- Bevölkerungsstruktur, Migration, Minderheiten
- Die sozialen und kulturellen Beziehungen Frankreichs und Deutschlands seit 1945
- Zum Nationsverständnis in Frankreich und Deutschland
- Einleitung
- Motive transnationaler Mobilität
- Individueller und organisierter zivilgesellschaftlicher Austausch
- Staatliche Finanzierung und zivilgesellschaftliche Diversifizierung des Austausches
- Literatur
- Provinz zwischen Reich und Republik - Politische Mentalitäten in Deutschland und Frankreich 1918 bis 1933/36
- Das Jahr 1968 und die Folgen
- Begegnungen im Alltag
'Aktueller Zwang zur Neuerfindung der zivilgesellschaftlichen Beziehungen'
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Aktueller Zwang zur Neuerfindung der zivilgesellschaftlichen Beziehungen
Der Sockel an zivilgesellschaftlicher und öffentlich-institutioneller Verschränkung, der in dieser Phase errichtet worden ist, wurde in den folgenden Jahrzehnten nicht abgetragen, er wurde jedoch auch nicht aufgestockt. Während im letzten Viertel des 20. Jh. die europäische Integration auf der gouvernementalen Ebene entscheidende qualitative Schritte nach vorn machte, blieb die gesellschaftliche Interaktionsebene im europäischen wie im deutsch-französischen Rahmen eher hinter der politischen Dynamik zurück. Das Paradox dieser zweiten Nachkriegsperiode der zivilgesellschaftlichen Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich besteht darin, dass dem Mehrbedarf an öffentlich stimulierter und finanzierter gesellschaftlicher Interaktion ein Weniger an verfügbaren materiellen Ressourcen der öffentlichen Haushalte angesichts der Mitte der 1970er Jahre einsetzenden Weltwirtschaftskrise gegenübersteht. Möglicherweise sind hier auch die Grenzen einer Kooperationsstrategie erreicht, deren gesellschaftliche Trägergruppen, Kommunen und Jugendliche, gerade durch den konstitutiven Mangel an Eigenressourcen gekennzeichnet sind.
Die zivilgesellschaftliche Handlungsebene ist in den deutsch-französischen Beziehungen ein Faktor der Stabilität geworden, auf den Politiker öfter gerade dann verweisen, wenn sich in den zwischenstaatlichen Beziehungen Konflikte zuspitzen. Nur ganz wenige der nach 1945 neu entstandenen Formen zivilgesellschaftlicher Kooperation sind verschwunden oder ganz handlungsunfähig geworden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die aus der Gesellschaft beider Länder kommenden Impulse erlahmen, die im Interesse an der Kenntnis der anderen Nation und an dem Verständnis ihres Kollektivverhaltens begründet sind.
Die Tatsache, dass seit den 1980er Jahren alle einschlägigen Innovationen gouvernemental vorverhandelt oder ausgehandelt wurden, könnte dafür sprechen. So wurden z. B. zwei sogenannte "Kulturgipfel" der beiden Regierungschefs der Ausgangspunkt von zivilgesellschaftlich relevanten Neuerungen: 1986 wurde in Frankfurt/Main die Errichtung eines Deutsch-Französischen Kulturrats [1] sowie eines Deutsch-Französischen Hochschulkolleges [2] , 1997 in Weimar die Gründung einer Deutsch-Französischen Hochschule [3] beschlossen. Der sich hier abzeichnende Trend zur Etatisierung der zivilgesellschaftlichen Beziehungen (der in Frankreichs politischer Kultur traditionell stärker ausgeprägt ist als in Deutschland) könnte ungewollt zur Lähmung spontanen gesellschaftlichen Interesses aneinander beitragen. Dieses wechselseitige Interesse lässt sich nicht dekretieren, sondern muss in jeder neuen politischen Konstellation, sowie in jeder Generation neu hervorgebracht werden und der Impulsgeber in den politischen Institutionen bleiben.