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Europaplan
Von Maximilien de Béthune, Herzog von Sully (1560–1641),stammt der sogenannte Große Plan (Grand Dessein), den der Verfasser Heinrich IV. (von Frankreich, 1553–1610) in den Mund legte. Enthalten ist er in den Memoiren Sullys, er dürfte um 1632 niedergeschrieben worden sein. Die die Zeit von 1572 bis 1605 behandelnden Teile wurden 1638 auf dem Schloß Sully gedruckt, aber nicht auf den Buchmarkt gebracht. Die gesamten Memoiren wurden erstmals postum 1662 gedruckt. 1745 editierte der Abbé de l'Ecluse die Memoiren Sullys, wobei er den Stil modernisierte und alles, was ihm umständlich oder überflüssig erschien, herauskürzte. Erst in dieser Edition nahmen die Überlegungen Sullys zu Europa die Gestalt eines zusammenhängenden Planes an, was seine Rezeption nachhaltig beförderte. Die dort formulierten Ansichten sind diejenigen Sullys, kombiniert mit Überlegungen, die in Gesprächen mit Heinrich IV. eine Rolle gespielt haben dürften, und solchen, die den Richelieuschen Machtbestrebungen entgegenkamen. Was sah dieser Plan vor? Im Kern eine Neubestimmung der Staatsgrenzen, eine ziemlich kühne Vorstellung, die aber konsequent Erasmus weiterdenkt.
"Man wird, hoffe ich," – so schrieb Sully – "nunmehr deutlich sehen, welches der Zweck dieses neuen Staatensystems war: nämlich ganz Europa in gleichem Verhältnis unter eine gewisse Anzahl von Mächten zu teilen, welche einander weder wegen ihrer Ungleichheit beneiden, noch in Absicht auf das zwischen ihnen nötige Gleichgewicht fürchten müßten. Ihre Zahl war auf 15 gesetzt.
Die Gesetze und Statuten, welche die Verbindung aller dieser Glieder festknüpfen und die einmal eingeführte Ordnung unterhalten könnten; die gegenseitigen Eidschwüre und Verpflichtungen, welche sowohl die Religion als den Staat betreffen; die wechselweisen Versicherungen einer uneingeschränkten Handlungsfreiheit; die Maßregeln, die man nehmen mußte, um alle diese Teilungen mit Billigkeit und zur allgemeinen Zufriedenheit der Parteien zu machen; dies alles sind Sachen, die sich von selbst verstehen (…) Höchstens konnten einige kleine Schwierigkeiten bei der Ausführung der einzelnen Teile vorkommen, welche aber in der allgemeinen Ratsversammlung leicht behoben werden konnten. Diese sollte gleichsam alle europäischen Staaten vorstellen (…)
Die Ratsversammlung sollte aus einer gewissen Anzahl von Kommissarien, Ministern und Bevollmächtigten aller Staaten der christlichen Republik bestehen, welche in Form eines Senats beständig versammelt wären, um sich über die vorkommenden Geschäfte zu beratschlagen, die streitigen Interessen zu einigen, die Zwistigkeiten beizulegen, alle bürgerlichen, politischen und kirchlichen Angelegenheiten der europäischen Staaten, die sowohl unter ihnen als mit Fremden vorkommen würden, aufzuheitern und in Ordnung zu bringen. Die äußerliche Einrichtung und die Prozeduren dieses Senats wären dann in der Folge durch Mehrheit der Stimmen von ihm selbst näher bestimmt worden. […]" (Foerster, S. 60-72)
Dieser Plan war eindeutig zugunsten Frankreichs interessengeleitet, ragte aber wegen seiner weitreichenden Vorschläge hinsichtlich der europäischen Staatenkarte über alles bis dahin gedachte hinaus. Das mag erklären, warum bis in die jüngste Zeit der Plan Sullys weithin bekannt geworden ist und als Vorreiter einer europäischen Verfassung gelten konnte. Der Plan fand schon im 17. Jh. ein gewisses Echo, zumal ein anderer Weggefährte Heinrichs IV., Agrippa d'Aubigné (1552–1630) in seiner Universalgeschichte von 1616-1620 angedeutet hatte, dass Heinrich IV. nach der europäischen Universalherrschaft strebte, wobei er sich der Unterstützung der europäischen Nationen hätte sicher sein können. Der Erfolg des Sullyschen Plans in der Version des Abbé de l'Ecluse profitierte von der Debatte um den ewigen Frieden, die der Abbé de Saint-Pierre 1713 mit einer entsprechenden Schrift entfacht hatte.
Text: Schmale, Wolfgang: Geschichte Europas (UTB), Wien u.a. 2001, S. 88 f. (mit freundlicher Genehmigung des Böhlau-Verlages Wien)