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'Quantitativer Befund'
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Quantitativer Befund
Ist die uns mittlerweile schon wieder recht ferne Zeit des "Reichslandes Elsaß-Lothringen" heute kein Thema mehr? Dass dem nicht so ist, scheint eine Reihe von Monographien, die in den letzten Jahren zu verschiedenen Aspekten der Reichslandzeit erschienen sind (siehe Literaturverzeichnis), zu beweisen. Dennoch drängt sich bei eingehender Beschäftigung mit der Materie doch der Eindruck auf, dass heute der Geschichte des Reichslandes insgesamt weder in Deutschland noch in Frankreich ein allzu hoher Stellenwert eingeräumt wird. Das Thema Elsass und Lothringen scheint beiderseits des Rheins deutlich an Faszination verloren zu haben.
Bezeichnend für die letzten Jahre ist die geringe Anzahl an Zeitschriftenartikeln und die Tatsache, dass keine Kontroverse, kein nennenswerter Schlagabtausch auszumachen ist, wie dies noch in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in einer Debatte in der Historischen Zeitschrift um die von LIPGENS aufgeworfene Frage, ob Bismarck die deutsche Presse 1870/71 im Hinblick auf die Annexionsfrage manipuliert habe, sehr wohl der Fall gewesen ist. Obwohl das ehemalige Reichsland heute wieder komplett zum französischen Staatsgebiet gehört, ist auch in Frankreich für das letzte Vierteljahrhundert keine intensive landesweite historische Auseinandersetzung mit der Elsass und Lothringen-Frage zu erkennen. Eine in Zeitschriften ausgetragene Debatte fehlt hier ebenfalls.
Auch das Jahr 1996 mit der 125jährigen Wiederkehr der Proklamation des Deutschen Reiches in Versailles und der Annexion des Elsass und Lothringens ist nicht zum Anlass genommen worden, diesem Umstand entgegenzuwirken; im Gegenteil scheint das Jubiläum an der deutschen wie auch an der französischen Historikerzunft fast spurlos vorüber gegangen zu sein. Somit gilt bemerkenswerter Weise noch immer, was HIERY vor nunmehr 15 Jahren schrieb: [2]
"Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Gros der deutschen Geschichtswissenschaftler die Reichslandszeit Elsaß-Lothringens - eine fast fünfzigjährige Epoche - links liegen[ge]lassen und sich mehr mit der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und besonders mit der nationalsozialistischen Okkupation dieses Landes beschäftigt."
Und weiter, in Bezug auf die bereits erwähnte Kontroverse, die zwischen LIPGENS, BECKER, GALL und KOLB in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre vor allem in der Historischen Zeitschrift ausgetragen wurde: [3]
"Nur um die Frage der Annexion von Elsaß-Lothringen und der Stellung Bismarcks hierzu wurde eine zum Teil äußerst heftige Diskussion mit zum Teil ebenso heftigen Urteilen geführt."
Bezeichnend für den tendenziell eher geringen Stellenwert der Thematik ist auch, dass ein für unser Thema sicherlich interessanter Abriss über die Annexion des Elsass und Lothringens in der neuesten Geschichtsschreibung 1996 nicht etwa in Deutschland oder Frankreich, sondern in Polen erschienen (und nicht in deutscher Übersetzung verfügbar) ist. [4]
Die Einschätzung von VON ARETIN, die Reichslandzeit sei lange Zeit über von der Forschung gemieden worden, seit den 1970er Jahren finde sie aber "zunehmend Interesse", [5] ist daher nur teilweise richtig: Die Titel, die sie aufführt, sind mehrheitlich von Elsässern verfasst und gehören eher in die Kategorie Regionalgeschichtsschreibung. Nun stimmt es sicherlich, dass innerhalb der elsässischen Historiographie die Zeit von 1871 bis 1918 zunehmend an Interesse gewonnen hat (auch viele der im Literaturverzeichnis genannten französischen Beiträge stammen von Elsässern). Trotzdem oder gerade deshalb steht dies in einem umgekehrten Verhältnis zur Beschäftigung der zeitgenössischen deutschen und französischen National- und Politikgeschichtsschreibung insgesamt mit der Reichsland-Problematik.
Erhellend ist auch, dass ULLMANN in seiner Untersuchung über "Politik im deutschen Kaiserreich 1871-1918" Elsass und Lothringen zwar in seinem enzyklopädischen Überblick dreimal ganz kurz erwähnt; [6] im Teil "Grundprobleme und Tendenzen der Forschung" erscheint das Reichsland jedoch nicht mit einem Wort!