- Kulturelle und territoriale Vielfalt bis zum Zeitalter der Revolution
- Von den verachteten "Fröschefressern" zu den "besten Deutschen": Zur Geschichte der Hugenotten in Deutschland
- Einleitung
- Migrationen über zwei Jahrhunderte: ein Überblick
- Deutsche Handwerker in Paris im 19. Jahrhundert
- Italienische und polnische Arbeitsmigranten seit den 1870er Jahren
- Zugehörigkeit oder Exklusion: Minderheiten, jüdische Mitbürger, Staatsangehörigkeit
- Zuwanderung aus den französischen Kolonien bis 1945
- Seit dem Zweiten Weltkrieg
- Quellen und weiterführende Literatur
- Wirtschaftliche Migration, politisches Exil und soziale Kritik: Deutsche in Paris im 19. Jahrhundert
- Minderheiten, Immigranten und Integration in Frankreich
- Einwanderung und Probleme der Integration in Deutschland seit 1960
- Laizität und Religionen im heutigen Frankreich
- Gesellschaftsvergleiche
- Das Jahr 1968 und die Folgen
- Begegnungen im Alltag
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Exilland Frankreich 1830-1914
Obwohl nach dem Ende von Revolution und Herrschaft Napoleons in Frankreich die monarchische Staatsform wiederhergestellt wurde, blieb das System liberaler als die vielfältigen Systeme östlich der französischen Grenzen von den deutschen Staaten über die Habsburger Monarchie bis zum Russland der Romanovs. Um 1830 hielten sich in Frankreich 10.000 politische Flüchtlinge auf, unmittelbar vor der Revolution von 1848/49 waren es allein in Paris 11.600. In den folgenden Jahrzehnten stiegen die Zahlen weiter. Ein weiteres, ähnlich wichtiges Ziel für politische Flüchtlinge war das ebenfalls liberale London und die Schweiz. Zu Schweizer Universitäten migrierten gegen Ende des 19. Jh. auch viele reformgesinnte Frauen, die dort an den Universitäten studieren durften. Die reformerischen und revolutionären Denker, Aktivisten und Literaten konnten im andersartigen gesellschaftlichen Kontext des Pariser Exils ihre Gedanken weiter entwickeln, in zahlreichen Presseorganen Positionen debattieren und vergleichen, von Paris aus Einfluss auf deutsche, polnische oder russische Entwicklungen nehmen oder zu nehmen versuchen. Die deutschen Frühsozialisten, darunter Wilhelm Weitling, und Literaten, darunter Heinrich Heine und Ludwig Börne, entwickelten ihre Gedanken zur radikalen politischen und sozialen Demokratie unter dem Einfluss des französischen Denkens einerseits und der Pariser Enklaven deutscher Handwerksgesellen andererseits. Auch Arnold Ruge, Karl Marx, Friedrich Engels und Moses Hess kamen in den 1840er Jahren; sie hofften, einst in Deutschland umsetzen zu können, was sie in Paris erlebten.
Seit dem Dekabristenaufstand [1] (1825) verließen russische Modernisierer und Sozialrevolutionäre das Zarenreich. Im seit 1814 russophilen Paris fanden viele eine neue Heimat. Polnische Revolutionäre und Freiheitskämpfer aus dem russischen Teilungsgebiet kamen in der sog. Großen Emigration nach dem Warschauer Aufstand [2] von 1830/31. Von den 7 – 8 Tsd. Flüchtlingen lebte die überwiegende Mehrheit in Paris, darunter bekannte Politiker wir Adam Czartoryski [3] . Sie teilten sich in Monarchisten, deren Ziel es war, den dynastischen polnischen Staat wiederherzustellen, und den Linken Flügel, der nationale und sozial-revolutionäre Ziele verfolgte. Nach dem Aufstand von Krakau (1846) annektierte Österreich diesen letzten freien Teil Polens; der Aufstand von 1863 wurde von Russland und Preußen niedergeschlagen. Im Gefolge besonders der letzteren Erhebung flohen wiederum Tausende nach Paris. Auch wenn in den Jahrzehnten von 1830 bis 1850 die Gesamtzahl der Exilierten 20.000 nicht überschritten hat, gaben sie ca. 75 Zeitungen heraus, manche mit winzigen Auflagen, andere mit einem Verbreitungsgebiet bis in die Ausgangskulturen. Die reaktionären Regimes Europas trugen so zur Entwicklung von Paris als Emigrantenhauptstadt Europas und zur Weiterentwicklung freiheitlichen Denkens im französischen politischen Kontext bei.