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'Mitterrand, Europa und die Einheit Deutschlands'
 
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Mitterrand, Europa und die Einheit Deutschlands

Als im Mai 1981 die französischen Wähler einen Richtungswechsel vornahmen und den Sozialisten François Mitterrand [1] zum Staatspräsidenten wählten, stellte er vorübergehend den privilegierten Charakter der Zusammenarbeit mit Bonn in Frage und versuchte, sich London zu nähern. Seine Wirtschaftspolitik, die den Arbeitsmarkt durch die Schaffung von Kaufkraft zu beleben versuchte, zwang ihn innerhalb von zwei Jahren zu drei Abwertungen des Franc, bei denen er deutsches Entgegenkommen fand. Beim dritten Mal aber im Juni 1983 war Bonn nur noch zu einer gleichzeitigen Aufwertung der D Mark bereit unter der Bedingung eines Sparkurses, der die Sozialistische Partei in ein Dilemma stürzte, von Mitterrand selbst aber, nach einigem Zögern, mit dem endgültigen Übergang zu den Stabilitätsregeln des Europäischen Währungssystems und der Anlehnung an Bonn beendet wurde.

Vorher schon, im Januar 1983, hatte er durch eine Rede vor dem Bundestag, die als "Raketenrede" denkwürdig blieb, Aufsehen erregt und Stellung bezogen. Es ging um die Durchführung des NATO Doppelbeschlusses [2] , nach dem das Bündnis mit der Aufstellung neuer Mittelstreckenraketen, vor allem in der Bundesrepublik, beginnen sollte, wenn die Sowjetunion ihre auf Westeuropa gerichteten SS 20 Raketen nicht abbaute. Mitterrand ermahnte den Bundestag, dieser Rüstungsmaßnahme zuzustimmen, enttäuschte damit die SPD Führung und half dem CDU Bundeskanzler Kohl. Diese Ereignisse von 1983 schufen wichtige Grundlagen ihrer gemeinsamen Europapolitik. Für Frankreich kam hinzu, dass 1982 große westdeutsche Demonstrationen gegen die NATO Nachrüstung ernste Sorgen vor einem deutschen "Abgleiten nach Osten" ausgelöst hatten. Die Folge war eine dauerhafte Tendenz zu engerem Schulterschluss mit Bonn. 1988 entstand ein gemeinsamer "Verteidigungs und Sicherheitsrat", vorher schon war eine "deutsch französische Brigade [3] ” beschlossen worden, und 1992 wurde der Aufbau eines "Eurokorps [4] " begonnen.

Die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft bis zum Mai 1995, als auf Francois Mitterrand der Neogaullist Jacques Chirac [5] folgte, ist von mehreren Etappen der Erweiterung (zunächst, 1984, Spanien und Portugal) und der inneren Festigung geprägt, für die immer die Zusammenarbeit zwischen Paris und Bonn wichtige Voraussetzungen schuf. Schon auf den Tagungen des "Europäischen Rats" (der Staats und Regierungschefs) im Juni 1984 in Fontainebleau, im Juni 1985 in Mailand und im Februar 1986 in Luxemburg wurden die wichtigsten Voraussetzungen für den inneren Ausbau der "Europäischen Gemeinschaft" zu einem einheitlichen Binnenmarkt geschaffen, der in Etappen verwirklicht wurde. 1990 wurden dann im Hinblick auf die bevorstehende Einheit Deutschlands die Ziele noch ehrgeiziger gesetzt: Mit den Verträgen von Maastricht [6] (1991) und Amsterdam [7] (1997) und mit der "Agenda 2000 [8] " (1999) in Berlin kam zunächst die "Europäische Union" als einheitlicher Währungsraum zustande, erste praktische Schritte zu einer gemeinsamen Sicherheitspolitik wurden getan und zuletzt die Grundlagen für die Ost Erweiterung gelegt; die letzten Schritte von Mitterrands Nachfolgern.

Die auf der Konferenz von Nizza beschlossene EU-Erweiterung wurde am 1. Mai 2004 Wirklichkeit. Seitdem besteht die Europäische Union aus 25 Mitgliedsstaaten.

 

 

Quelle: europa.eu.int/abc/maps/index_de.htm

Als im April 1990 die schnelle Entwicklung des deutschen Vereinigungsprozesses begann, war der deutsch französische Gleichklang für einige Monate verloren gegangen, weil Mitterrand den ersten Anzeichen der deutschen Einheit mit einer Verzögerungstaktik begegnete, die u.a. mit der Sorge um die europäische Friedensordnung begründet wurde. Nach dem 18. März 1990, der Wahl einer für die Wiedervereinigung eintretenden Mehrheit in der Volkskammer der DDR, änderte er diesen Kurs und ließ sich von Bundeskanzler Kohl überzeugen, dass er die Einheit innerhalb einer gefestigten europäischen Einheit verwirklichen wolle. Er nutzte die Gelegenheit, mit Kohl zusammen für den nicht mehr umkehrbaren Fortschritt der Europäischen Gemeinschaft zu handeln. Aus Sorge vor dem wirtschaftlichen Übergewicht des vereinten Deutschland und einem "Diktat" der D Mark zahlten alle Partner, also auch Frankreich, den Preis, die Stabilitätsregeln und die Währungsmechanismen vor allem die Unabhängigkeit ihrer Nationalbank zu übernehmen, die den Erfolg der D Mark begründeten. Der Verbleib Deutschlands in der NATO und die Anerkennung der polnischen Westgrenze waren dann zwei weitere Bedingungen dafür, dass die Einheit Deutschlands von Frankreich zum ersten Mal in seiner Geschichte freiwillig und formell anerkannt wurde.

Wenn es sicher auch für viele Franzosen eine Anerkennung "auf Bewährung" war, so hat Frankreich doch die ersten Schritte der erweiterten Bundesrepublik ohne Vorbehalte begleitet und auch bei der Verlegung der Hauptstadt nach Berlin keine Ängste mehr erkennen lassen. Als 1996 eine Linksregierung unter Führung des Sozialisten Lionel Jospin die letzten Rechtsregierungen ablöste und den Staatspräsidenten Chirac wieder zur Kohabitation [9] zwang, stimmte zunächst die Wirtschaftspolitik von Paris und Bonn nicht mehr überein, was zu Störungen in der Europapolitik führte. Dann stellte 1998 eine rot grüne Regierung in Bonn in grundlegenden wirtschaftlichen Fragen zunächst den Einklang wieder her. Schließlich aber führten innerpolitische Tendenzen und Probleme auf beiden Seiten zu einer fortschreitenden Banalisierung der Beziehungen.

In Paris hing das mit den Schwierigkeiten der Kohabitation zusammen. Da gerade in der Europapolitik die Kompetenzen von Staatspräsident und Regierungschef ziemlich gleichgewichtig verteilt sind, ging man konkreten Fragen des internen Ausgleichs der Meinungen gern aus dem Weg. So verloren Europafragen, und damit auch die deutsch französischen Beziehungen, ihre überragende Bedeutung. In Berlin, wo die Bundesregierung 1999 ihren Sitz nahm, wirkte sich vielleicht auch die geographische Entfernung von Brüssel und Paris auf das europäische Engagement aus; auf jeden Fall aber versuchte der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder, um die Bildung einer "neuen Mitte" bemüht, eine Anlehnung an den innenpolitischen Kurs des britischen Premierministers Tony Blair und seiner "New Labour". Eine neue Europapolitik, wie man in Paris argwöhnte, ließ sich damit aber, wenn überhaupt beabsichtigt, nicht begründen.

Die EU-Gipfelkonferenz 2000 in Nizza

Quelle: epp-ed.europarl.eu.int/press/pthem00/them002_de.asp

So kam es, trotz gegenseitiger Beteuerungen, zu einer Abkühlung der engen deutsch französischen Zusammenarbeit. Sie zeigte ihre Auswirkungen, als die Europäische Union gegen Ende des Jahres 2000 mit einer Gipfelkonferenz in Nizza [10] die Grundlagen einer neuen Verfassung zu finden suchte, die sie zur Erweiterung um rund ein Dutzend neuer Mitglieder fähig machen sollte. Das Resultat war enttäuschend und zwar, weil, nach allgemeiner Überzeugung, die sonst übliche deutschfranzösische Vorarbeit versagt hatte. Paris und Berlin beschlossen daraufhin, ihre Kontakte auf allen Ebenen wieder zu intensivieren. Berlin hatte ausdrücklich auf eine Forderung verzichtet, die vorübergehend zu Irritationen geführt hatte: Es hatte bei der Berechnung der Stimmen im Ministerrat der EU ein größeres Stimmgewicht als Frankreich gefordert, wegen der um 20 Millionen höheren Einwohnerzahl. Präsident Chirac hatte entschieden die Respektierung der Gleichgewichtigkeit verlangt, auf der nach 1950 die ganze Neuordnung der deutsch-französischen Nachbarschaft aufgebaut worden sei.