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'Deutscher Imperialismus und Europa'
 
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Deutscher Imperialismus und Europa

Als das Wilhelminische Reich sich in die Weltpolitik einschaltete, bekamen die Überlegungen über die Europaidee manchmal einen Anflug von politischem und wirtschaftlichem Nationalismus und Imperialismus, während gleichzeitig und im Gegensatz dazu die "fin de siècle"-Psychose um sich griff. Einige der besten Denker, durch die patriotische Bewegung von 1914 mitgerissen, bemühten sich darum, den Konflikt als eine läuternde, Europa von seinen Übeln heilende Schicksalsprüfung darzustellen. R. Musil [1] (1880-1942), M. Scheler [2] (1874-1928), Th. Mann [3] setzten der modernen westlichen "Zivilisation" die "echte" Kultur entgegen und schrieben dem Deutschtum eine rettende Mission zu.

Robert Musil, Max Scheler und Thomas Mann gehörten zu denen, die, durch die patriotische Bewegung von 1914 mitgerissen, sich darum bemühten, den Konflikt als eine läuternde, Europa von seinen Übeln heilende Schicksalsprüfung darzustellen.

Quelle Musil: mapage.noos.fr/fredericmars/musil-2.html, inaktiv, 08.04.2004, Quelle Scheler [4] , Quelle Mann [5]

Da Deutschland und Österreich versuchten, sich zwischen dem Abendland und Russland zu behaupten, tauchte der Begriff von "Mitteleuropa" vor und während des Ersten Weltkriegs, namentlich bei W. Rathenau [6] (1867-1922) und vor allem bei F. Naumann [7] (1860-1919) wieder auf. Im Jahre 1915 erschien das Buch "Mitteleuropa" vom Linksliberalen und Direktor der Zeitschrift "Die Hilfe", Friedrich Naumann. In Mitteleuropa und bei den Westalliierten erregte das Werk viel Aufsehen. Der Verfasser plante einen politischen und wirtschaftlichen Staatenbund, in welchem die Deutschen ohne Vormachtstellung die führende Rolle spielen sollten.

Dieser Begriff von "Mitteleuropa [8] " löste lebhafte Zwistigkeiten bei den Sozialdemokraten aus, die schon in der Vorkriegszeit über den Gedanken der "Vereinigten Staaten von Europa" auseinandergehende Meinungen hatten. 1911 empörte sich R. Luxemburg [9] (1870-1919) gegen diesen "anachronistischen" bürgerlichen Paneuropeanismus, der von K. Kantsky (1854-1938) und anderen gepriesen wurde. Ihrerseits versuchten die Pazifisten vor und während des Konflikts ihren Standpunkt über den wohlbekannten Traum der Acht-und-Vierziger zu präzisieren. Die Hauptvertreter der pazifistischen Ideologie, B. von Suttner [10] (1843-1914) und A. H. Fried [11] (1864-1921), wollten dabei sachlicher denken als die ehemaligen Träumer. Sie setzten sich für einen "wissenschaftlichen Pazifismus" ein und gingen mit der Utopie der "Vereinigten Staaten von Europa" nach amerikanischem Vorbild ins Gericht. Trotzdem stellten sie fest, dass die Völker aufgrund der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung, dank eines gemeinsamen Bewusstwerdens und des Rechtssinns aneinanderrückten. Mitten im Krieg entwarf Fried dann einen zur Überwindung der Zwietracht unentbehrlichen "Zweckverband Europa".

Zunächst als Mittel zur geistigen und moralischen Erneuerung von einigen Autoren begrüßt, führte der Krieg später zu tiefer gehenden Betrachtungen über die Identität, den spezifischen Genius und die besonderen Merkmale Europas.

Unter allen Schriftstellern, die sich mitten im Sturm von 1915 bis 1917 über das Thema äußerten, sollen hier nur noch einige bedeutende Namen genannt werden.

Der Philosoph Max Scheler (1874-1928) veröffentlichte 1915 einen langen, bemerkenswerten Aufsatz mit dem Titel "Die geistige Einheit Europas und ihre politische Forderung", in dem er die Niederlage der moralischen, religiösen und kulturellen Kräfte Europas beklagte. Über die Nationen hob er den Typus des "Guten Europäers" und versuchte das, was er "Europeanismus" oder "Europäität" nannte, zu ergründen. Sein Europa war weder ein geographischer, noch ein ethnischer, sondern ein geistiger Zusammenschluss. Die Originalität Schelers bestand vor allem darin, dass er den europäischen Geist als eine Art von unzerlegbarem "Fluidum" betrachtete. Zwei Jahre später setzte der Philosoph seine Überlegungen in einem Artikel "Vom kulturellen Wiederaufbau Europas" fort, wo er den politischen, rechtlichen und moralischen Rahmen umriss, der zur Wiederherstellung der "Kulturgemeinschaft", dank einer neuen Erziehung und der Vermittlung der Werte des griechisch-lateinischen Humanismus, des augustinischen Christentums und der Renaissance, unentbehrlich sei. Hinzu kamen moderne Humanitätsstudien mit lebenden Sprachen und mit einer Orientierung nach Osten eher als nach dem aktivistischen, sich der Produktivität ergebenen Westen.

1916 war auch H. Mann [12] (1871-1950) von einer geistigen, moralischen und kulturellen Einheit Europas in "Der Europäer" überzeugt. Er zeichnete darin die griechischen und römischen Quellen des europäischen Geistes nach: Vernunft, Recht, Gerechtigkeit, Freiheit, praktischen Sinn, persönliche Würde. Ein durch die Aufklärung beeinflusstes Europa der Vernunft, das nach dem Chaos auf das Kommen einer höheren Harmonie hoffte, stand im Zentrum seiner Überlegungen.

Während H. Mann von einer geistigen, moralischen und kulturellen Einheit Europas überzeugt ist, klagt Hugo von Hofmannsthal die Übeltäter der modernen Zivilisation an. Seiner Ansicht nach hatte Europa "Sein" und "Gesetz" verloren.

Quelle Wagner [13] , Quelle T. Mann [14] , Quelle H. Mann [15]

1917 klagte der österreichische Dichter H. von Hofmannsthal [16] in "Die Idee Europa" die Übeltäter der modernen Zivilisation an: den Verfall des Geistes und die allgemeine Mittelmäßigkeit. Seiner Ansicht nach hatte Europa "Sein" und "Gesetz" verloren, was das Chaos zur Folge hatte. Europa war weder eine geographische, noch eine ethnische Einheit, denn sein innerstes Wesen war geistiger und übersinnlicher Natur. Hofmannsthal erblickte einen einzigen Ausweg, nämlich ein "neues europäisches Ich (...) eine neue europäische Idee", durch eine Rückkehr nach Asien, dem "Land des Gesetzes", sowie durch eine Elite, eine "stille Gemeinde".

Der mit Hofmannsthal befreundete Dichter und Philosoph R. Pannwitz [17] (1881-1969), ein Jünger Nietzsches und St. Georges, meinte auch, dass die einzige Lösung zur Krise des Abendlandes in den morgenländischen Weisheiten zu finden wäre bzw. in großen Genies, die dazu fähig wären, das Chaos zu beherrschen und eine "übernationale" Politik napoleonischen Stils zu schaffen. Hierin wird der Einfluss Nietzsches offenbar. Der Verfasser der "Krisis der europäischen Kultur" (1917) und von "Deutschland und Europa" (1918) gab später manche Anschauungen wieder auf, andere hob er allerdings hervor, um den Deutschen einen ganz besonderen Auftrag zuzuschreiben, nämlich die Erschaffung des europäischen Menschen der Zukunft.