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Einleitung
Karl der Große, wohl der bekannteste Herrscher des frühmittelalterlichen fränkischen Reichs, gehört neben anderen politischen Größen wie beispielsweise Ludwig XIV., Napoleon oder Charles de Gaulle, zu den herausragenden Persönlichkeiten, deren Leben und Wirken auch im Rahmen des Französischunterrichts thematisiert werden. Die hier vorgestellte Unterrichtsreihe Sacré Charlemagne möchte an dieser Stelle anknüpfen und das 1200-jährige Jubiläum der Kaiserkrönung Karls zum Anlass nehmen, das tradierte Bild Karls des Großen zu überdenken und eine zeitgemäße Form seiner Präsentierung zu erarbeiten, die für den Französischunterricht genutzt werden kann. Versucht werden soll einerseits, die historische Gestalt des ersten fränkischen Kaisers in den Blick zu nehmen und das geschichtliche Vorwissen der Schüler über Karl zu reaktivieren und zu vertiefen, andererseits aber auch seine geschichtliche Wirkungsmächtigkeit in exemplarischer Form zu dokumentieren und zu thematisieren. Diese Wirkungsmächtigkeit wird nicht zuletzt durch die Tatsache illustriert, dass sich die beiden europäischen Nachbarstaaten Frankreich und Deutschland im Verlauf ihrer jahrhundertenlangen Nationalgeschichte in einer ganz unterschiedlichen Weise auf Karl den Großen bezogen und ihn - oft auch gegeneinander - für die Herausbildung ihrer politisch-geschichtlichen Identität vereinnahmt haben (1).
Beide Staaten bilden, geschichtlich gesehen, Nachfolgerstaaten des Karolingerreichs. Obwohl sie sich noch in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts als sogenannte Erbfeinde gegenüberstanden, werden sie in der Gegenwart nicht zu Unrecht als Kern und Motor der europäischen Einigung betrachtet. Mit der Überwindung der europäischen Spaltung nach der Wende 1989/90 und der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Integration Europas an der Schwelle zum 21. Jahrhundert scheinen heute nunmehr auch die Voraussetzungen dafür gegeben, die Pluralität der Karlsbilder als ein geschichtliches Faktum zu registrieren und als möglichen Kristallisationspunkt europäischer Identität zu begreifen. Der aus der Welt des Chansons stammende Titel Sacré Charlemagne, der mit der Voranstellung von sacré Bewunderung, aber auch ein Quäntchen unwilliger Distanzierung zum Ausdruck bringt, ohne die ursprüngliche starke Wortbedeutung von sacrer völlig auszulöschen, mag als eine Anspielung auf diese noch unausgeschöpfte europäische Dimension des Frankenherrschers verstanden werden (2). Noch vor seiner Kaiserkrönung, aber bereits auf dem Gipfel seiner Macht stehend, wurde dieser von einem seiner Zeitgenossen als pater Europae bezeichnet (vgl. Saurma-Jeltsch: 12). Den beiden Autoren der vorliegenden Materialien geht es darum, den symbolischen Gehalt dieser Bezeichnung auszuloten und als eine Perspektive für die Behandlung des Themas Charlemagne im Französischunterricht ernst zu nehmen (3).
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Anmerkungen
(1) Mit ihrem Ansatz folgen die vorliegenden Ansichten der grundlegenden Darstellung von K.F. Werner (1995b).
(2) Auch A. Burguière (1997) wählte diesen Titel für seine Besprechung der Untersuchung von Morrissey, R. (1997): L'Empereur à la barbe fleurie. Charlemagne dans la mythologie et l'Histoire de France, Paris.
(3) Die symbolische Bedeutung des Titels pater Europae wird nicht geschmälert durch die von M. Borgolte (1999) mit Recht hervorgehobene Tatsache, "dass der Autor des Karlsepos keineswegs einen Begriff von Gesamteuropa hatte".