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'Die modernere Familie in Frankreich?'
 
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Die modernere Familie in Frankreich?

Auch in der Geschichte der Familie und Familienpolitik [1] werden unterschiedliche Entwicklungswege erkennbar, freilich nur innerhalb deutlicher europäischer Gemeinsamkeiten: Frankreich wie Deutschland waren geprägt von ähnlichen Familienwerten: Dies gilt auch für die Rollengegensätze zwischen Ehefrauen und Ehemännern, für die engen Familienbeziehungen zwischen Eltern und Kindern, die Prinzipien des Familienrechts, auch für die tiefen sozialen Trennlinien zwischen bürgerlicher Familie, bäuerlicher Familie, Arbeiterfamilie. Trotzdem sah schon während des 19. Jh. auch in den Augen der Zeitgenossen die Familienstruktur und die Familienmentalität in Frankreich anders aus als in Deutschland. Die Drei Generationen-Familie in einem Haushalt war in Frankreich immer noch verbreiteter als in Deutschland. Gleichzeitig waren aber die Familien schon weniger groß. Die Elternphase machte einen kürzeren Teil des Lebens aus. Die Kinder- und Müttersterblichkeit war deutlicher gesunken als in Deutschland. Die niedrigen Geburtenraten in Frankreich spielten dabei eine wichtige Rolle. Auch das familiäre Zusammenleben trug verschiedene Züge. Nach dem Urteil vieler Zeitgenossen war in Frankreich die Fürsorge der Eltern für ihre Kinder bereits gründlicher und geplanter, die Stellung der Ehepartner zueinander schon etwas gleichrangiger. Die Ehefrauen waren häufiger berufsaktiv als in Deutschland, unter ihnen zudem mehr Universitätsabsolventinnen. Gleichzeitig war aber die Bindung an die Familie in Frankreich noch stärker und die Erwartung an eine lebenslange Sicherheit durch die Familie höher. Die jungen Erwachsenen blieben in ihren Heirats- und Berufsentscheidungen von ihren Eltern noch erheblich abhängiger. Es ist insgesamt nicht möglich zu entscheiden, ob die französische oder deutsche Familie moderner war.

Die Änderungen der Familienstruktur in Europa und die Krise der bürgerlichen Familienordnung
Eheschließungen je 1.000 EinwohnerEhescheidungen je 1000 EinwohnerLebendgeburten in 1000Erwerbstätigen - Anteil von Frauen
Land198019901996198019901996198019901996198519901996
Deutschland6,36,55,21,82,02,186690679639,040,442,8
Dänemark5,26,16,82,72,72,457636844,945,944,9
Finnland6,15,04,82,02,62,763666147,647,447,8
Frankreich6,25,14,81,51,92,0*80076273441,642,544,4
Großbritannien7,46,55,5*2,82,92,9*75479973341,643,244,9
Irland6,45,14,5k.A.  74535030,933,138,3
Italien5,75,64,80,20,50,5*64056953832,234,235,9
Niederlande6,46,45,41,81,92,318119818934,137,741,1
Portugal7,47,26,40,60,91,415811611040,642,144,6
Schweden4,54,73,82,42,32,4971249547,047,948,2
Spanien5,95,75,00,3**0,60,8*57140135229,431,935,0

* = 1995, **= 1981 Quelle: Statistisches Jahrbuch; Internet-Quelle [2]

Im 20. Jahrhundert wurde die Familie regelmäßig angeklagt, eine repressive Einrichtung für ihre Mitglieder zu sein. Man sagte ihr Ende voraus. Doch die westliche Familie hat auf die neuen Bedürfnisse der Individuen zu antworten gewusst und sich in den letzten Jahrzehnten angepasst. Sie ist zu einem bevorzugten Ort der zwischenmenschlichen Solidarität und der Selbstentfaltung geworden.




(Quelle: diplomatie.gouv.fr/label_france/DEUTSCH/DOSSIER/2000bis/07reinvention.html, inaktiv, 02.06.2006)

Im Verlauf des 20. Jh. wurden sich die französischen und deutschen Familien etwas ähnlicher. Zwei wichtige Unterschiede blieben allerdings bis heute erhalten oder entstanden sogar erst im Laufe des 20. Jh. Ein erster Unterschied: Die Familie wird in Frankreich etwas stärker als Lebensmittelpunkt [3] angesehen. Die Franzosen haben mehr Kinder, mehr Alltagsbeziehungen mit der Familie auch außerhalb der engeren Kernfamilie, im Alltag wie in den Ferien. Sie sehen allerdings gleichzeitig in den Kontakten außerhalb der Familie, im Kindergarten, in der Ganztagsschule, in der Arbeit von Frauen und Männern eine zentrale Ergänzung des Familienlebens. Die französische Familie baut dabei auf einer langen Tradition der größeren Freiräume für Frauen [4] , auch für ihre Berufstätigkeit, auf. Die familiäre Erziehung der Jugendlichen ist dagegen in Frankreich stärker auf Pflichten und mitmenschliche Rücksichtnahme ausgerichtet. In Deutschland hingegen wird die Familie eher als emotionaler Haltepunkt im harten Lebenskampf angesehen; ihre Nestwärme soll Kinder auf das Leben vorbereiten. Deshalb wird vor allem von den Müttern viel gefordert. Lange Zeit bestand daher in Deutschland eine große Skepsis gegen außerhäusliche Arbeit von Müttern. In der familiären Erziehung wird gleichzeitig die persönliche Entwicklung und Ablösung der jugendlichen und jungen Erwachsenen von der Familie wichtiger genommen als in Frankreich. Ob die französische oder deutsche Familie liberaler war und ist, bleibt umstritten und hängt davon ab, ob man sie eher an den Freiräumen der Mütter und auch der Väter, oder aber an der Unabhängigkeit Jugendlichen mißt.

Demographische Grunddaten Frankreichs für den Zeitraum 1946 bis 2000

A. Pletsch: Frankreich, Darmstadt 2003, S. 113; alle Angaben in Tsd.
Zeitphase Bevölkerung Natalität Mortalität nat. Bev.überschuss Migrations- Überschuss
1946-1950 41 077,4 20,9 13,1 + 7,9 + 1,3
1951-1955 42 770,6 18,9 12,5 + 6,4 + 1,1
1956-1960 44 773,4 18,2 11,6 + 6,6 + 3,6
1961-1965 47 609,0 17,9 11,1 + 6,8 + 6,5
1966-1970 49 943,4 16,9 10,9 + 6,0 + 2,6
1971-1975 52 045,8 16,0 10,6 + 5,3 + 1,5
1976-1980 53 383,2 14,1 10,2 + 3,9 + 0,7
1981-1985 54 751,2 14,2 10,1 + 4,1 + 0,9
1986-1990 56 129,4 13,7 9,5 + 4,2 + 1,0
1991-1995 57 625,2 12,7 9,1 + 3,6 + 1.2
1996-2000 58.518,8 12,7 9,1 + 3,6 + 1,3

Die Geburtenrate in Deutschland sinkt, ähnlich wie in Frankreich, seit dem Zweiten Weltkrieg fast kontinuierlich. Im Vergleich mit anderen Industrienationen liegt sie heute am unteren Ende der Skala.

(Quelle: cdu.de/politik-a-z/alterssicherung/kap21.htm, inaktiv, 08.08.2003)

Zusammengefasste Geburtenziffern in Deutschland 1901 bis 1999





(Quelle: berlin-institut.org/pages/buehne/buehne_bevpol_dienel_deutschland.html, inaktiv, 02.06.2006)

Geburtenrate und Bevölkerungsrate in Frankreich 1801 bis 2001









(Quelle: ined.fr/publications/pop_et_soc/pes378/PES3783.html, inaktiv, 02.06.2006)

Zum zweiten Unterschied, der sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. herausbildete: Über die Familienpolitik trug in Frankreich der Staat stärker zu den Erziehungsaufgaben der Eltern bei, richtete früher Kindergärten und Ganztagsschulen ein, wurde auch direkter natalistisch tätig als die deutsche Familienpolitik und entwickelte daher ein umfangreicheres Programm der Kindergelder und Familienunterstützung. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der NS-Zeit und der DDR Familienpolitik zögerten die Regierungen in der Bundesrepublik Deutschland stärker, solche Programme [5] aufzunehmen. Die politischen Unterschiede gehen tief und das Verständnis für die Familienpolitik des jeweils anderen Landes ist noch nicht sehr weit entwickelt. Der historische deutsch-französische Familien und Familienpolitikvergleich dürfte zudem nuancierter ausfallen, würde das Familien und Frauenprofil der DDR in diesen Vergleich einbezogen. Denn hier ließen sich viele Gemeinsamkeiten zu Frankreich feststellen, die auch nach der deutschen Vereinigung weiter bestehen.

In der DDR nahm die familienpolitische Entwicklung einen anderen Verlauf als in der BRD. Eine erste familienpolitische Maßnahme in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) war die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bereits im Jahre 1945. 1946 erließ die sowjetische Militärbehörde den Befehl Nr. 253, der Frauen gleichen Lohn bei gleicher Arbeit garantierte. Familienpolitik bedeutete in der DDR bis in die 80-er Jahre in erster Linie Frauenpolitik für die Ermöglichung von Erwerbstätigkeit und für die Sozialisierung von Kindern durch die Gesellschaft. Ein Familienministerium hat es in der DDR nie gegeben.

(Quelle: berlin-institut.org/pages/buehne/buehne_bevpol_dienel_deutschland.html, inaktiv, 02.06.2006)