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'Staatsschulden und Steuerprivilegien '
 
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Staatsschulden und Steuerprivilegien

Die drückendste Hypothek, die Ludwig XVI. bei seinem Regierungsantritt vorfand, war die ungeheure Staatsschuld, die auf Frankreich lastete. In ersten Ansätzen schon in den späteren Jahren Ludwigs XIV. entstanden und verursacht durch die kriegerische Außenpolitik dieses Herrschers, hatte sie sich während der Regierung Ludwigs XV. und als Folge seiner verlustreichen Kriege sowie einer luxuriösen Hofhaltung und großzügigen Bautätigkeit stetig vermehrt. Auch unter Ludwig XVI. wuchs sie noch weiter an, weil die an sich ehrenvolle und sein machtpolitisches Prestige wieder steigernde Beteiligung Frankreichs am Nordamerikanischen Unabhängigkeitskriege auf Seiten der Vereinigten Staaten (1778-1783) die finanzielle Lage des Königreiches noch weiter verschlechtert hatte, und zwar in solchem Ausmaß, dass das jährliche Defizit etwa die Hälfte der gesamten Jahreseinnahmen betrug.

Die Reformbewegung beschränkte sich nun keineswegs auf Maßnahmen zur Beseitigung des Fehlbetrages, sondern zielte auf eine grundsätzliche Erneuerung des Staatswesens ab. Denn die ersten beiden Stände, die am Vorabend der Revolution 130 000 Köpfe und 25 000 Familien mit 140 000 Köpfen zählten gegenüber den 24 Millionen Menschen des Dritten Standes, der faktisch also neun Zehntel der Nation ausmachte, hatten 10 und 30 Prozent des gesamten Grundbesitzes in Frankreich inne, während auf Bürger- und Bauerntum die übrigen 60 Prozent entfielen.

Karte der Salzsteuer im Ancien Régime. Die Salzsteuer (gabelle) gehörte zu den verhasstesten Steuern im vorrevolutionären Frankreich

Quelle: perso.wanadoo.fr/pierre.collenot/Issards_fr/epoques/ancienreg/impots.htm

Dieser Dritte Stand stellte allerdings kein einheitliches Gebilde dar, weder in ökonomischer noch sozialer Beziehung. Im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, den Frankreich trotz seiner fiskalischen Schwierigkeiten im Laufe des 18. Jahrhunderts in solchem Ausmaß genommen hatte, dass sich zum Beispiel sein Außenhandel von 1715 bis 1789 vervierfachte, hatte sich innerhalb des Dritten Standes eine vermögensstarke bürgerliche Schicht ausgebildet, die sich aus Kaufleuten, Industrie- und Bankunternehmern und Steuerpächtern zusammensetzte und dem Adel vielfach überlegen war, was sich häufig in einer Steigerung des Selbstbewusstseins äußerte, die zwar durch die ökonomische Situation wohlbegründet war, aber infolge der Rechtsordnungen des Ancien Regime keine Bestätigung fand. Denn die nach wie vor bestehenden Privilegien des Adels und der Geistlichkeit, sich vor allem darstellend in Ämtermonopol und Steuerfreiheit (zum Beispiel Befreiung von der wichtigsten direkten Steuer [1] , der Taille, einer Einkommens- und Grundsteuer), hielten dem Dritten Stand immer wieder vor Augen, wie sehr er rechtlich und sozial benachteiligt war.

Die Steuerlasten im Ancien Régime waren ungleich verteilt. Während der Erste und der Zweite Stand weitestreichende Privilegien beanspruchten, wurde der Dritte Stand von der Last der Abgaben buchstäblich erdrückt, wie diese zeitgenössische Karikatur verdeutlicht.


Quelle: www.herodote.net/histoire05050.htm

Andererseits verschlechterte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die wirtschaftliche Situation des Kleinbürgertums stetig, weil die Löhne stagnierten, während die Preise allmählich anstiegen, eine Entwicklung, die die Mängel eines völlig veralteten und vielfach - wie zum Beispiel im Falle der verhassten Salzsteuer [2] - auch missbräuchlich verwalteten Steuersystems mehr und mehr bloßlegte und die schließlich durch die schwere Krise der Landwirtschaft und Industrie in den achtziger Jahren des Jahrhunderts noch katastrophal gesteigert wurde. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, zu dem es sich schon herausgestellt hatte, dass die große Reformbewegung der siebziger und achtziger Jahre im wesentlichen gescheitert war.

Diese Reformbewegung war gleich nach der Thronbesteigung Ludwigs XVI. im Jahre 1774 von Turgot, dem ersten und gleichzeitig bedeutendsten, von physiokratischen Ideen [3] inspirierten Reformminister, eingeleitet worden, als die Regierung nicht nur Einsparungsmaßnahmen zur Verringerung des gewaltigen fiskalischen Defizits traf, sondern darüber hinaus sich anschickte, einen aufgeklärten und ausgesprochen reformfreudigen Absolutismus zu entfalten, der den Staat durch allmähliche Anhebung der Rechts- und Sozialsituation des Dritten unter gleichzeitiger schrittweiser Einschränkung der Privilegien des Ersten und Zweiten Standes mit den modernen Verhältnissen in Einklang bringen sollte.

Anne Robert Turgot (1727 - 1781). Als Finanzminister Ludwigs XVI. versuchte er, die desolate Finanzsituation Frankreichs durch die Einschränkung der Privilegien des Ersten und Zweiten Standes zu sanieren. Er zog sich damit deren erbitterte Gegnerschaft zu, was im Mai 1776 zu seiner Entlassung führte.

Quelle: www.ac-strasbourg.fr/pedago/lettres/Victor%20Hugo/Notes/Turgot.htm

Zu diesem Zweck erließ Turgot Verordnungen, die auf eine allgemeine Reform der Administration abzielten und sich darstellten in einer Abschaffung der Binnenzölle sowie Aufhebung der Wegefronden und der Zünfte. Darüber hinaus schlug der mutige Minister die Einrichtung von Provinzialverwaltungen als Gegengewicht zu den Parlamenten vor, wobei der Dritte Stand so viel Stimmen wie die beiden anderen zusammen erhalten hätte. Diese Versuche einer Entmachtung der Privilegierten zugunsten des aufsteigenden Dritten Standes und im wahren Interesse der Krone riefen die Opposition und schließlich reaktionäre "Vorrevolution" der Privilegierten hervor, die sich gegen die Reformpolitik der Regierung richtete, 1776 die Entlassung [4] Turgots erzwang und die Reformbewegung seitdem verhängnisvoll verwässerte. Denn Necker, der Nachfolger Turgots, wagte sich - obwohl selbst reformfreudig - nicht mehr an so weitgehende Maßnahmen heran wie sein Vorgänger, sondern beschränkte sich auf den Versuch, durch eine Politik des Sparens und der Anleihen die nach wie vor zerrütteten Finanzen zu heilen.

Da aber auch diese bescheidene Reformpolitik von den Privilegierten, die an Ludwigs Gemahlin, der lebenslustigen Marie Antoinette - einer Tochter Maria Theresias -, einen gewissen Rückhalt hatten, kritisiert wurde, musste Necker 1781 gehen. Der von 1783 bis 1787 amtierende Calonne wirtschaftete daraufhin fiskalisch ziemlich hemmungslos, in der Annahme, dass ein solches Vorgehen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kreditwürdigkeit des Staatshaushaltes wieder steigern und diesen neu beleben würde. Diese Politik erwies sich aber schon bald als solches Fiasko, dass Calonne im Jahre 1787 eine aus Privilegierten bestehende Notabelnversammlung einberief, um sich seine Maßnahmen, nachdem er die wahre Lage vor den erschreckten Standesvertretern offen aufgedeckt hatte, von diesem Gremium bestätigen zu lassen.

L'Assemblée des Notables. L'assemblée de membres représentatifs des trois ordres du royaume de France, auxquels les rois demandaient avis dans certains cas, portait le nom d'"Assemblée des notables". Cette caricature montre celle de 1787, où le singe demandait à la basse-cour à quelle sauce elle voulait être mangée..

Quelle: revolution.1789.free.fr/page-1.htm

Jedoch erreichte er damit nur das Gegenteil. Denn um wirksame Reformen zu verhindern, wie sie jetzt auch Calonne vorschlug, opponierten die Notabein damals gegen den Minister und erzwangen seine Entlassung, während gleichzeitig einer der Ihren, Brienne, die Staatskrise zur Zeit der Notabelnversammlung von 1787/88 im Interesse der Privilegierten zu beheben versuchte. Doch scheiterten diese Bemühungen schließlich auch, so dass Ludwig XVI. sich 1788 dazu entschloss, wieder den im Volke sehr beliebten Necker [5] mit dem Ministeramt zu betrauen. Dieser aber bewirkte jetzt beim König, dass die Etats-Généraux einberufen würden, um in Zusammenarbeit mit ihnen einen Ausweg aus der Staatskrise zu finden, indem die Reichsstände einer einmaligen großen Steuererhebung zur Deckung des Finanzdefizits zustimmen sollten. Diese Entscheidung der Regierung hat bekanntlich die Große Revolution ausgelöst.