- Vom Frankenreich bis zum Zeitalter des Absolutismus
- Vorbemerkung
- Erstarrte Strukturen des monarchischen Absolutismus
- Staatsschulden und Steuerprivilegien
- Der Ausbruch der Revolution
- Die Revolutionskriege
- Die Phase des Terreurs
- Das Ende des Direktoriums
- Das erste Kaiserreich
- Höhepunkt und Ende des Premier Empire
- Reise in die französische Revolution - Deutsche Freiheitspilger auf "Wallfahrt" nach Paris
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Die Verfassung von 1791
Zunächst allerdings erschien die Entwicklung eher positiv, weil das Jahr 1790 ziemlich ruhig verlief. Damals hat die Nationalversammlung eine - von Mirabeau inspirierte - Verfassung ausgearbeitet, die tatsächlich die Probleme der Revolution in Form eines Ausgleichs der gerechten Interessen von Nation und Königtum geklärt zu haben schien und während des ganzen 19. Jahrhunderts als Modellfall dienen sollte. Sie wurde im Jahre 1791 verkündet, worauf die Assembleé Constituante ihr Werk als beendet betrachtete und sich auflöste.
Die konstitutionelle Struktur Frankreichs nach der Verfassung von 1791
Quelle: revolution.1789.free.fr/page-4.htm
Durch diese Verfassung von 1791 wurde Frankreich zu einer konstitutionellen Monarchie, das heißt zu einer Monarchie, in der der bisherige königliche Absolutismus durch eine Volksvertretung im Sinne jener Gewaltenteilung beschränkt war, die seit Montesquieus [1] De l'Esprit des Lois [2] diskutiert und jetzt auf dem Kontinent zum ersten Male auch praktiziert wurde. Die Legislative lag bei der Volksvertretung, dem nur aus einer Kammer bestehenden Parlament, die Exekutive beim Königtum, die dritte Gewalt, die richterliche, war von beiden Faktoren unabhängig. Die Richter und Beamten wurden nicht mehr ernannt, sondern von den Aktivbürgern für bestimmte Zeit gewählt. Die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt gelangte nicht zuletzt auch in der Einrichtung der Geschworenengerichte zum Ausdruck. Seit dieser Zeit gelten also die Prinzipien des Laienrichtertums, wie auch unsere heutige Rechtspflege sie kennt.
In der Verwaltung fiel die bisherige, unmittelbare königliche Weisungsbefugnis - verkörpert durch die einst von Richelieu [3] eingeführten Intendanten - über die Provinzen und Gemeinden fort, um durch Institutionen der Selbstverwaltung, nämlich Gemeinde- und Stadtverordnetenversammlungen ersetzt zu werden, deren Vertreter vom Volk ernannt wurden. Die Bürger dieses neuen Staates gliederten sich auf in Aktiv- und Passivbürger, das heißt in Besitzende und Besitzlose. Denn nur der Aktivbürger, also der einen - je nach der Höhe seines Vermögens größeren oder kleineren - Steuerzensus Entrichtende konnte wählen und war wählbar. Das Wahlverfahren war indirekt und an Wahlmänner gebunden, der Zensus als Voraussetzung zu Wahlrecht und Wählbarkeit stufenartig festgelegt oder an Grundbesitz geknüpft.
Diese Prinzipien der Verfassung von 1791 atmen ausgeprägt den bürgerlichen Geist, der in der Aufklärungsbewegung zu politischem Selbstbewusstsein erwacht war, der sich jetzt zum ersten Male historisch manifestierte und der dann das ganze 19. Jahrhundert beherrschen sollte. An die Stelle des Standesprivilegs war der Besitz getreten. Die Wahlen fanden nicht mehr nach Ständen, sondern nach Bezirken statt, der Volksvertreter war nicht mehr der Repräsentant seines Standes, sondern der Nation. Parteien, die ihn zu linientreuer Disziplin hätten verpflichten können, gab es damals noch nicht, so dass er nur seinem Gewissen verantwortlich war.
Die Machtfülle, mit der die Nationalversammlung nach dieser Verfassung ausgestattet worden war, war so beträchtlich, dass das Parlament nicht nur legislative, sondern auch schon exekutive Befugnisse besaß. Denn die Nationalversammlung schlug die Gesetze vor und beschloss sie. Sie bestimmte die Steuern und ratifizierte Friedens-, Bündnis- und Handelsverträge. Die Minister - nach dem Fachprinzip arbeitend - waren ihr und damit dem Volke verantwortlich. Im Verhältnis dazu erschienen die Rechte des Königs ziemlich bescheiden, denn gegenüber den Beschlüssen der Nationalversammlung konnte er - ganz entgegen den Wünschen Mirabeaus - nur ein suspensives, das heißt aufschiebendes Veto einlegen. Jedoch wurden die Minister vom König berufen und entlassen. Als Verkörperer der Exekutive war er oberster Kriegsherr und Haupt der gesamten Staatsverwaltung. Ihm waren die in jedem Distrikt durch Bürgerwahlen eingesetzten Administratoren verantwortlich. Unter Auflösung der alten - sich mit den historischen Provinzen Frankreichs deckenden - Intendanturen als Verwaltungseinheiten war das Land administrativ neu aufgegliedert worden, und zwar in 83 Departements.
Die Untergliederung Frankreichs in Departements durch Beschluss der Nationalversammlung vom 26. Februar 1790.
(vgl. hierzu auch den Beitrag von A. Pletsch: Vom gallischen Pagus...)
Quelle: perso.wanadoo.fr/j.marchal/histoire/datgh79.html
Die Ersetzung des königlichen Lilienbanners durch die blau-weiß-rote Trikolore, deren Farben das alte Königtum und das neue revolutionäre Element der Nation symbolisierten, drückte diese Erneuerung Frankreichs auch nach außen hin sinnfällig aus. Denn mit der Verfassung von 1791, wesentlich das Urbild aller späteren, war Frankreich tatsächlich völlig umstrukturiert worden, und zwar von einer durch eine aristokratische Gesellschaftsordnung gekennzeichneten, absoluten Monarchie in einen modernen, vom Bürgertum getragenen Rechts- und Nationalstaat, der auf der Idee der Volkssouveränität beruhte.
Als der König am 14. September 1791 den Eid auf diese Verfassung leistete, war es schon aller Welt offenbar, dass zwischen ihm und dem neuen Staat der Revolution ein tiefer innerer Zwiespalt bestand und bei der Nation sehr wenig von jener Begeisterung für ein durch die Revolution verjüngtes, nationales Königtum übriggeblieben war, die am 14. Juli 1790, anlässlich des Festes auf dem Marsfeld, rauschhaft in Erscheinung getreten war. Denn die Verfassung hatte dem französischen Klerus eine Stellung zugewiesen, die nicht nur die heftige Opposition der katholischen Kirche hervorrief, sondern auch den in religiösen Dingen sehr skrupulösen Ludwig XVI. in Gewissenskonflikte brachte und alsbald die unverhüllte Distanzierung der königlichen Familie von der Revolution nach sich zog, wodurch wiederum diese selbst in ein radikaleres Stadium hineintrieb. Hatte doch die Verfassung den Kirchenbesitz in Nationalgüter umgewandelt und gleichzeitig zur Grundlage jener Assignatenwirtschaft gemacht, die seit 1791 in Frankreich eine Inflation herbeiführte, die erst Napoleon wieder aufzufangen vermochte.
Per Gesetz vom 19. Dezember 1789 wurden als Ersatzwährung die Assignaten eingeführt. Das Papiergeld, das zunächst mit den verstaatlichten Kirchengütern gedeckt wurde und einer ungeheuren Inflation unterlag, war ein beliebtes Spekulationsobjekt. Als die Assignaten 1797 wieder abgeschafft wurden, waren sie buchstäblich nichts mehr wert.
Quelle: revolution.1789.free.fr/page-4.htm
Überdies wurde die Geistlichkeit in den Beamtenstatus versetzt und sollte auf die Verfassung vereidigt werden. Als Papst Pius VI. im Frühjahr 1791 diese neue Kirchenverfassung missbilligte, hatte das eine Aufsplitterung des französischen Klerus in eine Mehrheit eidverweigernder und eine Minderheit vereidigter Priester zur Folge und damit den Ausbruch jenes radikalen Streites zwischen Staat und Kirche, der ebenfalls erst durch Napoleon beigelegt werden konnte. Diese Frage des Kirchenkampfes hat sich nun auch verhängnisvoll auf das Verhältnis zwischen Königtum und Revolution ausgewirkt, weil der bisher ja recht willenlose Monarch - als er sich vor die persönliche Gewissensentscheidung gestellt sah, ob sein Beichtvater ein eidverweigernder oder vereidigter Priester sein solle - sich jetzt entschieden gegen die Revolution stellte und mit seiner Familie zu fliehen wagte, ein Unternehmen, das am 20. Juni 1791 in Varennes scheiterte.
Die Festnahme Ludwigs XVI. in Varennes
Karikatur von James Gillray (1757-1815)
(Das Original befindet sich im Musée Carnavalet in Paris)
Quelle: www.histoire-image.com/site/oeuvre/analyse.php
Seitdem wurde Ludwig XVI. in den Tuilerien wie ein halber Gefangener der Revolution gehalten. Der Fluchtversuch hat dann auch das Misstrauen gegenüber dem guten Willen des Königs geweckt oder gesteigert und den extremen Parteigruppierungen der Revolution mächtigen Auftrieb gegeben. Diese Parteien waren schon im Jahre 1790 entstanden, gelangten aber gerade jetzt, unter der Assembleé Legislative, die die am 29. September 1791 auseinandergegangene Constituante im Oktober des gleichen Jahres abgelöst hatte und bis in den September 1792 hinein bestand, zu jenen Profilierungen, die den weiteren Weg der Revolution entscheidend prägen sollten.