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'Von der Anerkennung zur Wiedervereinigung'
 
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Von der Anerkennung zur Wiedervereinigung

Kurz nach der Anerkennung sind die Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und der DDR noch sehr bescheiden; sie machen nur 0,2% des französischen Außenhandels aus und beruhen vor allem auf der sehr großen Nachfrage seitens der DDR bei französischen Firmen. Während die Ostdeutschen die französischen Exporteure ob ihres mangelnden Eroberungsgeistes auf dem Markt der DDR kritisieren, beklagt man sich auf französischer Seite über den geringen Eifer der ostdeutschen Verantwortlichen, dem 1973 für die Dauer von zehn Jahren unterzeichneten Regierungsabkommen über wirtschaftliche, industrielle und technische Zusammenarbeit konkrete Schritte folgen zu lassen. Auf beiden Seiten werden die gleichen Vorwürfe erhoben wie zwanzig Jahre zuvor, jedoch zeigen die französischen Verantwortlichen mehr Unternehmergeist als früher; die Außenhandelsminister fahren oft nach Berlin (36). Durch die Berlin-Reise von Laurent Fabius im Jahre 1985 wird der Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten ein neuer Anstoß gegeben. Die Zeitschrift Les Échos spricht am 17. September 1979 nach der Unterzeichnung eines Industrie-Kooperations-Abkommens (für den Zeitraum 1980-1985 im Umfang von 12 Milliarden Francs) von "Flitterwochen". Die Firma Citroen profitiert davon am meisten, denn sie wird beauftragt, sieben Betriebe von größerer Bedeutung in der DDR zu modernisieren und die Autoindustrie in Ostdeutschland neu zu strukturieren. Les Échos bedauert das Fehlen der kleinen und mittleren französischen Unternehmen auf dem ostdeutschen Markt. 

Plakat des COMECON (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe): Der COMECON wurde 1949, zwei Jahre nach Start des Marshallplans, durch die UdSSR gegründet. In ihm sind die UdSSR, die DDR, die Mongolei, Polen, Rumänien, Ungarn, die Tschechoslowakei, Bulgarien und Albanien (bis 1961) zusammengeschlossen. Um ihr Handelsbilanzdefizit auszugleichen, fasst die DDR den Entschluss, in den 1970er Jahren ihre Handelsbeziehungen mit dem Westen und insbesondere mit Frankreich auszubauen, ohne sich jedoch aus dem COMECON zu lösen.

Quelle: en.wikipedia.org/wiki/Comecon

Für sie ist der Weg mit Hindernissen versehen, vor allem im Hinblick auf die Schwerfälligkeit örtlicher Verwaltungen. Frankreich profitiert von den Spannungen zwischen Bonn und Berlin oder sogar von denen zwischen Berlin und Moskau. Es wünscht seine defizitäre Handelsbilanz auszugleichen, während die DDR anstrebt, ihre Handelsbeziehungen zu vervielfältigen, ohne sich vom COMECON abzulösen. Die DDR, die ein stabiles Wachstum (37) erlebt und einen großen Bedarf in der Mikroelektronik und in der Robotertechnologie hat, ist in dieser Zeit ein geschätzter Kunde der Franzosen. Westliche Händler sehen sie als zuverlässigen Industrie- und Handelspartner. Der Generaldirektor von Citroen unterstreicht in diesem Zusammenhang "die gute Qualität der gelieferten Produkte" und "die Einhaltung der Lieferfristen." (38)
Aber der Handel zwischen den beiden Ländern beruht mehr auf punktuellen Auswirkungen großer Verträge als auf laufenden stabilen Austauschbeziehungen. Frankreich leidet außerdem unter der Konkurrenz der BRD, die einschätzt, "daß ihre Beziehungen mit der DDR Teil des innerdeutschen Handels sind." (39) Die BRD steht eigentlich für Frankreich außerhalb jeder Konkurrenz (40). Le Monde illustriert einmal mehr die Zurückhaltung und die fehlende Dynamik französischer Unternehmen, die so sehr durch die ostdeutsche Führung kritisiert werden. Sie titelt nach der Öffnung der Berliner Mauer: "Die französischen Unternehmen sind zögerlich." (41)
Die kulturelle Zusammenarbeit gestaltet sich ebenso schwierig, doch die Verantwortung hierfür liegt eher bei der DDR. Frankreich will in Berlin ein Kulturinstitut nach dem Vorbild der seit langem in Warschau und in Budapest existierenden Institute eröffnen, stößt jedoch auf die Ablehnung der ostdeutschen Behörden, die befürchten, dass über diesen Weg subversive Ideen Verbreitung finden könnten.

Die Reise von Jean François-Poncet erleichtert zumindest den Informationsaustausch sowie den Austausch von Künstlern und Wissenschaftlern. Erich Honecker gibt schließlich sein Einverständnis zur Eröffnung eines französischen Kulturzentrums in Ostberlin und eines ostdeutschen Kulturzentrums in Paris. Ein Protokoll sieht die Intensivierung des Lehrer- und Forscheraustausches zwischen beiden Ländern vor und wird am 28. Februar 1980 im Rahmen einer gemischten französisch-ostdeutschen Kommission für wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit unterzeichnet. Zwei weitere Abkommen werden 1984 geschlossen. Sie betreffen zum einen die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Sports, zum anderen die Beziehungen zwischen dem CNRS und der Akademie der Wissenschaften der DDR.

Die Abkommen zeitigen schnelle Wirkung. So finden Lehreraustausch, Weiterbildungsveranstaltungen für Deutsch- bzw. Französischlehrer in Erfurt, Weimar, Grenoble, Dijon und Paris statt. Das Herder-Gymnasium in Ostberlin unterhält ausgedehnte Kontakte zum Lycée A. Schweitzer in Mulhouse. Auf dem Gebiet der Hochschulausbildung kommt es zum Austausch von Lektoren zwischen Paris und Berlin, Lyon und Leipzig sowie zur Kooperation in Form von Kolloquia wie z.B. dem Diderot-Kolloquium 1984 in Halle. Zahlreiche Universitätsabkommen werden unterzeichnet, der Studentenaustausch in Richtung Frankreich hält sich aber in engen Grenzen. 

Einladungskarte zur Ausstellung Der Französische Comic im Französischen Kulturzentrum in Ost-Berlin vom 24. Juni bis 16. August 1988. Die Kulturzentren sind Symbol für den Willen zur Zusammenarbeit, der in Intellektuellen- und Künstlerkreisen zum Ausdruck kommt.

Quelle: www.loustal.net/biblio/illustration/invitation/cart_invit_88.htm

Die Kulturzentren symbolisieren ungeachtet dessen den Kooperationswillen. Oskar Fischer, der Außenminister der DDR, wird von Präsident Francois Mitterrand empfangen, als er das ostdeutsche Kulturzentrum im Dezember 1983 einweiht, und Claude Cheysson [1] reist selbst nach Berlin, um im Januar 1984 das französische Kulturzentrum zu eröffnen. Diese beiden Zentren, die über hohe Budgets verfügen, erlauben es, das jeweils andere Land auf authentischere Weise kennenzulernen.

Der künstlerische Austausch verfolgt das gleiche Ziel: Im Januar 1984 empfängt Frankreich das Ostberliner Sinfonieorchester, im Oktober desselben Jahres fährt das Philharmonische Orchester Radio-France in die DDR; zwischen 1984 und 1985 werden Photographieausstellungen ausgetauscht. Aber es gibt weiterhin ernste Hindernisse zu überwinden: Die Mehrheit der DDR-Bürger kann nicht nach Frankreich reisen, und die französischen Medien zeichnen von diesem anderen Deutschland kein positives Bild; man kennt nur seine repressiven Seiten.

Während einer Tournee durch die Bundesrepublik Deutschland wird dem Liedermacher Wolf Biermann am 16. November 1976 seine Staatsangehörigkeit aberkannt. Viele Künstler, die bis zu diesem Zeitpunkt die SED nicht kritisiert hatten, protestieren nun gegen diesen Willkürakt des Staates. Auf dem Foto sieht man Wolf Biermann (links) mit Heinrich Böll (Mitte) und Günther Walraff bei einer Pressekonferenz am 17. November 1976.

Quelle: www.hdg.de/Final/fr/page157.htm

Die Bilder, die nach Frankreich gelangen, verdeutlichen, wie sehr die jungen Ostdeutschen Indoktrination und Repression ausgesetzt sind. Beispiele gibt es jede Menge : Ende der 1980er Jahre gibt die Olympiasiegerin im Eiskunstlauf, Katharina Witt, ein Interview vor westlichen Fernsehkameras und lobt das System und die Verfolgungen der Intellektuellen und Dissidenten überschwenglich (42). Die Schicksale des kritischen Liedermachers und Poeten Wolf Biermann [2] , des Wirtschaftswissenschaftlers Rudolf Bahro [3]  oder des Chemikers Robert Havemann [4]  werden von den französischen Medien aufgegriffen. Ein Ereignis jedoch schockiert die Franzosen besonders: die Stasi knüppelt junge Berliner zusammen, die im Juni 1987 einem Rockkonzert auf der anderen Seite der Mauer zuhören wollen und dabei Es lebe Gorbatschow, Weg mit der Mauer! rufen. Unter den Opfern sind westliche Journalisten, die dem Knüppeleinsatz entkommen. 

Signature du Traité de Moscou, le 12 septembre 1990 "portant règlement définitif concernant l'Allemagne". De gauche à droite: M. James Baker, Etats-Unis, Sir Douglas Hurd, Grande-Bretagne, M. Edouard Chevardnadze, URSS, M. Roland Dumas, République française, M. Lothar de Maizière, RDA, et M. Hans-Dietrich Genscher, RFA.

Quelle: www.france.diplomatie.fr/Fotos/diplo/paysest/Est44.html

Die Franzosen haben von der Deutschen Demokratischen Republik sehr schnell Kenntnis genommen. Zwischen 1949 und 1989 sind die Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR deutlich durch die engen Bindungen zwischen Paris und Bonn beeinflusst. Man verwendet ständig den Ausdruck "deutsch-französische Partner" und meint damit Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland. Aber Frankreich war nicht immer ein treuer Partner. Nicht ohne Hintergedanken qualifiziert Die Zeit am 15. Oktober 1971 die Bemühungen der DDR in Frankreich als "Flirt mit Marianne". Paris hat immer versucht, von Spannungen mit Bonn zu profitieren, um die Bundesrepublik auszustechen. So war Frankreich die erste westliche Macht, die einen Außenminister in die DDR sandte, die erste, die in Ostberlin ein Kulturzentrum eröffnete, die erste, die Erich Honecker empfing. Dennoch kam die Bundesrepublik Frankreich im Dezember 1989 zuvor, als Kanzler Kohl [5] vor Francois Mitterand [6] nach Berlin reiste. Hat Frankreich aus diesen Initiativen einen gewissen Nutzen gezogen? Kannte Frankreich besser als die anderen westlichen Länder diesen Staat, seinen zweitwichtigsten Kunden aus dem sozialistischen Lager? Die Antwort ist zu nuancieren, sowohl für den wirtschaftlichen als auch für den kulturellen Bereich. Zu erinnern ist dabei auch, dass die geringe Kenntnis des anderen Deutschland bei den Franzosen zur Herausbildung von Stereotypen geführt hat, die bis zum Fall der Mauer weit verbreitet waren. Die DDR war nicht das Japan des Ostens. Die Wirklichkeit, welche die Franzosen entdeckten, als sie nach der Grenzöffnung frei im Osten reisen konnten, war eine ganz andere.

Dix ans après – les relations se sont normalisées. La photo montre le déplacement à Dresde de M. Jacques Chirac, président de la République, à l'occasion de la commémoration du 10e anniversaire de l'Unité allemande le 3 octobre 2000.

Quelle: www.france.diplomatie.fr/photos/diplo/paysest/anniXX.html

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Anmerkungen

(36) Norbert Ségard reist hierher im Juli 1975, Michel Jobert im März 1982 zur Leipziger Messe, Edith Cresson im September 1984, Michel Noir 1986. 
 
(37) Ostdeutschen Statistiken zufolge im Durchschnitt vier Prozent. 
 
(38) Le Monde, 22.09.1987.
 
(39) Artikel von Yves Cornu, Le Quotidien de Paris, 07.11.1988. 
 
(40) Der Außenhandel der DDR vollzieht sich im Jahre 1988 nach Maßgabe zu einem Drittel mit der UdSSR, zu einem Drittel mit den anderen Ländern des Ostens, zu einem Drittel mit dem Westen. Von diesem letzten Drittel bestreitet die BRD den Löwenanteil mit 60%, als zweiter westlicher Partner ist Frankreich nur mit mageren 6% vertreten.
 
(41) Le Monde, 18 novembre 1989..
 
(42) Le 3e amendement du code pénal, qui punit de prison tout habitant de RDA coupable d’informer les étrangers ou de critiquer l’État et ses alliés.