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'Kriegsgefangene als Spielball der Politik'
 
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Kriegsgefangene als Spielball der Politik

Neben dem wirtschaftlichen Aspekt spielte auch das politische Kalkül eine Rolle, die Kriegsgefangenen als Faustpfand für die Kollaborationsbereitschaft Vichys in deutschem Gewahrsam zu behalten. In der Tat war das intensive Bemühen der Vichy-Regierung um deutsche Zugeständnisse zugunsten der Kriegsgefangenen eine Frage von erheblichem innenpolitischen Gewicht, sogar der entscheidende Aspekt, mit der sie ihre Existenzberechtigung legitimierte. Pétain ging nach der französischen Niederlage davon aus, dass der Krieg 1940 zugunsten Deutschlands entschieden sei, und ein baldiger Friedensschluss und damit die Freilassung der Kriegsgefangenen bevorstünde. Im Vorgriff auf eine künftige Junior-Partnerschaft mit Deutschland war er bereit, entscheidende Schritte zu einer Kollaboration mit den Deutschen zu tun, von denen er sich Vorteile für die Kriegsgefangenen versprach, die sie jedoch zu den ersten Opfern dieser Politik werden ließ. So verzichtete Pétain auf den Schutz der französischen Kriegsgefangenen durch die von der Genfer Konvention vorgesehene neutrale Schutzmacht USA, und setzte für diese Aufgabe Georges Scapini als Chef des Service diplomatique des Prisonniers de Guerre ein. Der Weg war frei für die weitere Aushöhlung des Genfer Abkommens, zu der ja nunmehr nur noch die Zustimmung der jederzeit erpressbaren Vichy-Regierung vonnöten war.

Als Gegenleistung entließen die Deutschen zwar rund 100.000 Kriegsgefangene, überwiegend solche, von deren Arbeitskraft sie sich wenig Profit versprachen. Gleichzeitig stieg deren Wert durch den Einsatz auch in der Rüstungsproduktion, den die USA nicht toleriert hätten und der einen grundlegenden Verstoß gegen das Genfer Abkommen darstellt. Nach der Duldung dieses Einsatzes durch Vichy war auch kein entschiedener Protest zu erwarten, als bei Kriegsende französische Kriegsgefangene sogar zu Arbeiten herangezogen wurden, die sie in direkten Zusammenhang mit Kampfhandlungen brachten, ganz abgesehen davon, dass Vichy nun vollends zur Marionette der Deutschen geworden war. Weitere Brüche der Genfer Konvention betreffen die Gewährung von Luftschutz und den Arbeitseinsatz der französischen Offiziere und Unteroffiziere.

Fahndungsaufruf nach dem entflohenen französischen General Giraud
  

 

 

Quelle: GUÉRIN, Alain (éd.): La Résistance. Chronique illustrée. 5 tomes Paris: Livre Club Diderot 1972, tome 4, p. 324

Die spektakuläre Flucht des Generals Giraud am 17.4.1942, von den französischen Kriegsgefangenen mit Sympathie aufgenommen, war einer der Anlässe, die Scapinis Ansehen bei den Kriegsgefangenen empfindlich schadeten: er rief Giraud öffentlich dazu auf, sich zu stellen, und forderte die französischen Kriegsgefangenen, für die die Flucht aus dem Gewahrsam des Kriegsgegners selbstverständliche patriotische Pflicht war, auf, keine solchen Fluchtversuche zu unternehmen. Auch wenn Scapini solche Äußerungen in taktischer Absicht tat, so verfehlten sie doch nicht ihre Wirkung und trugen zu einer Verwirrung der Kriegsgefangenen bei, die die Deutschen für ihre Zwecke ausnutzen konnten. Sie untergruben auf die Dauer auch seine Bemühungen, die Kriegsgefangenen auf den unbedingten Gehorsam gegenüber Marschall Pétain und blindes Vertrauen in die Politik seiner Regierung einzuschwören. Dabei war diese ideologische "Betreuung" eines der intensivsten Arbeitsfelder der mission Scapini, die ab Sommer 1941 in allen Lagern sogenannte cercles Pétain einrichtete und der officiers-conseil, die ab März 1942 für die verschiedenen Wehrkreise ernannt wurden.

Der deutsch-französischen Kollaboration verdankte nur ein Teil der freigelassenen Kriegsgefangenen die Freiheit. Schon 1940 war die französische Seite durchaus bereit, das deutsche Interesse an der Arbeitskraft dieser Kriegsbeute anzuerkennen. Scapini selbst machte den Vorschlag, qualifizierte französische Arbeitskräfte für den Einsatz in Deutschland zur Verfügung zu stellen, für die im Gegenzug französische Kriegsgefangene nach Frankreich entlassen würden. Die französische Seite hätte damit vorzeigbare Ergebnisse erreicht und elegant auch ein Problem gelöst, das nicht für die öffentliche Diskussion bestimmt war: in einer Situation der hohen Arbeitslosigkeit konnte die Vichy-Regierung zunächst an einer massiven Rückkehr der Kriegsgefangenen kein Interesse haben. Ein Austausch gegen Zivilarbeiter erschien daher eine geradezu ideale Lösung.

Doch gingen die Deutschen zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf den französischen Vorschlag ein, da sie in der Hoffnung auf ihre Blitzkriegstrategie eine längerfristige Lösung des Arbeitskräfteproblems nicht für dringlich hielten. Wirklichkeit wurde die Idee der Relève erst 1942, als Laval sie gegenüber den von Sauckel angekündigten Zwangsrequirierungen französischer Arbeitskräfte aufgriff. Für die Kriegsgefangenen brachte diese erst freiwillige, dann zwangsweise Verbringung hunderttausender Zivilarbeiter etwa 90.000 Freilassungen (auf eine verbleibende runde Million), davon allerdings wiederum auch viele kranke und verletzte Gefangene. Einen positiven Effekt hatte die Relève, bei der letztlich die Deutschen bestimmten, wer freigelassen werden sollte, insofern, als so die Gefangenenlager von den exponiertesten Kollaborateuren "gesäubert" wurden. Andererseits säte die Erstellung der Relève-Listen beständig Zwietracht unter die Kriegsgefangenen, und die Hoffnung auf mögliche Entlassung machte sicher einen Teil der Gefangenen gefügiger.

Eine weitere Idee, von Scapini schon im Mai 1941 angeregt, von den Deutschen aber erst 1943 aufgegriffen, war die Umwandlung von zwischen 197.000 und 250.000 Kriegsgefangenen, vor allem in der Industrie, in Arbeitskräfte mit Zivilarbeiterstatus. Sie brachte der deutschen Seite erhebliche Vorteile: höhere Arbeitsproduktivität durch Zahlung von Zivilarbeiterlöhnen, Freistellung von 30.000 deutschen Soldaten von Bewachungsaufgaben und vor allem den bedenkenlosen Einsatz in der Rüstungsproduktion. Für den einzelnen Kriegsgefangenen bedeutete die Transformation zwar den Verlust des ohnehin schon löchrigen Schutzes durch das Genfer Abkommen, andererseits aber direkte materielle Vorteile.

Insgesamt ging die Kollaborationspolitik Vichys in der Frage der Kriegsgefangenen, die in Hinblick auf den baldigen Abschluss eines Friedensvertrages und vollständige Freilassung der Kriegsgefangenen begonnen worden war, nicht auf. Der einseitige Verzicht auf den Schutz durch das Genfer Abkommen durch die Übernahme der Garantiemachtrolle aus einer erpressbaren Lage heraus machte die im Reich verbliebenen Kriegsgefangenen erst recht zu Geiseln der Deutschen und trieb die Vichy-Regierung Schritt für Schritt weiter in eine aktive Kollaboration mit Hitler. So vollzog sich der Einsatz von Kriegsgefangenen und deren "Betreuung" durch die mission Scapini im politischen Gesamtrahmen der Staatskollaboration. Hatten die Kriegsgefangenen zunächst durchaus große Hoffungen auf die Politik Pétains gesetzt, schwand ihre ideologische Gefolgschaft zum Regime in dem Masse, in dem Erfolge ausblieben, die Kollaboration immer deutlicher wurde und vor allem die Massenrequirierung französischer Zivilarbeiter einsetzte, die ihnen die Augen über die Zustände in der Heimat öffneten.

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