- Bevölkerungsstruktur, Migration, Minderheiten
- Die sozialen und kulturellen Beziehungen Frankreichs und Deutschlands seit 1945
- Zum Nationsverständnis in Frankreich und Deutschland
- Einleitung
- Motive transnationaler Mobilität
- Individueller und organisierter zivilgesellschaftlicher Austausch
- Aktueller Zwang zur Neuerfindung der zivilgesellschaftlichen Beziehungen
- Literatur
- Provinz zwischen Reich und Republik - Politische Mentalitäten in Deutschland und Frankreich 1918 bis 1933/36
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- Begegnungen im Alltag
'Staatliche Finanzierung und zivilgesellschaftliche Diversifizierung des Austausches'
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Staatliche Finanzierung und zivilgesellschaftliche Diversifizierung des Austausches
Es galt nunmehr, die gesellschaftliche Grundlage des organisierten Austauschs zu verbreitern, der Jugend besondere Bedeutung zuzumessen und den Kulturbegriff zu erweitern. Ein zweites Problem organisierten deutsch-französischen Austauschs der Zwischenkriegsjahre fand nach dem Zweiten Weltkrieg einen partiellen Lösungsansatz durch die Bereitstellung öffentlicher Mittel, die mit der Errichtung des Deutsch-Französischen Jugendwerks [1] (DFJW) 1963 eingeleitet wurde. Die tendenzielle Verbreiterung der gesellschaftlichen Grundlagen, insbesondere die Fundierung des Austauschs nicht mehr nur in exklusiven, sondern breiten lebensweltlichen Milieus (Jugend und Wohnort), und die Verstärkung der öffentlichen Finanzierung der bilateralen Begegnungsaktivitäten sind die markantesten Merkmale zivilgesellschaftlicher Kooperation in der zweiten Hälfte des 20. Jh. geworden.
Die Entfaltung der vielgestaltigen Formen dieser deutsch-französischen Kooperation wurde begünstigt durch die lange Periode erfolgreichen politischen Konfliktausgleichs zwischen beiden Staaten, der eine ungleich solidere Prädisposition für die Kontaktnahme in der Bevölkerung auf beiden Seiten erzeugte, als dies in der Zwischenkriegszeit je möglich war. Es kam unter diesen Umständen zu einer bisweilen verwirrenden Vielfalt von zivilgesellschaftlichen Austauschstrukturen, die bis an die Schwelle der 1960er Jahre ausschließlich aus privaten Initiativen entstanden, die besonders seit den 1980er Jahren aber mehr und mehr auch durch gouvernementale Beschlüsse geschaffen wurden. Charakteristische Neugründungen der ersten Nachkriegsperiode waren das Comité français d'échanges avec l'Allemagne nouvelle, das 1949 in Paris überwiegend von Intellektuellen ins Leben gerufen wurde, und das Deutsch-Französische Institut [2] , das 1948 aus dem Zusammenwirken von Vertretern der südwestdeutschen Wirtschaft, Kultur und Politik in Ludwigsburg entstand.
Stärker im katholischen Milieu beider Länder verankert, aber weit über dieses hinauswirkend, entstanden gleichzeitig die heute noch unter dem Namen Bureau international de liaison et de documentation (BILD [3] ) in Frankreich und unter der Bezeichnung Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GÜZ [4] ) in Deutschland wirkenden Mittlerorganisationen. Sie sind auch Träger der jeweils dem Nachbarland gewidmeten Zeitschriften "Documents [5] " und "Dokumente [6] ". In den 1950er Jahren entstanden nach dem Vorbild der Weimarer Zeit aufs neue lokale Deutsch-Französische Gesellschaften [7] , die in Frankreich mit entsprechenden Vereinigungen zusammenarbeiten und seit 1957 in der Dachorganisation Fédération des associations franco-allemandes [8] zusammengefasst sind. Ebenfalls in den 1950er Jahren setzte eine neue zivilgesellschaftliche Kooperationsform sich zuerst langsam durch, die seit den 1960er Jahren zur erfolgreichsten Begegnungsstruktur in diesem Bereich werden sollte: die Gemeindepartnerschaften. Aus der Idee regelmäßiger Bürgermeistertreffen geboren, wurden sie in der Regie der Kommunen und mit öffentlicher finanzieller Unterstützung die breitenwirksamste Form deutsch-französischer Verständigung. Der andere lebensweltliche Basisbereich bilateraler Verständigungsarbeit, die Jugend, war nicht allein Programmadressat der hier skizzierten Nachkriegsorganisationen, sondern erstmals auch Objekt des Nachdenkens von Vertretern deutscher und französischer Universitäten. In der Deutsch-Französischen Rektorenkonferenz [9] wurden seit 1958 die Bedingungen für die Möglichkeit studentischen Austauschs und der Forschungskooperation beraten. Der bereits spontan von Deutschland nach Paris wieder einsetzende Strom von Studierenden fand mit der erstmaligen Eröffnung eines "Deutschen Hauses [10] " in der Cité Universitaire im Jahre 1956 eine institutionelle Förderung.
Abbildung 11:
Das Deutsche Haus (Maison Heinrich Heine) in der Cité Internationale Universitaire de Paris, 27 C Boulevard Jourdan, 75014 Paris.
Internet-Quelle [11]
Die Schaffung des DFJW [12] auf der Grundlage des deutsch-französischen Staatsvertrages [13] vom Januar 1963 war ausschlaggebend für die weitere Entwicklung. Die älteren Verständigungsorganisationen wurden an den Steuerungsgremien des DFJW beteiligt und diese neue Institution vermochte ihnen durch materielle Hilfe (z. B. im Falle der Gemeinde-, Universitäts- und Schulpartnerschaften) erst zur Breitenwirksamkeit zu verhelfen. Eine vergleichbare Symbiose zwischen Gesellschaftsinitiativen und staatlicher materieller Förderung spielte sich auch im akademischen Bereich ein, nachdem die hier zuständige Zentraleinrichtung, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), im Jahre 1963 eine Zweigstelle in Paris [14] eröffnete. Sie wurde zum Schrittmacher zahlreicher Austauschprogramme, die in der Regel ihren Ursprung in begründeten Bedarfsanmeldungen von deutschen und französischen Universitätsvertretern haben.
In der Vorstellung, dass zivilgesellschaftliche Verständigungsarbeit zwischen Deutschland und Frankreich in den zentralen Existenzbereichen des Wohnens (Gemeindepartnerschaften) und der Jugendausbildung (Universitäten, Schulen, betriebliche Ausbildung) ansetzen solle, war letztlich auch die Reformbewegung begründet, die in der französischen Germanistik und in der deutschen Romanistik nach der Universitätsrevolte von 1968 [15] auftrat. In der beginnenden Periode der universitären Expansion und der mit ihr verbundenen fachlichen und curricularen Differenzierung lag die Idee nahe, in den beiden Referenzdisziplinen durch die Einführung von landeswissenschaftlichen Subdisziplinen (Civilisation allemande bzw. Civilisation française) die Möglichkeit des Erwerbs zivilgesellschaftlicher Handlungskompetenz zu eröffnen. Als die wohl ertragreichste Phase zivilgesellschaftlicher Kooperationsbemühungen, in der die meisten Austauschprogramme auf den Weg gebracht wurden, zeichnet sich das Jahrzehnt von Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre in den deutsch-französischen Beziehungen ab.
Links:
- [1]http://www.dfjw.org/
- [2]http://www.dfi.de/
- [3]http://perso.wanadoo.fr/bild-guez/
- [4]http://www.guez-dokumente.org/
- [5]http://www.bild-documents.org/
- [6]http://perso.wanadoo.fr/bild-guez/dokumente.htm
- [7]http://www.vdfg.de/
- [8]http://www.fafa.fr.eu.org/
- [9]http://www.hrk.de/de/hrk_international/staaten_und_regionen_1441.php
- [10]http://www.maison-heinrich-heine.org/de/info.php
- [11]http://www.maison-heinrich-heine.fr/
- [12]http://www.dfjw.org/
- [13]http://www.historicum.net/aktuell/diskussion/elysee/
- [14]http://paris.daad.de/
- [15]Mai 68 in Frankreich