- Der Rhein als Konfliktthema zwischen deutschen und französischen Historikern - Für eine Geschichte der Grenzmentalitäten in der Zwischenkriegszeit
- Vom Frieden zwischen zwei Kriegen: 1919 und die Folgen
- Spielball der Rivalen: Elsass und Lothringen zwischen Frankreich und Deutschland
- Erfahrungen der Schulzeit
- Kampf dem Alldeutschtum
- Wurzeln des Hasses
- Karikatur des Pangermanismus
- Vom Wesen deutscher Mentalität
- Schluss
- Lieux de mémoire: Politischer Totenkult in Frankreich und Deutschland
- Krieg und Aussöhnung
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"Pack den Schwab am Kragen"
Mit dem Ende des Krieges und mit der von ihm so sehr herbeigesehnten Wiedervereinigung des Elsass mit Frankreich hat Hansi den Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Damit geht ihm aber der Hauptstoff seiner künstlerischen Tätigkeit verloren: der Boche. Alle Altdeutschen - so nannte man jene, die ab 1871 ins Elsass gekommen waren, um hier als Soldaten, Beamte wie Polizisten, Richter, Lehrer usw. hoheitliche Funktionen wahrzunehmen - müssen jetzt das Land verlassen; viele von ihnen suchen jenseits des Rheines, meist im angrenzenden Baden und Rheinland-Pfalz, eine neue Heimat. Zu den Bildern Hansis von der Vertreibung der Deutschen aus dem Elsass im Winter 1918/19 passt das seinerzeit im Elsass umlaufende Gedicht:
"Pack den Schwab am Kragen, Setz ihn in den Wagen,
Fahr ihn über den Rhein: Das Elsaß ist nicht sein!" (18)(vgl. dazu auch die folgende Zeichnung)
Fast resigniert klingt es, wenn Hansi in einer der Ergänzungen zu seinem "Professeur Knatschké" aus der Zwischenkriegszeit schreibt: "Ich werde jetzt endlich zeichnen, malen und all die schönen Dinge beschreiben können, die man im Elsass sieht; ich werde das Museum Unterlinden in Colmar verschönern, ohne mich um unsere wenig sympathischen Nachbarn jenseits des Rheines kümmern zu müssen." (19)
Abb. 10: L'Avant-Garde (1920)
Von links nach rechts sind zu sehen: Zwei elsässische Kinder, die sich wundern, mit welcher Leichtigkeit Deutsche und ihre Propaganda nach 1918 wieder ins Elsass gelangten; ein deutscher Pfarrer als Apostel des Regionalismus; für ihn ist allein die deutsche Sprache würdig, in der Kirche benutzt zu werden; ein Verteidiger des elsässischen Partikularismus; der Direktor des Freiburger Stadttheaters; ein Vertreter der elsässischen Autonomiebewegung; deren Ziel war die Neutralisierung des Elsass; ein deutscher Gendarm, der schon im Kaiserreich auf Zeichnungen Hansis als Symbol für deutsche Unterdrückung stand; schließlich zwei armselige Gestalten, die das deutsche Elend personifizieren.
Aus: Le Professeur Knatschké a.a.O., S. 119
Doch so ganz stimmt dieser scheinbare Rückzug in die Beschaulichkeit des Künstlers nicht. Schon bald wittert Hansi eine 5. Kolonne im Elsass am Werk (Abb. 10) - "Es ist interessant festzustellen, mit welcher Geschwindigkeit das besiegte Deutschland gleich nach dem Krieg eine 5. Kolonne im Elsass einzurichten und zu organisieren verstand" - und bitter beklagte er, dass nach dem Wunsch des amerikanischen Präsidenten Wilson jeder Deutsche, der eine Elsässerin geheiratet hatte, in den Genuss der französischen Staatsbürgerschaft gelangte. (20)
Hansi vermutete eine von Deutschland aus betriebene, clandestine Beeinflussung der Elsässer, eine Art kultureller Reconquistà. Dass das Freiburger Stadttheater zahlreiche Aufführungen in Colmar und Straßburg bot, nach deren Ende sich jeweils Sympathisanten aus dem ganzen Elsass zu gutem Essen und fröhlichen Gelagen trafen, war ihm genau so ein Dorn im Auge wie die Aktivitäten des in Frankfurt am Main gegründeten "Institut d'études alsaciennes" (21), das unter dem Vorwand, die Geschichte des Elsass zu erforschen, vorgeblich Gleichgesinnte rekrutierte. In vielen Ortschaften entstanden überdies Geschichtsvereine, und Hansi wunderte sich, wie deren nur wenige Mitglieder bei den mäßigen Mitgliedsbeiträgen in der Lage waren, Jahr für Jahr dicke und prachtvoll ausgestattete Bände herauszubringen. Deutsche Sympathisanten hätten wichtige Positionen im Elsass inne, so die Bibliothekarsstellen in Straßburg, Colmar und Hagenau. Hansi scheut sich nicht, den Bibliothekar von Straßburg, den Abbé Brauner, als einen der aktivsten Agenten zu denunzieren, der jeden Monat über Kehl nach Freiburg führe, um von dort aus, ausgestattet mit Geldscheinen, über die Schweiz ins Elsass zurückzukehren, "wo er mit deren Verteilung beauftragt gewesen ist." Manche würden von deutscher Seite ein festes monatliches Gehalt in Höhe von 1000 Mark beziehen.
Unterstützung erhielten diese Sympathisanten von der deutschsprachigen Presse im Elsass, die einen bissigen und aggressiven Regionalismus pries und alles kritisierte, was aus Frankreich kam. Besonders habe sich hier die 1929 gegründete antifranzösische und autonomistische Tageszeitung "ELZ" (Elsaß-Lothringische Zeitung) hervorgetan. Unmittelbar nach Kriegsbeginn sei "die ganze Bande" der Autonomisten festgesetzt worden, einer ihrer Wortführer, der 1929 in Straßburg zum Oberbürgermeister gewählte Dr. Karl Roos (Unabhängige Landespartei), wird der Spionage überführt und zum Tode verurteilt. Wenige Monate vor der Besetzung des Elsass durch die Wehrmacht wird Roos im Februar 1940 exekutiert. Hansi sieht darin eine gerechte Strafe, hätten diese besoldeten Agenten Deutschlands ("tous ces agents salariés de l'Allemagne") doch ihr Möglichstes getan "pour faire haïr la France en Alsace". Ihr Erfolg sei jedoch nur bescheiden gewesen und hätte in keinem Verhältnis zu den großen Summen gestanden, die die deutsche Regierung zu diesem Zweck ausgegeben habe. Bekämpfte Hansi vor dem Ersten Weltkrieg die Alldeutschen und die altdeutschen Amtsinhaber im Elsass, so sind es in der Zwischenkriegszeit die elsässischen Autonomisten, zu denen auch einige seiner alten Weggefährten gehörten. Hansi scheint mit der Tatsache nicht gut zurecht zu kommen, dass die Elsässer bei Kriegsende zwar mit großer Freude die französischen Truppen und die Rückkehr in den Schoß Frankreichs begrüßt, nicht aber zugleich auch auf ihre elsässische Identität verzichtet hätten. Von einem elsässischen Partikularismus, der in der Kaiserzeit seine Tätigkeit als Künstler und antideutscher Propagandist wesentlich bestimmt hat, will er nun nichts mehr wissen.
Auch wenn mit der Rückkehr Elsass-Lothringens zu Frankreich ein großes Lebensziel Hansis sich erfüllt hatte und sein Hauptfeind, der Boche in Gestalt alldeutscher Beamter und Offiziere, nicht mehr existierte, sein Hass blieb unerbittlich, wie es scheint fast bis zu seinem Lebensende im Jahr 1951.
In der Zwischenkriegszeit veröffentlicht er einige weitere Elsass-Bücher, wie immer mit vielen Illustrationen, von denen einige auch als Postkarten vertrieben werden (22). 1923 wird Hansi Nachfolger seines Vaters als Konservator des berühmten Museums Unterlinden in Colmar; er widmet sich nun verstärkt der elsässischen Heraldik. Eine Summe dieser Tätigkeit ist das Werk "L'art héraldique en Alsace", das ab 1937 erscheint und Zeichnungen und Kommentare Hansis zu 400 Stadtwappen, Zunftzeichen und Wappen Adliger und Bürger enthält (23). In den Jahren von 1923 bis 1933 realisiert Hansi überdies mehrere Plakate für die elsässischen und lothringischen Eisenbahnen sowie Werbepostkarten für die elsässische Pottasche-Industrie.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs (24) verlässt Hansi das Elsass, um nicht in die Hände der Deutschen zu fallen. Über mehrere Umwege gelangt er im Juni 1940 nach Agen (Südwestfrankreich), wohin die Präfektur des Departements Haut-Rhin evakuiert worden war. Im November 1940 erschien in Straßburg aus der Feder eines ehemaligen Lehrers am Colmarer Gymnasium unter der Überschrift "Hansi-en-France, der übelste Deutschenhetzer, der im Elsaß lebte" ein langer Artikel. Darin heißt es: "Die deutschen Truppen hätten ihn [Hansi, G.S.] festnehmen können. Sie ließen ihn frei im unbesetzten Gebiet herumlaufen. Mancher hat sich über diesen Großmut geärgert. Nichts beweist aber besser, wie tot dieser Hetzer mitsamt seiner phrasendreschenden französischen Unterwelt ist, als diese völlige Nichtbeachtung." (25) Dies liest sich wie ein Bedauern, dass man so großzügig mit Hansis umgegangen sei.
Tatsächlich entgeht dieser im April 1941 in Agen mit knapper Not dem Tod, als - wie es heißt - drei Totschläger in deutschem Sold (Louis Kubler schreibt: "des émissaires de la Gestapo") ihn niederschlugen und für tot liegen ließen. Hansi flieht schließlich in die Schweiz; Ende November 1942 trifft er in Genf ein. Erst Juni 1946 kehrt er nach Colmar zurück, (26) nachdem sein verwüstetes und geplündertes Haus wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt worden ist. In den Jahren bis zu seinem Tod erfährt Hansi zahlreiche Ehrungen; so wird er, um nur einige Auszeichnungen zu nennen, Ehrenbürger der Stadt Colmar, zum korrespondierenden Mitglied der Académie des Beaux-Arts gewählt und zum Kommandeur der Ehrenlegion befördert. Arbeiten und Reisen fallen ihm zunehmend schwerer. Noch einmal bringt er seinen "Professeur Knatschké" heraus - mit einer deutlichen Warnung, dass der Drache Nationalsozialismus noch am Leben sei. Als letzte Publikation Hansis gelten zwei unter dem Titel "Souvenirs d'un annexé récalcitrant" (Erinnerungen eines widerspenstigen Annektierten, 1950) zusammengefasste, altersmilde Anekdoten. Hier spricht Hansi "zum ersten Mal von zwei ‚Klassen' von Deutschen, von den hochnäsigen hohen Beamten und den armen kleinen Angestellten und Handwerkern. Wenn er letztere als ‚arme Teufel' bezeichnet, so klingt das fast versöhnlich." (27) Auf dem Hintergrund seiner antideutschen Karikaturen der Vergangenheit klingt es eigenartig, wenn Hansi jetzt am Ende seines Lebens enthüllt, dass sein bester Freund in seinen jungen Jahren ein kleiner Deutscher gewesen sei. Als Hansi am 10. Juni 1951 stirbt, wird er unter großer Beteiligung der Bevölkerung Colmars und in Anwesenheit des Ministers der Veteranen und zahlreicher Delegationen zu Grabe getragen.
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Anmerkungen
(18) Aus dem Tagebuch des Realschuldirektors Beyer; s. Hans-Veit Beyer: Elsaß Ende 1918 - Anfang 1919 und die Frage nach der deutschen Kultur. Erinnerungen des Valentin Beyer, kommentiert von seinem Enkel, Wien 1995, S. 38; dort auch eine Version in elsässischem Dialekt. Mit "Schwob" wird im Elsass allgemein der Deutsche bezeichnet.
(19) Professeur Knatschké (wie Anm. 7), S. 117; dort auch zum Folgenden. Über seine künstlerische Produktion in der Zwischenkriegszeit s. Tyl (wie Anm. 1), S. 12f.
(20) Vgl. die vier verschiedenen Personalausweise, die nach 1918 im Elsass eingeführt wurden und die kenntlich machten, ob es sich bei dem Inhaber eines bestimmten Ausweises um einen "echten" Elsässer (Carte A), um einen Nachkommen aus einer altdeutsch-elsässischen Ehe (Carte B), um einen nichtdeutschen Ausländer (Carte C) oder um einen Altdeutschen (Carte D) handelte; vgl. Bernard Vogler: Déchirements et réconciliations, in: L'Alsace - une histoire, hrsg. v. Bernard Vogler, Strasbourg 7. Aufl. 1998, S. 171.
(21) Hansi meint wohl das 1922 gegründete "Wissenschaftliche Institut der Elsaß-Lothringer im Reich", das auch die von 1922 bis 1943 und noch einmal 1952 erscheinende Zeitschrift "Elsaß-Lothringisches Jahrbuch" herausgab. Die in dieser Zeitschrift erschienenen Artikel finden sich einzeln verzeichnet unter www.phil.uni-erlangen.de/~p1ges/zfhm/elsassjb.html [1] . Als Nachfolgepublikation des Jahrbuches erschienen zwischen 1965 und 1984 fünf Bände der "Studien der Erwin-von-Steinbach-Stiftung".
(22) S. Perreau: Avec Hansi (wie Anm. 1), S. 42ff.
(23) Das Werk erschien bei Berger-Levrault in Nancy, Paris und Strasbourg in drei Faszikeln in den Jahren 1937, 1938 und 1949.
(24) Zu Hansis Flucht aus dem Elsass mit Beginn des Zweiten Weltkriegs, seinen Aufenthalten in Burgund, Agen und schließlich in der Schweiz, s. Perreau: Avec Hansi (wie Anm. 1), S. 53ff.
(25) Zit. nach Perreau: Avec Hansi (wie Anm. 1), S. 196; ein Faksimile des Titel findet sich ebd., S. 53, ein weiterer Textauszug ebd., S. 207.
(26) Über Hansis Nachkriegsaktivitäten berichtet Perreau: Avec Hansi (wie Anm. 1), S. 59ff.
(27) Schroda (wie Anm. 10), S. 271f.; vgl. auch Tyl (wie Anm. 1), S. 13f.