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'Entwicklung des Konzepts Kulturpolitik'
 
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Entwicklung des Konzepts Kulturpolitik

Seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich in Deutschland wie in Frankreich die Grundkonzepte der Kulturpolitik in zwei Schüben. Eine erste Phase, die bis in die sechziger Jahre reicht und als Periode des Wiederaufbaus bezeichnet werden kann, konzentrierte sich vor allem auf Bildung und Ausbildung.

Sie führt zu einer Erweiterung des Kulturbegriffs. Seine denkmalpflegerische Dimension, die in der Erhaltung von Kulturgütern der Vergangenheit besteht, wird durch eine neue Aufmerksamkeit ergänzt, die sich auf kulturelle Breitenwirkung (Musik, Buch, Kunst, auch Film) richtet und damit den schöpferischen Akt in der Gesellschaft ernst nimmt. Der Staat bekundet hierdurch sein Bestreben, es jedem Bürger zu ermöglichen, seine "kulturellen Bedürfnisse" zu erfüllen und sogar eine persönliche "Kreativität" zu entwickeln (siehe Bundesraumordnungsgesetz [1] ). Die Entwicklung einer Vielzahl kultureller Veranstaltungen, der Ausbau der Bibliotheken und sogar das, was man in Frankreich "Lesepolitik" nennen wird, sind Ausdruck für diesen Willen des Staates, die persönliche kulturelle Entwicklung der Bürger aktiv zu unterstützen, um dadurch insbesondere seine immer notwendigere Weiterbildung und sein berufliches Fortkommen zu fördern.

Diese Periode steht in der Bundesrepublik Deutschland im Zeichen des Kalten Krieges. Der Wille, vor allem den Konsens zu erhalten, führt zu einer gewissen Dumpfheit des kulturellen Lebens, das weithin zersplittert und provinziell bleibt.

In dieser Hinsicht bildete West-Berlin, das als kulturelles Schaufenster des Westens dienen sollte, eine Ausnahme. Trotz der damaligen Armut der Stadt wurden zahlreiche Institutionen für Theater, Musik und bildende Künste geschaffen; Stipendienprogramme für ausländische Künstler und Schriftsteller, interkulturelle Festivals wie Horizonte machten aus Berlin einen Sonderfall westdeutscher Kulturpolitik. Dies lag nicht zuletzt daran, dass es um internationale Politik ging und die Gegenwart der Vereinigten Staaten (und in geringerem Maße auch die der anderen Besatzungsmächte) aktiv hierzu beitrug.

Abbildung 4: 

In der deutschen Kulturszene nimmt Berlin eine Sonderstellung ein. Insbesondere in der Zeit des Kalten Krieges galt Westberlin als eine Art Schaufenster des Westens.

 

Internet-Quelle [2]

In den Jahren des raschen westlichen Wirtschaftswachstums verliert seit den sechziger Jahren der Kalte Krieg an Bedeutung, wenn auch Berlin weiterhin eine herausragende politische und kulturelle Rolle in der Ost-West-Auseinandersetzung bis zum Mauerfall1989 spielte. In Frankreich zerfällt nach dem Ende der Kolonialkriege im Jahre 1962 nach und nach der Solidaritätsblock, der sich seit dem Krieg um die kommunistische Partei und ihre Intellektuellen gebildet hatte.

Dies ist der Zeitpunkt, wo erstmals auf staatlicher Ebene eine organisierte erweiterte Kulturpolitik wirksam wird. Die offizielle französische Kulturpolitik setzt mit der Schaffung eines Kulturministeriums im Jahre 1959 ein. Zwar gab es ständig polemische Auseinandersetzungen zum Thema Elitekultur versus Demokratisierung, ohne dass aber die Linke und die Rechte klare Gegensätze aufbauen konnten, zu tief geht der grundlegende nationale Konsens.

Die Schaffung der" Kulturhäuser" in zahlreichen Städten durch André Malraux [3] und schon die bloße Tatsache, dass ein großer Schriftsteller zum Minister berufen worden war, bestärkten nur die lange Tradition, die aus der Kultur ein konstituierendes Element für das politische Leben Frankreichs und damit eine Regierungsaufgabe macht, die auch Malrauxs Nachfolger kontinuierlich ausbauten.

Abbildung 5:

André Malraux, Schriftsteller und Kulturminister Frankreichs von 1959 bis 1969, zählt zu den Leitfiguren einer auf staatlicher Ebene organisierten Kulturpolitik in unserem Nachbarland.

 

 

 

Internet-Quelle [4]

Die unmittelbar politische Bedeutung des Kulturministeriums erreichte in den achtziger Jahren mit Jack Lang [5] und seinem Team einen neuen Höhepunkt. Er erreichte eine erhebliche Aufstockung der Haushaltsmittel, die bei einem Prozent des gesamten Staatsbudgets kulminierten: diese Zahl gilt seitdem als symbolischer Maßstab für das Engagement der jeweiligen Regierung im kulturellen Bereich.

Eine neue Generation, die die Kriege nicht mehr erlebt hat und statt dessen im Aufschwung der Konsumgesellschaft groß geworden ist, inszeniert 1968 einen neuen revolutionären Aufbruch, der sich wesentlich auf Kultur bezieht, und zerbricht den Konsens, der sich scheinbar etabliert hatte. Ihre Beziehungen zum Staat, der als Repräsentant einer für sie unbefriedigenden Gesellschaft gilt, werden immer gespannter; er soll in seiner Kulturpolitik den kreativen Kräften einen größeren Spielraum einräumen. Der Staat wird also in die kulturellen Inhalte nicht eingreifen; die verschiedenen Minister werden bestrebt sein, die Rolle der Kulturschaffenden zu erleichtern, nicht sie zu steuern. Als Konsens wird von nun an das Ergebnis der aufeinanderstoßenden kulturellen Widersprüche angesehen, nicht mehr das Vorherrschen einer Richtung, die jeweils die Gunst der staatlichen Institutionen genießt. In dieser Hinsicht gibt es auch bei Regierungswechseln keine nennenswerten Kurskorrekturen.

In den achtziger Jahren erlebte man überall in Europa eine sich bis heute verstärkende Verlagerung des Kulturbegriffs selbst. Das Wirtschaftswunder der sechziger Jahre hatte den massenhaften Wohnungsbau und die Ausstattung der Haushalte mit technischem Gerät ermöglicht. In den achtziger Jahren nahm die Freizeit massiv zu. Dies führte zu einem Aufschwung der Kulturindustrien [6] und der Freizeitunternehmen, deren Erfolg heftige intellektuelle Reaktionen auslöste. Alternative Kulturinstitutionen wurden in allen Bereichen geschaffen. Das Unverständnis eines breiteren Publikums gegenüber diesen oft als provokativ und elitär empfundenen Veranstaltungen macht öffentliche Kulturpolitik keineswegs einfacher.

Abbildung 6:

Alternative Kunst und Kulturinstitutionen finden nicht immer die Zustimmung eines breiteren Publikums, sondern werden oft auch als Provokation empfunden.

 

Internet-Quelle [7]

In Deutschland überlässt die föderalistische Struktur des Staates die kulturelle Kompetenz weiterhin vor allem den Ländern und Gemeinden, Vereinen aller Art und Religionsgemeinschaften und damit schließlich mehr dem Individuum als dem Staat. Hieraus ergibt sich eine höchst pragmatische lokale Weiterentwicklung von Kulturpolitik, die weniger problematisiert wird als in Frankreich.

Aber auch in Frankreich führt die seit Anfang der achtziger Jahre begonnene Regionalisierung zu einer erheblichen Verlagerung der für Kultur bestimmten Haushaltsmittel auf die Ebene der Regionen [8] , der Departements und der Gemeinden.

Doch behält der Staat über die Schaffung finanzieller Anreize weiterhin erheblichen administrativen Einfluss über die verschiedenen Abteilungen des Kulturministeriums. Da die über eine angeblich "offizielle Kunst" oder Umstellung noch keineswegs abgeschlossen ist, geht die Auseinandersetzung mit den Anhängern des Zentralismus weiter, die diesem die Verantwortung zuschreiben, eine Universalität und Unparteilichkeit zu gewährleisten, die viele für bedroht halten, wenn die Entscheidungen auf lokaler Ebene gefällt werden.

In den letzten Jahren tobt eine recht heftige Diskussion über "Staatsästhetik", die die Anhänger eines sich auf jakobinische Traditionen berufenden Zentralismus und die Verfechter eines kulturellen Liberalismus, die mehr auf private Initiative setzen, aufeinanderprallen lässt. Erhebliche Verwirrung entsteht daraus, dass diese Auseinandersetzung um die Grundprinzipien des republikanischen Staates mit einer im eigentlichen Sinne ästhetischen Debatte verknüpft ist, die um so spezielle Fragen wie Gegenständlichkeit kreist. Anders als manche vorgeben, lässt sich feststellen, dass die in den achtziger Jahren vollzogene Vermehrung der öffentlichen Institutionen mit Zuständigkeiten für Kunst die Voraussetzungen für einen faktischen Pluralismus unter staatlicher Obhut geschaffen hat.

Abbildung 7:

Seit einigen Jahrzehnten lässt sich in Frankreich eine deutliche Vermehrung der öffentlichen Institutionen mit Zuständigkeiten für Kunst und Kultur feststellen. Die Ausgaben für die Kultur belaufen sich auf rund 11,43 Milliarden Euro, die zur Hälfte vom Staat und zur Hälfte von den Gebietskörperschaften aufgebracht werden. Die französischen Privathaushalte gaben im Jahr 2000 durchschnittlich 1.021,41 Euro jährlich für Kultur, Freizeit, Sport und Spiele aus; das sind 3,5% ihres Budgets.

Internet-Quelle

In Deutschland hat in den neuen Bundesländern die Vereinigung von 1990 auch im kulturellen Bereich ganz neue Verhältnisse geschaffen. Eine völlige Umorganisation ist sowohl im Theaterbereich wie in der Kunstszene und im Verlagswesen im Gange. Der Umgang mit dezentralisierter Vielfalt, aber auch die Notwendigkeit, unter liberalen Voraussetzungen mit den spezifischen Bedingungen des Kulturmarktes zurecht zu kommen, stellt ganz ungewohnte Herausforderungen und führt bei manchen zu resignierter Ratlosigkeit. Dramatische soziale und politische Folgen hat der Zusammenbruch der staatlich betriebenen Kultur- und Jugendhäuser. Mit der politischen Einbindung in das totalitäre System sind auch die Instrumente verlorengegangen, die vielen Jugendlichen und Erwachsenen Beschäftigung, Unterhaltung und soziale Kontakte gewährten. Kultureller Neuaufbau in den neuen Bundesländern muss sowohl die repräsentative und alternative wie auch die Breitenkultur umfassen. Auch hier ist Aktivierung der lokalen kulturellen Kräfte die wichtigste Aufgabe. Manche Länder, wie Sachsen, das wesentliche kulturelle Kompetenzen einer Kulturstiftung [9] übertragen hat, gehen hier durchaus innovative Wege.

Im Westen wie im Osten und auch in Frankreich sind die öffentlichen und privaten Mittel zur Kulturfinanzierung erheblich zurückgegangen. Viele Institutionen sind in ihrem Bestand gefährdet oder können kaum mehr neue Initiativen ergreifen. Nach den Jahrzehnten des Wachstums muss Kultur sich auf magere Jahre einstellen. Dies bedeutet neue Herausforderungen für alle, die kulturell aktiv sein wollen, und auch für die weiterhin so unterschiedliche Kulturpolitik beider Länder.