- Das Projekt Deuframat.de
- Unterrichtspraxis
- Europa im Unterricht
- Deutschland und Frankreich - welche Zukunft für die Zusammenarbeit?
- Frankreich - "starkes Stück" Europa!
- Nachbarn am Rhein
- Frankreich - Deutschland 0:0
- Es soll von "Europavorstellungen" die Rede sein: und was heißt "Europa"? - Ein kurzer Gang durch die Geschichte von Herodot bis Heute
- Es soll von "französischen" und "deutschen" Europavorstellungen die Rede sein: doch was heißt hier "französisch" und "deutsch"?
- Französischer Europapragmatismus und kaiserlicher Universalismus im Mittelalter
- Europapropaganda der französischen Könige in der Frühen Neuzeit
- Europapropaganda der Römischen Kaiser aus dem Hause Habsburg
- Französische Europapläne in der Frühen Neuzeit
- Deutsche Europapläne in der Frühen Neuzeit
- Napoleonische Europavorstellungen
- Französische Europavorstellungen im 19. Jahrhundert (bis 1918)
- Deutsche Europavorstellungen im 19. Jahrhundert (bis 1918)
- Die Zwischenkriegszeit: Pan-Europa und Briand-Memorandum
- Europapläne des französischen und deutschen Widerstands im Zweiten Weltkrieg
- Die nationalsozialistischen Europakonzepte
- Die Europapolitik der Vierten Republik in Frankreich
- Die Einbeziehung Deutschlands in die neuen westeuropäischen Strukturen
- Literatur
- Deutsche Europavorstellungen im 19. Jahrhundert
- Die Wiedergeburt Europas
Sie sind hier: Deuframat > ... > Der Wiener Kongress und die Heilige Allianz > Überlegungen
Anfangs knüpften Napoleon I. (1769-1821) und seine Diplomaten wie der Graf d'Hauterive (1754-1830) durchaus an das ältere Gleichgewichtsdenken an, das sich zu einem Föderalsystem ausbauen ließe, aus dem England ausgeschlossen sein sollte. Sehr schnell schlug das Unternehmen aber in ein Hegemonialsystem um, dem eine wirkliche Europaphilosophie fehlte. Napoleon versuchte an Karl d. Gr. anzuknüpfen, indem er sich selbst als dessen Nachfolger verstand und darstellte, ohne damit überzeugen zu können. Ein Stück europäische Integration schaffte er immerhin durch die Verbreitung seines Zivilgesetzbuches, des Code Napoléon, zudem waren viele Intellektuelle der Zeit von seiner Gestalt so fasziniert, daß sie daraus vielfache Motivationen für die Schöpfung neuer Europapläne zogen. Gerade deutscherseits, bei den Anhängern des Rheinbundes, war diese Wirkung festzustellen. Dalberg, der letzte Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, der Publizist Niklas Vogt, der Völkerbundphilosoph K. Chr. Fr. Krause, Wieland in Weimar, sie alle erdachten sich ein politisch so oder so föderiertes Europa unter Napoleons bzw. Frankreichs Ägide, ohne den Nutzen für ein reformiertes Reich aus den Augen zu verlieren. Sie wollten nicht das Reich aufgeben, wie es ja tatsächlich 1803/6 geschah, sondern sie wollten das Reich im europäischen Verbund reformieren. Der Mythos Karls d. Gr. spielte dabei im übrigen durchaus seine Rolle.
In England wurde die traditionelle französisch-englische Rivalität nicht weniger gepflegt als in Frankreich. Edmund Burke (1729-1797) schrieb, daß bei den Briten "die Grundsätze und Formen der alten gemeinschaftlichen Verfassung der europäischen Staaten verbessert und dem gegenwärtigen Zustand von Europa angepaßt" zu finden seien (Gollwitzer 1951: 155), so als habe es eine Art europäischer "Urverfassung" gegeben, die England konserviert habe. Friedrich von Gentz (1764-1832), der Burke ins Deutsche übersetzte, sowie der Publizist, Staatsphilosoph und Diplomat Adam Heinrich von Müller (1779-1829) teilten diese Sichtweise Burkes. Aus preußischer Sicht bedeutete Europa kaum mehr als die Idee des Gleichgewichts und einer europäischen Stellung Preußens, sprich Preußens als einer Macht der Oberklasse.
Die historische Durchmessung Europas, wie sie den Schriften der Romantik eignet, führte, wie in den gesamten Humanwissenschaften, zu einer kulturgeschichtlichen Zweiteilung Europas in Romanität und Germanität, zwei Wurzeln, die als Paar das neue Europa prägten, jedoch nicht zu einem einzigen Kern verschmelzen sollten. Anhänger dieser Auffassung, wie die Gebrüder August Wilhelm (1767-1847) und (Karl Wilhelm) Friedrich (1772-1829) Schlegel verstanden dies als Alternative, wenn nicht als Opposition zur napoleonischen Universalmonarchie. Ihr positives Englandbild ergänzten sie durch einen bewundernden Blick auf Amerika, das ihnen als "neues" oder "amerikanisches" Europa erschien.
Text: Wolfgang Schmale: Geschichte Europas (UTB), Wien 2001, S. 94-96 (mit freundlicher Genehmigung ds Böhlau-Verlages Wien)