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'Zur Wahl der Marianne-Figur'
 
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Zur Wahl der Marianne-Figur

Im karikaturalen Zeichenrepertoire gibt es vielfältige Formen der Evokation eines Landes oder Staates. Diese kann beispielsweise vorgenommen werden mit Hilfe von Fahnen und Emblemen, metonymisch verwendeten Bauwerken (z.B. Eiffel-Turm, Brandenburger Tor), historischen Persönlichkeiten und Politikern der Gegenwart und nicht zuletzt durch Nationalallegorien. Diese sind für unsere Untersuchung besonders geeignet, da mit ihrer Verwendung das jeweilige Land als ganzes aufgerufen und herbeizitiert und nicht bloß ein Teilaspekt seiner Politik angesprochen wird. Aus diesem Grund - und auch, um ein überschaubares Teilcorpus zu gewinnen - wollen wir uns im folgenden auf nationalallegorische Repräsentationen beschränken. Im Zentrum werden dabei die 50er Jahre stehen, da dies ein Zeitraum ist, in dem Frankreich seine spezifische Rolle deutlicher als vorher und nachher spielte. Gerade in dieser Zeit lässt sich auf dem Umweg über das Fremdbild ein relevantes und distinktes Selbstbild der DDR nachzeichnen: Marianne-Bilder als indirekte Selbst-Portraits der DDR.

Marianne ist freilich mehr als bloße Nationalallegorie. Ihrem Ursprung nach ist sie vielmehr Freiheitsgöttin. M. Agulhon hat detailliert nachgezeichnet, wie diese Figur in einem hundertjährigen Kampf zur Inkarnation der Republik und Frankreichs in einem wurde (3). Im Unterschied etwa zum Deutschen Michel wurde Marianne auch rasch im Ausland bekannt und akzeptiert. In Deutschland wurde sie dabei zum einen als nationale Repräsentantin anerkannt, zum anderen wurde ihre Ursprungsbedeutung reaktualisiert. Genauer gesagt: sie wurde deterritorialisiert, von Frankreich abgelöst und in deutschen Kontexten als Vorkämpferin für Freiheit und soziale Gerechtigkeit inszeniert. Markante und bekannte Beispiele hierfür sind die Mai-Plakate der Jahrhundertwende. Aber sie blieb auch in der Weimarer Republik eine in der Arbeiterbewegung lebendige Figur, die beispielsweise auf einem (Erd-)Ball balancierend für eine Arbeiter-Olympiade werben sollte (4).

Der Ursprung der "Marianne" ist die Freiheitsgöttin. Die wohl bekannteste Darstellung stammt von Eugène Delacroix in seinem Bild La liberté guidant le peuple (1830, Musée du Louvre)

 

 

Quelle: www.ac-guadeloupe.fr/Cati971/PEDAGO/ecjs/accueil.htm

Das Dritte Reich unterbrach diese Traditionslinie. In der Bundesrepublik wurde der republikanische Gehalt dieser Figur dann nicht wieder aktualisiert, auch nicht innerhalb der politischen und gewerkschaftlichen Linken. Marianne wurde zum kommoden Kürzel für Frankreich, ohne dass sich mit ihr politischideologische Inhalte verbanden. Die zumeist leicht frivole, aber politisch farblose französische Nationalallegorie konnte so zum idealen Partner eines entpolitisierten, unbedarften Deutschen Michel werden.

Im folgenden wird zu zeigen sein, dass sich dies in der DDR anders darstellt. Hier wurde Marianne sehr wohl als hochpolitische Frauenfigur inszeniert, als hochmythische republikanische Pasionaria. DDR-Zeichner knüpften damit an französische, aber auch an in der Bundesrepublik verschüttete deutsche Bildtraditionen an und bildeten damit einen deutlichen Gegensatz zum Zeicheninventar der westdeutschen Bildsatire. Die Herausbildung einer DDR-spezifischen Bildsprache - mit deutlichem französischen Akzent - in bezug auf diese Figur soll nunmehr nachgezeichnet werden.

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Anmerkungen

(3) Maurice Agulhon: Marianne au combat. Flammarion, Paris 1979; Id., Marianne au pouvoir. Flammarion, Paris. 1989; Id./Pierre Bonte: Marianne. Les visages de la Republique. Gallimard (Decouvertes), Paris 1992

(4) Vgl. Herbert Anger: "Arbeiterolympiade". In: Lachen links 307 1925, S. l, zit. nach Udo Achten (Hg.): Lachen links: Das republikanische Witzblatt 1924-1927. Dietz Nachf., Bonn 1985 (dort auch zahlreiche weitere Beispiele).

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