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'Grenzwirkungen in einem "grenzüberschreitenden Raum"'
 
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Grenzwirkungen in einem "grenzüberschreitenden Raum"

Handelt es sich bei der Grenzregion Saar-Lor-Lux nun um eine räumliche Einheit, die den Namen "Region" auch verdient? Physisch-geographisch sicherlich nicht, ebenso wenig wie politisch, sprachlich oder kulturell. Auch haben die einzelnen Staaten ihre unterschiedlichen Stempel aufgeprägt. Wenn das Reich Lothars, des Enkels Karls des Großen (Abb.15), überhaupt ein gemeinsames Erbe hat, dann eher ein negatives: Die Reste dieses Territoriums in unserem Raum bekamen eine Art Pufferfunktion zwischen Deutschland und Frankreich - es sei erinnert an das militärische Glacis. Sie wurden zur Peripherie für die beteiligten Staaten, fernab von den Entscheidungs- und Wirtschaftszentren. Dort aber herrschten Vorurteile, Desinteresse, ja sogar Misstrauen gegenüber den abgelegenen Gebieten. Zu alledem verfügten diese nur über eine schwache Wirtschaftsstruktur. Es lohnte also nicht, sie mit guten Verkehrsverbindungen an die zentralen Aktionsräume anzuschließen, was die Wirtschaftsstruktur natürlich zusätzlich schwächte. Sie wurden vernachlässigt, hatten nicht einmal ein Hinterland, denn dort saß ja der Feind - ein Teufelskreis!

Abbildung 15:

Das Lotharingische Reich nach dem Vertrag von Verdun 843

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Internet-Quelle

Soll ein Grenzraum im Sinne eines "grenzübergreifenden Raumes" zu der postulierten Region zusammenwachsen, so müssen zuallererst die grenzübergreifenden Verflechtungen in den einzelnen Wirtschaftsbereichen funktionieren. Welche Probleme hier noch bestehen, kann nur an einigen Beispielen kurz geschildert werden.

Steinkohlenbergbau und Stahlindustrie, einst Kern und Klammern des danach benannten "Montandreicks" Saar-Lor-Lux, sind heute Altindustrien, mit dem entsprechenden Negativimage, das allein schon diesem Begriff anhaftet. Auch wenn sie in wenigen Rumpfunternehmen überleben - wirtschaftliche Impulse, geschweige denn anfeuernde und den Grenzraum verbindende Aktivitäten werden von diesen Industrien nicht mehr ausgehen. Während der Mythos Kohle verbleicht und Bergschäden zunehmend Opposition gegen den Abbau provozieren, erlahmt umgekehrt der Widerstand gegen die einseitige französische Bevorzugung der Atomkraft, genauer gesagt: gegen das benachbarte, mit 5200 MW Leistung zweitgrößte französische Kernkraftwerk Cattenom. Beherrschendes Thema ist inzwischen vielmehr der allgemeine Konkurrenzkampf um die Energiepreise, vor allem auf dem liberalisierten europäischen Strommarkt, denn jenseits der nahen Grenze wartet der Staatsmonopolist Electricité de France (EDF [1] ) darauf, seine billigen Kilowattstunden nach Deutschland zu schleusen. Zeigte sich vor wenigen Jahren noch die Staatsgrenze ganz besonders als messerscharfe Energiegrenze, so wird gerade in diesem Bereich der EU-Binnenmarkt zum Verblassen der Grenze beitragen. Allerdings muss man sich fragen: Trägt grenzüberschreitender Stromimport allein wegen eines Preisgefälles zur Zusammengehörigkeit einer grenzüberschreitenden Region bei?

Welchen Part spielen nun die moderneren Industriezweige? Zwar haben Großunternehmen oder Konzerne jenseits der Grenzen zahlreiche Zweigbetriebe (Abb.16) angesiedelt. Das allein ist jedoch noch kein Zeichen eigentlicher Kooperation innerhalb des Saar-Lor-Lux-Raumes, handelt es sich doch überwiegend um Filialen von Firmen, deren Hauptverwaltungen außerhalb liegen. Jüngstes Beispiel ist das Smart-Werk von Mercedes in Lothringen (Abb.17), das bezeichnenderweise in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze gebaut wurde. Die deutschen Firmen wählten im grenznahen Frankreich Standorte wegen schlechter bezahlter Arbeitskräfte, wegen billiger Grundstücke, niedriger Baukosten und in manchen Fällen auch geringerer Umweltschutzauflagen - kommandiert wird das Geschehen aber weitgehend von außen. Die Zahl der Zweigniederlassungen innerregionaler, also in Saar-Lor-Lux beheimateter Firmen jenseits der Grenze ist dagegen gering. Außerdem suchen z.B. saarländische Firmen im nahen Frankreich Standorte diesseits der Sprachgrenze und zugleich in kurzer Distanz zum Mutterwerk.

Abbildung 16:

Beschäftigung in Betrieben deutscher Unternehmen in Lothringen

 

 

 

 

 

 


Quelle : Dörrenbächer / Schulz 1999, S.130

Abbildung 17:

Das Smart-Werk in Hambach, bei Sarreguemines

 

 


Aufnahme: Brücher

Ebenfalls durch historische Spannungen und Kriege bedingt, ist der grenzüberschreitende Verkehr bis heute unzureichend geblieben. Besonders gilt dies für den öffentlichen Personennahverkehr wegen nicht abgestimmter Fahrpläne und Tarife, fehlender Information oder unterschiedlicher Sicherheitssysteme, von grenzübergreifenden Verbundtarifen ganz zu schweigen. Nur 1% (!) der Pendler aus Lothringen ins Saarland benutzt öffentliche Transportmittel. Immer noch bestehen Lücken im Autobahnnetz, z.B. zwischen Saarbrücken und Luxemburg (Abb.18). Auch das rund 150 Jahre alte Bahnnetz ist unzureichend ausgebaut und folgt in seinen Grundstrukturen heute noch sowohl der Technik als auch den Transportbedürfnissen des 19. Jh. Entsprechend lässt die Bedienungsqualität zu wünschen übrig - man denke nur an die Reise von Saarbrücken nach Luxemburg, bei der man immer in Trier oder Metz umsteigen muss.

Abbildung 18:

Verkehrsverbindungen im Kernraum S-L-L

 

 

 

 

 


Quelle: Carte Michelin 1:1 Mio.

Immer noch fahren die Eisenbahnen im Grenzraum auf Schienennetzen mit drei verschiedenen Stromfrequenzen! (Abb. 19) Aber auch die modernsten Pläne erscheinen problematisch: die Strecke des heißbegehrten Hochgeschwindigkeitszugs "TGV-Est [2] " von Paris nach Straßburg bzw. Mannheim soll zwischen Metz und Nancy hindurchführen, um nur ja nicht eine der beiden Städte zu bevorzugen, die seit Jahrhunderten in scharfer Rivalität stehen. So vorteilhaft der TGV für lange Strecken auch ist, für Kontakte innerhalb von Saar-Lor-Lux ist er untauglich, da er nur an sehr wenigen Punkten hält, den Raum also wie ein Flugzeug überspringt.

Abbildung 19:

Europas Züge fahren mit fünf verschiedenen Stromnetzen

 

 


Quelle: Die ZEIT, 20.11.1992

Positiv im grenzüberschreitenden Konzert zeigt sich demgegenüber im lokalen Bereich ein noch im Ausbau befindliches Projekt des Öffentlichen Personennahverkehrs. Seit 1998 verbindet die "Saarbahn [3] ", eine Straßenbahn, die zugleich das Bahnnetz benutzt - treffender im Französischen mit tram-train [4] bezeichnet - Saarbrücken mit der französischen Grenzstadt Sarreguemines. Doch sollte dieser Fortschritt nicht zu hoch bewertet werden: Das Projekt war relativ leicht durchzuführen, weil der Bahnhof von Sarreguemines an einer Nebenstrecke nach Strasbourg und nur 200 m von der Grenze entfernt liegt. Pläne, einen solchen tram-train auch von Saarbrücken nach Forbach, d.h. über 4,5 km auf der Hauptstrecke Mannheim - Paris fahren zu lassen, werden jedoch auf französischer Seite abgelehnt (vgl. Hunsicker 1998).

Problematisch sind auch die Strukturen im Luftverkehr: Zwar erfreuen sich die 5 Mio. Einwohner des Angebots von drei Regionalflughäfen: in Luxemburg, in Saarbrücken und in Lothringen zwischen Metz und Nancy. Anstatt Ergänzung herrscht jedoch mehr oder weniger offene Konkurrenz, seit kurzem verschärft durch neu gekommene Billigstanbieter wie Hahn und Zweibrücken in der Pfalz, die sich auf aufgelassenen Militärflughäfen der Amerikaner etabliert haben. Hier besteht eindeutiger Überbesatz, die Zusammenarbeit in einem koordinierten "Airpôle" bleibt Fiktion.

Abbildung 20:

Lage der Städte im Saar-Lor-Lux-Raum

 

 

 

 

 

 


Quelle: Diercke-Atlas, Ausg. 1996, S. 22

 

Werfen wir schließlich einen Blick auf die Großstädte, die räumlichen Angelpunkte der Wirtschaft. Jede hat ihren eigenen Charakter und Wirkungskreis: Kaiserslautern [5] , im äußersten Osten der Grenzregion, wird von deren Problemen nur randlich betroffen. Noch mehr gilt dies für Nancy [6] : die Südlothringen beherrschende Ewig-Konkurrentin hat zwar Metz [7] größenmäßig überholt (nicht zuletzt infolge der Abwanderung aus Metz nach der Annexion 1871), sie liegt jedoch weitab vom eigentlichen Grenzsaum. Demgegenüber hat Metz Vorteile als Regionalhauptstadt Lothringens sowie durch seine relativ zentrale Lage im Saar-Lor-Lux Raum im Kreuz der Autobahnen Lyon-Luxemburg und Mannheim-Paris. Trier [8] leidet zwar unter seinem doppelt nachteiligen Standort im strukturschwachen Eifel-Hunsrück-Raum und an der Peripherie Deutschlands, bekommt aber ebenfalls durch seine zentralere Lage in der Region eine gewisse Aufwertung. Günstig gelegen sind auch Saarbrücken, das Zentrum des saarländischen Ballungsraumes mit Einfluss weit nach Frankreich hinein, und Luxemburg, eine Mischung aus Kleinstaat-Hauptstadt, Gerade-soeben-Großstadt, Europa-Zentrum und Bankenmetropole. Bezeichnend ist, dass sich die relativ benachbarten Städte Metz, Trier, Saarbrücken [9] und Luxemburg [10] in der Kernregion Ende 2000 zu einer engeren Kooperation unter dem Label "QuattroPole [11] " entschlossen haben.

So interessant und bereichernd diese Städte und auch die Mittelzentren sein mögen, es mangelt auf diesem Niveau an optimalen Verkehrsverbindungen, Kontakten und Vernetzung. Negativ wirkt sich auch die schon erwähnte uralte Intimfeindschaft zwischen den Regionalmetropolen Nancy und Metz aus. Zu alledem herrscht ein auffälliges Übergewicht an regionalen Zentren in der Nordhälfte Lothringens, gegenüber dem ziemlich isolierten Nancy im Süden. Dazwischen erstrecken sich weite ländliche, dünn bis sehr dünn besiedelte Räume.

Zweifellos ist die heterogene Struktur des Städtesystems für das Zusammenwachsen der Region ein Nachteil. Mancher mag das Fehlen einer dominierenden, zusammenschweißenden regionalen Metropole bedauern. Aber warum eigentlich? Erstens kann man eine solche nicht planen, und zweitens muss man sich fragen, ob sie überhaupt sinnvoll bzw. wünschenswert wäre. Denn sie könnte sich zwangsläufig nur in Frankreich oder in Deutschland entwickeln - und dann käme es sicherlich erneut zu räumlichen Disparitäten und potenziellen Spannungen. Sollte man deshalb mit dem derzeitigen Städtemuster nicht recht zufrieden sein?