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'Perspektiven französischer Europapolitik'
 
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Perspektiven französischer Europapolitik

Die zentrale Frage, wie nach der historischen Zäsur von 1989 [1]  nunmehr das deutsche Problem zu behandeln sei, hat denn auch die französische Maastricht [2] -Diskussion in einem Maße bestimmt, dass der europapolitische Gehalt dieses Vertragswerks immer mehr in den Hintergrund rückte. Kennzeichnend dafür war, dass Befürworter wie Gegner des Vertrags während des Referendums 1992 als entscheidendes Abstimmungskriterium die Frage in den Vordergrund stellten, ob der Vertrag zur Kontrolle Deutschlands tauge oder nicht. Mit einer äußerst knappen Mehrheit entschieden sich die Wähler in Frankreich für den Maastricht-Vertrag und damit wohl auch für die Strategie, dass mit einer Vertiefung der Integration  [3] der Machtzuwachs Deutschlands zu kompensieren sei. Frankreichs politische Führung setzte sich mit seinem Drängen auf die Währungsunion [4]  durch. Bundeskanzler Kohl [5]  mußte sich von seinem Versprechen distanzieren, gleichrangig mit der Währungsintegration die politische Union [6]  voran zu bringen.

Aus aktueller Perspektive, so lässt sich zusammenfassend festhalten, hat Frankreich in vielen Bereichen proeuropäische und mit der Politik seiner Partner konvergierende Positionen bezogen. Dies trifft zu für die makroökonomische Stabilisierungspolitik, die Inflationsbekämpfung, die Währungspolitik, die Wiederannäherung [7]  an die NATO [8]  und den Widerstand gegen (britische) Intentionen, im Zuge der Osterweiterung [9]  aus der Europäischen Union eine kontinentale Freihandelszone zu machen. Zumindest deklaratorisch will Frankreich Osteuropa die gleiche Beachtung schenken wie dem unmittelbar benachbarten Mittelmeer. Doch sind andererseits der französischen Europapolitik in sensiblen Bereichen auch klare Grenzen gesetzt: Frankreich lehnt weiterhin die Idee ab, seinen Sitz als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der Europäischen Union  [10] zur Verfügung zu stellen. Trotz der Wiederannäherung an die atlantische Gemeinschaft ist das Streben nach Unabhängigkeit von den USA unverändert vorhanden - die in Frankreich geführte Debatte um ein "europäisches Sozialmodell" [11]  ist eine wichtige Facette dieser Position.

Abbildung 10:

NATO-Fahne
Das Symbol der NATO ist die Windrose.
Fahnen-Herold
Wuppertal, 1980er Jahre

 

Internet-Quelle [12]

In der Außen- und Sicherheitspolitik gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Partnern noch immer schwierig, wenn es um die Frage einer angemessenen Reaktion auf Konflikte geht - wie der Krieg im ehemaligen Jugoslawien bestätigt hat. Die Interventionsmentalität ist in Frankreich stärker verankert als in den Nachbarländern. Ungeachtet der Politik der liberalen Öffnung macht sich Frankreich in internationalen Handlungsrunden weiterhin für den Schutz seiner Agrarwirtschaft und der europäischen Kultur stark. Insgesamt bestätigt sich noch heute, was einleitend als Konstante französischer Europapolitik herausgearbeitet worden ist: Die französischen Vorbehalte gegen eine wie auch immer geartete politische Finalität des europäischen Integrationsprozesses [13]  sind unverändert stark. Der Staatenbund [14] , die Konföderation, nicht aber der europäische Bundesstaat dürfte das Maximum des französischen Integrationswillen sein.

Im Europäischen Konvent [15] , der bis 2004 einen Entwurf für einen europäischen Verfassungsvertrag erarbeiten soll, verfolgen die Vertreter Frankreichs einen intergouvernementalistischen (zwischenstaatlichen) und auf die Stärkung der nationalen Exekutiven ausgerichteten Kurs. Zusammen mit Großbritannien soll ein "europäischer Präsident" aus den Reihen des Europäischen Rates [16]  (also der Staats- und Regierungschefs) gewählt werden. In der Bundesrepublik will man demgegenüber lieber die europäische Exekutive, die Kommission [17]  und ihren Präsidenten stärken. Auch in anderen Bereichen stottert die deutsch-französische "Lokomotive". Die EU-Osterweiterung befürworten zwar beide Länder. Doch ist in Frankreich die Bereitschaft wenig ausgeprägt, dafür auch das bestehende System der Agrarpolitik kritisch zu prüfen und zu reformieren. Deutschland wiederum drängt dagegen gerade auf die Reform dieser Politik, weil sie in erheblichem Maße für die deutsche Nettozahlerposition in der EU verantwortlich zeichnet. Der Wahlkampf des Spätsommers 2002 war in Deutschland - soweit es überhaupt um Außenpolitik ging - von den Vorhaltungen der Opposition bestimmt, die Regierung in Berlin kümmere sich zu wenig um die Abstimmung mit dem Partner in Paris. Zum vierzigsten Jahrestag des deutsch-französischen Vertrags [18]  im Jahre 2003 wollten aber sowohl Paris als auch Berlin verdeutlichen, daß die Partnerschaft ihre besondere Bedeutung noch lange nicht verloren hat.