- Der Rhein als Konfliktthema zwischen deutschen und französischen Historikern - Für eine Geschichte der Grenzmentalitäten in der Zwischenkriegszeit
- Vom Frieden zwischen zwei Kriegen: 1919 und die Folgen
- Spielball der Rivalen: Elsass und Lothringen zwischen Frankreich und Deutschland
- Erfahrungen der Schulzeit
- Kampf dem Alldeutschtum
- "Pack den Schwab am Kragen"
- Wurzeln des Hasses
- Karikatur des Pangermanismus
- Schluss
- Lieux de mémoire: Politischer Totenkult in Frankreich und Deutschland
- Krieg und Aussöhnung
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Vom Wesen deutscher Mentalität
Zu Beginn des 1. Weltkriegs waren Gebiete des damals deutschen Sundgaus südlich und südwestlich von Mülhausen und zeitweise Mülhausen selbst von französischen Truppen erobert worden. Nachdem sich die Lage der französischen Armeen an anderen Frontabschnitten, vor allem um Verdun und in Flandern, verschlechtert hatte, wurden Truppen aus diesem Gebiet zurückgezogen. Die deutschen Truppen konnten daraufhin einige Gebiete zurückerobern; nur Thann, Massevaux und Dannemarie blieben bis zum Ende des Krieges in französischer Hand. (56)
Noch vor Ende des Krieges veröffentlichte Hansi das Album "Le paradis tricolore", in dem die nunmehr schon bekannten antideutschen Klischees wieder auftauchen. Schon in der "Préface" - der faksimilierten Wiedergabe eines Schüleraufsatzes zum Thema "Welche Veränderungen hat der Krieg unserem [von den französischen Truppen befreiten] Dorf gebracht? - taucht wieder der verhasste deutsche Lehrer auf: "Seit Kriegsbeginn haben wir französische Lehrer, davor hatten wir deutsche Lehrer ("des maîtres boche"). Die französischen Lehrer sind sehr viel freundlicher und gebildeter als die Boches, die dumm waren und nichts als das Bier liebten." In seinem Schlussabschnitt schreibt der Schüler, dass "wir zu Gott beten müssen, dass die Franzosen siegen, denn wenn die Boches zurückkämen, dann wären wir sehr unglücklich. Les boches son [!] pas des personnes comme nous. Ils sont des cochons." (57)
Auch in diesem von französischen Soldaten - Hansi sagt: "nos troupes" - befreiten Fleckchen Land gibt es Kriegsschäden; aber "diese Ruinen wird man bewahren, so wie man die Hoh-Königsburg in ihrer ganzen arroganten Hässlichkeit fortbestehen lassen wird. Beide, die Kirchenruinen und das falsche Mittelalterschloss, werden bis in alle Ewigkeit von der Barbarei unserer Nachbarn von jenseits des Rheins Zeugnis ablegen. Später wird man dorthin die kleinen Elsassfranzosen hinführen. Jene, die den scheußlichen Boche nicht kennengelernt haben, werden dort sehen, was das Volk wert ist, das 47 Jahre lang uns unterdrückt und misshandelt hat." (58) Und um wie viel besser sind doch die französischen Soldaten, die hier in den befreiten Dörfern einquartiert sind! "Sie gehören zur Familie, sie helfen bei der Feldarbeit, sie führen den Pflug, sie bringen das Getreide ein, und abends sieht man sie inmitten einer Kinderschar, wie sie schreckliche Kriegsgeschichten erzählen… In der Schule lehrt man sie das klassische Französisch, aber die Soldaten bringen ihnen jene Wörter bei, die es braucht, die Großtaten der Gebirgsjäger zu beschreiben und um den Hass gegen den Boche auszudrücken." (59)
Henri Zislin, ein Zeitgenosse, Kollege und Freund Hansis, hat den "Homo Pangermanus" so beschrieben:
Grüne Hosen, grüne Joppe,
Grünes Hütchen auf dem Koppe.
Darauf, in der Mitte, hinten,
Etwas Haariges zu finden,
Riesendimension erreichend,
Abtrittspinselborsten gleichend,
Lodendeckel prächtig schmückend,
Zücht'ge Jungfrau hochbeglückend,
Deutschen Hauptes edle Zier!
Dann ein Kräglein aus Papier,
Und die Ausstattung ergänzend
Noch ein Vorhemd, wachstuchglänzend,
Tritt er ein, groß, stark und dick,
Linke Brust voll Blechmusik…" (60)(vgl. auch untenstehende Abb. 17:
"Die gnädige Frau" von Hansi, aus:
Le Paradis tricolore, 1918)
Gefragt, was die deutsche Mentalität ausmache, erklärt Hansi: Es sei ihr Stolz, der sie glauben lässt, sie seien ein allen anderen Völkern überlegenes Volk, ihre absolute Unfähigkeit, die Seele und Mentalität anderer Völker zu verstehen, ihr Bedürfnis, alles, was sie anderswo sehen, mit dem zu vergleichen, was sie selbst haben, und zu erklären, dass jenes minderwertig sei. Es fehle den Deutschen ferner ein kritischer Geist. Es charakterisiere ferner die Deutschen, dass sie, wenn sie einmal eine Theorie, eine Doktrin oder eine x-beliebige Ideologie übernommen und sich angeeignet haben, diese bis in ihre letzten Konsequenzen entwickeln würden, jusqu'à l'absurde, même si cet absurde le mène à la folie furieuse, pathologique." (61)
Der Reprint des "Professeur Knatschké" aus dem Jahr 1995 enthält auch jene Ergänzungen, die Hansi im Jahr 1947 noch ganz unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs seiner Satire hinzugefügt hat. Dort heißt es: " Einmal mehr hat der alldeutsche Größenwahn Deutschland eine schreckliche, harte und zweifellos notwendige Lektion eingetragen. Seine schönen Städte, seine riesigen Fabriken sind nur noch Ruinen und Trümmer, in denen jene Hungersnot und jenes Elend herrscht, mit denen sie die anderen Völker bedrücken wollten, denn diesmal hat der Krieg bei ihnen stattgefunden. Wird man diese Lektion verstehen ? Wir hoffen es, ohne große Gewissheit. Also ist es an uns, immer wachsam zu sein und aufzupassen, dass nicht in einigen Berliner oder Leipziger Kellern von Hitlers Erziehung vergiftete Fanatiker bei einer Flasche Süßstofflimonade eine neue Mystik erfinden, eine neue Ideologie, die, wenn sie nur logisch entwickelt wird, bei diesem Plünderervolk den von seinen Vorfahren herrührenden Raubinstinkt und seinen Traum von der Vorherrschaft wieder wecken würde. "
Diesem Text folgt gleichsam zu seiner Illustration die hier wiedergegebene Zeichnung. (62) (Abb. 18) Für Hansi stand fest: Diesem deutschen Raubgesindel (63) ist niemals zu trauen, während die Herausgeber des Reprints sich 50 Jahre nach dem Krieg veranlasst sahen, dieser von Hansi den Deutschen zugeschriebenen, gleichsam genetisch unveränderlichen Devianz eine versöhnliche Anmerkung anzufügen: "Man wird gut verstehen, dass diese übertriebenen und zu generalisierenden Passagen, die unsere deutschen Freunde heute schockieren könnten, in den Kontext der unmittelbaren Nachkriegszeit gestellt und im Kontext der Aggression gewürdigt werden müssen, die die Gestapo Hansi gegenüber verübt hatte." (64) Ähnlich rücksichtsvoll gegenüber etwaiger nationaler Sensibilität deutscher Besucher glaubte sich das Musée Hansi verhalten zu müssen, als es auf der mit einem Bild Hansis verzierten Schachtel, in der im Museum ein typisch elsässischer Kuchen verkauft wird, eine kleine Korrektur vornahm: Das Bild auf der Kuchenschachtel entstammt Hansis Album "Mon Village" und zeigt elsässische Kinder, wie sie Bleche mit Kuchen zum Backen tragen. Während auf dem Originalbild ein schwächliches deutsches Kind zu sehen ist, das dem Tun der elsässischen Kinder neidisch zusieht, wurde auf dem Bild der Kuchenschachtel dieses Detail eliminiert - eine Rücksichtnahme, die mir heute übertrieben erscheint und offensichtlich der political correctness gegenüber deutschen Museumsbesuchern geschuldet ist.
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Anmerkungen
(56) Vgl. hierzu die genauen Angaben bei Hermann Stegemann: Geschichte des Krieges, Bd. 1, Stuttgart/Berlin 1917, S. 113ff., 123ff., 133; Vogler, in: L'Alsace - une histoire (wie Anm. 20), S. 166f.
(57) Le paradis tricolore (wie Anm. 3), n. p.
(60) Henri Zislin: Dur's Elsaß Nr. 252 v. 2. 5. 1914
(61) Professeur Knatschké (wie Anm. 7), S. 12 (Anhang zur Ausgabe von 1995 mit dem Titel "Fallait-il rééditer le Professeur Knatschké?").
(62) Ebd., S. 157; dort auch das nachfolgende Zitat. Im gleichen Jahr 1947 hatte er voller Misstrauen gegenüber der deutschen Nachkriegsgesellschaft Zweifel geäußert, "si la mentalité des vaincus de 1947 est bien différente de celle des Allemands après la défaite précédente" (ebd., S. 121).
(63) Den Deutschen werden in der Welt viele negative Eigenschaften zugesprochen. Der Vorwurf, Plünderer und Räuber zu sein, ist aber eher selten. Bei Hansi wie auch bei einer Reihe zeitgenössischer Literaten wird den deutschen Plünderern eine eigenartige Vorliebe für französische Stutzuhren zugeschrieben, und dies schon seit altersher, besonders aber im Krieg von 1870/71; vgl. Babillotte (wie Anm. 12), S. 32.
(64) Professeur Knatschké (wie Anm. 7), S. 157 Anm. 1; ähnliche Bedenken hatte der Verleger des Buches "Le grand livre de l'oncle Hansi" (wie Anm. 1), Georges Herscher, wenn er in seinem Vorwort sich die Frage stellt: "Devions-nous au contraire insister sur le caricaturiste féroce que Hansi a également osé être?".