeckung geschaffener Werke und monumentaler Symbole sowie anderer sichtbarer Spuren, hat besser als jeder andere Schritt die Idee einer Schicksalsgemeinschaft nahe gebracht. Sie ist konkret, weil in einer Geschichte verankert, die auf Grund der in der Gegenwart erlebten Erfahrungen neu geschrieben wird. Wir haben dank ihrer Arbeit entdeckt, dass unsere nationale Identität voll Jubel aufgehen kann in dem, was Ph. Joutard "transnationale europäische Loyalitäten" nennt, die man nach Geschmack abwandeln kann.
Unter den deutsch-französischen Gedenkstätten haben die Schlachtfelder von Verdun eine ganz besondere Bedeutung. Hier fand 1984 eine Gedenkfeier statt mit jener Geste der Aussöhnung zwischen Kanzler Kohl und dem französischen Präsidenten François Mitterrand, die seitdem berühmt geworden ist.
(Quelle: leqatar.free.fr/FrancAllgne/Histoir.html)
Die Umsetzung deutsch-französischer Projekte hat die Vorteile der binationalen Begegnung deutlich in Erscheinung treten lassen, die ermöglicht, sich gegenseitig, stufenweise und zunehmend zu kennen und zu erkennen.
Im Rahmen der deutsch-französischen Austäusche haben wir erkannt, wie groß die kulturelle Differenz ist, die bewirkt, dass wir im Rahmen der Begegnung das Organisationsmodell von Mal zu Mal aushandeln müssen, währen wir uns in der Schule auf ein organisatorisches und ideologisches Referenzmodell stützen, das eindimensional und monokulturell ist.
Vor allem unter der Perspektive, dass jede Form von utopischem Idealismus relativiert werden muss, der weiter oben bereits erwähnt wurde, haben wir im Laufe dieser Jahre der Austäusche gelernt, dass die Schwierigkeiten und Widerstände in den interkulturellen Prozessen des zusammen leben und zusammen handeln Lernens wesentlicher Bestandteil der Bedingungen und Wirklichkeiten, der Vielschichtigkeit und des spezifischen Werts solcher Prozesse sind.
In seinem Werk Une politique de civilisation (Eine Politik der Zivilisation) vertieft Edgar Morin seine bereits in Terre-Patrie (Vaterland Erde) angestellten Analysen über den Zustand der Welt und ruft zu einem Überdenken der Politik und des gesamten Denkens auf, um die allgegenwärtige, die gesamte Erde umfassende Krise zu überwinden, in der wir uns befinden.
(Quelle: france.diplomatie.fr/label_france/FRANCE/IDEES/MORIN/morin.html, inaktiv, 02.06.2006)
Das neueste Wissen, das wir insbesondere dem Deutsch-Französischen Jugendwerk in seinem Streben nach einer dynamischen zukunftsfähigen Entwicklung verdanken, betrifft das Eindringen des Dritten in die deutsch-französische Beziehung. Dieser Dritte wird, wie J. Demorgon sehr richtig zum Ausdruck bringt, zum einen ermöglichen, die bilaterale Beziehung zu vertiefen, weil dieser Dritte eine Dezentrierung und Erneuerung einleitet, und zum anderen den Europäern erlauben, ihre Kultur und sich selbst besser zu entdecken.
Edgar Morin [3] wiederum schrieb einmal, dass Europa keinen Messias habe, dass es jedoch seine Aufklärer und Katalysatoren haben könnte und müsste. Mir scheint, dass es die Akteure der deutsch-französischen Zusammenarbeit voll und ganz verdienen, zumindest zu den erstgenannten gezählt zu werden.