- Kulturelle und territoriale Vielfalt bis zum Zeitalter der Revolution
- Einführung - Zur Geschichte der Hugenotten in Frankreich und deren Flucht ins "Alte Reich"
- Zur Aufnahme der Hugenotten: Die erste Generation der "réfugiés" zwischen Ablehnung und Anerkennung
- Zur gelungenen Akkulturation der Hugenotten im 18. Jahrhundert: Die Nachkommen der "réfugiés" als französische Kulturträger und preußische Patrioten
- Zur Geschichte der Hugenotten und ihrer Bilder im 19. und 20. Jahrhundert: Zwischen den "besten Deutschen" und den "rassisch" guten Deutschen
- Resümee: Wandel und Kontinuitäten hugenottischer Identitäten
- Quellenverzeichnis
- Migrationen und kultureller Austausch seit 1815
- Wirtschaftliche Migration, politisches Exil und soziale Kritik: Deutsche in Paris im 19. Jahrhundert
- Minderheiten, Immigranten und Integration in Frankreich
- Einwanderung und Probleme der Integration in Deutschland seit 1960
- Laizität und Religionen im heutigen Frankreich
- Gesellschaftsvergleiche
- Das Jahr 1968 und die Folgen
- Begegnungen im Alltag
'Didaktisch-methodische Hinweise für den Unterricht'
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Didaktisch-methodische Hinweise für den Unterricht
(Gerhard Schneider [1] )
I. "Die Hugenotten" sind heute kein Unterrichtsgegenstand, der in den Rahmenrichtlinien der deutschen Länder besondere Bedeutung hätte. Kaum dass die Hugenotten in den Geschichtslehrbüchern noch Erwähnung finden. In dem wohl verbreitetsten deutschen Geschichtslehrbuch für Gymnasien ("Das Geschichtsbuch 2 - Neue Ausgabe", Cornelsen-Verlag, Berlin) wird auf sie im Kapitel "Der Calvinismus" mit acht Zeilen hingewiesen (S. 62). Etwas weiter unten werden "die Kämpfe zwischen Hugenotten und Guisen" am Ende des 16. Jahrhundert erwähnt und in paraphrasierender Form vier wesentliche Bestimmungen des Edikts von Nantes (1598) wiedergegeben (S. 65). Unter der Überschrift "Der Staat greift überall ein" - das Gesamtkapitel ist dem Thema "Frankreich: Ein Modell für Europa" gewidmet - wird recht knapp beschrieben, aus welchen Gründen es in Frankreich zur "Einschränkung der Religionsfreiheit" (so die Überschrift des Unterkapitels) kam und welche Auswirkungen die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 auf die Hugenotten hatte: Verbot des Rechts auf freie Religionsausübung mit der Konsequenz, dass mehr als 200 000 Hugenotten ihr Heimatland verließen (S. 83). Weder werden die Aufnahmeländer genannt, noch erfahren die Schülerinnen und Schüler etwas über die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die die Hugenotten dort vorfanden. Auch der langsame Prozess der Integration und der Assimilation wird nicht erwähnt. Andere Geschichtslehrbücher sind kaum ausführlicher, allenfalls dass dort noch auf die Bedeutung der einwandernden Hugenotten für den Aufbau bestimmter einheimischer Industriezweige hingewiesen wird (z.B. ANNO 2, Westermann-Verlag, Braunschweig).
Fast noch desolater ist das Ergebnis einer Durchsicht der Geschichtslehrbücher für die gymnasiale Oberstufe, wo die Erwähnung der Hugenotten einem bloßen name dropping gleichkommt (s. etwa: Geschichte und Geschehen I - Oberstufe, Ausgabe A, Klett-Verlag, Stuttgart). Etwas ausführlicher ist die Darstellung der Hugenotten in einem Geschichtslehrbuch (Geschichte und Geschehen Niedersachsen G2, Klett-Verlag, Stuttgart), das sich zwar ganz allgemein "Geschichtliches Unterrichtswerk für die Sekundarstufe I" nennt, dort aber wohl auch in Realschulklassen verwendet werden kann und soll. "Hugenotten in Deutschland - Warum verlassen Menschen ihre Heimat?" (S.116-119) ist das entsprechende Kapitel überschrieben, das sehr viel mehr Informationen enthält als die oben genannten Gymnasiallehrbücher und das sehr viel anschaulicher - teilweise aus der Sicht von Emigranten - die Motive der Glaubensflüchtlinge, ihre Aufnahme in Deutschland und die Entstehung von Hugenottenstädten (hier: Pfalzburg) darstellt.
Angesichts dieser doch eher unbefriedigenden Berücksichtigung der Hugenotten in deutschen Rahmenrichtlinien für Geschichte und in Geschichtslehrbüchern wird man davon ausgehen müssen, dass das Thema in den Schulen - wenn überhaupt - nur eine sehr unzureichende, verkürzte Behandlung findet. Man muss angesichts dieser Sachlage befürchten, dass Schülerinnen und Schüler nach Abschluss des Schuljahrs, in der die Hugenotten angesprochen werden, erst recht aber nach Abschluss ihrer Schulzeit kaum noch etwas über die Hugenotten wissen. Die wissenschaftliche Darstellung von Frau Fuhrich-Grubert und das von ihr bereitgestellte Material kann hier Abhilfe schaffen.
II. Das Thema "Hugenotten" kann im Geschichtsunterricht als Beispiel für die erzwungene Auswanderung von Menschen über Grenzen hinweg unterrichtet werden. Hier kann gezeigt werden, wie religiöse Unduldsamkeit, begleitet von materieller Not und politischer Unterdrückung, die davon Betroffenen zu Entscheidungen veranlasst, die ihre Lebenssituation grundlegend verändert und die sie gar den Verlust des Lebens in Kauf nehmen lässt. Hier handelt es sich überdies um ein Unterrichtsthema, das Lehrer und Schüler in die Lage versetzt, historisch-politische Sachverhalte der Gegenwart - also etwa aktuelle Migrationsprozesse, Fremdenfeindlichkeit, Probleme der Akkulturation, Integration und Assimilation, kulturelle und ethnische Identität u.a. - in historischer Perspektive zu beleuchten. Man wird das Thema "Die Hugenotten" also nicht in erster Linie als ein Ereignis der Vergangenheit behandeln, sondern es in seiner Bedeutung für das Verständnis von Gegenwartsphänomenen zu würdigen haben. Die Beschäftigung mit dem Thema "Hugenotten" mag Schülerinnen und Schülern dazu verhelfen, sich mit den gegenwärtigen Problemen der Migration rationaler auseinanderzusetzen, als dies ohne die historischen Kenntnisse geschehen würde. Auch wenn die Wanderungsströme im heutigen Europa nicht durch Verfolgung aus Glaubensgründen ausgelöst werden, so kann die Beschäftigung mit den Hugenotten doch auch Einsichten vermitteln, die bei der Einschätzung der Gegenwartsphänomene hilfreich sein können:
- die Bereitschaft, Toleranz zu üben,
- den Immigranten die Integration zu erleichtern, auch indem ihnen Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entfaltung eröffnet werden
- ihnen, wenn sie es wünschen, die Wahrung ihrer Kultur zu ermöglichen (vor allem dann, wenn eine Rückwanderung nicht ausgeschlossen ist),
- das Verständnis für die Beweggründe der Flucht oder Emigration anzubahnen,
- den Beitrag, den die Fremden und das Fremde für unsere Gesellschaft bedeuten können, als Bereicherung unserer Kultur zu erkennen und zu akzeptieren.
Dieser letztgenannte Gesichtspunkt kann durch die Beschäftigung mit den Hugenotten eine historische Untermauerung erfahren. Nicht nur in der Literatur haben Hugenottenabkömmlinge Großes zur deutschen Kultur beigetragen (Friedrich de la Motte Fouqué [1777-1843], Willibald Alexis [1798-1871], Theodor Fontane [1819-1898]); auch in anderen Disziplinen finden wir herausragende Nachkommen der Glaubensflüchtlinge: der Physiologe Emil DuBois-Reymond, die Gelehrtenfamilie Erman mit dem Historiker Jean-Pierre Erman, dem Physiker Paul Erman und dem Ägyptologen Adolf Erman. Zu erwähnen wären hier die hugenottischen Buchhändler und Verleger, die das geistige Leben Berlins und Preußens bereicherten, und auch das berühmte Französische Gymnasium in Berlin, auf dem nicht nur Hugenottenkinder ausgebildet wurden, sondern etwa auch Kurt Tucholsky und Maximilian Harden.
III. Die Geschichte der Hugenotten in Deutschland, also die Epoche der Integration und Assimilation, die mit der Ankunft der Glaubensflüchtlinge in verschiedenen deutschen Territorien begann, ließe sich auch bei einer anderen Schwerpunkt- und Zielsetzung betrachten, dann nämlich, wenn das Lernziel "Fremdverstehen", wenn also der Gegensatz "wir und die anderen" im Vordergrund stehen soll. Der Beitrag von Frau Fuhrich-Grubert zeigt, mit welchen Schwierigkeiten die Hugenotten bei ihrer Ankunft in Deutschland zu kämpfen hatten. Gegenüber der Eigengruppe, also den Preußen oder Hessen, waren die Hugenotten die Fremden, die anderen. Am historischen Material könnte auf bi- oder multiperspektivische Weise gezeigt werden, auf welche Fremdheiten die Hugenotten trafen und wie die Preußen oder Hessen ihrerseits mit den ihnen fremden, anderssprachigen Franzosen umgingen. Aus der biographischen Sicht der je anderen lassen sich das Erstaunen der Ankömmlinge wie der Einwohner feststellen und die wechselseitige Fremdheit geradezu mit Händen greifen. Mit Rollenspielen kann diese Situation besonders eindringlich dargestellt und in Erfahrung gebracht werden. Spätere Zeugnisse beider Gruppen ermöglichen es den Schülerinnen und Schülern, den Fortgang der Integration hin bis zur vollständigen Assimilation nachzuvollziehen.
IV. Ferner wäre es denkbar, in einem fächerübergreifenden Unterrichtsprojekt (Geschichte/Religion/Ethik) das Schicksal der Hugenotten im Kontext mit dem Los und den Erfahrungen anderer Glaubensflüchtlinge zu erforschen: also etwa mit den Waldensern in Württemberg und Hessen, den Salzburger und Zillertaler Exulanten, den Pilgrim Fathers, vielleicht auch mit der Vertreibung der Jesuiten aus Lateinamerika im 18. Jahrhundert. Es wäre dann im Unterricht zu klären,
- inwieweit sich die Probleme, die zur Massenauswanderung der genannten Bevölkerungsgruppen geführt haben, überall gleich gewesen sind oder unterschiedliche Ursachen hatten,
- mit welcher Begründung eine bestimmte Bevölkerungsgruppe von der Obrigkeit unterdrückt und deren Vertreibung provoziert bzw. hingenommen wurde und wie sich die jeweilige Mehrheitsbevölkerung gegenüber den diskriminierten Gruppen verhielt,
- was für die Emigranten den Ausschlag gegeben hat, bestimmte Länder als Ziel ihrer Flucht zu wählen und - umgekehrt - welche Gründe die Aufnahmeländer hatten, die Flüchtlinge aufzunehmen,
- ob die Integration der Flüchtlinge in den Aufnahmeländern gelang und warum dieser Prozess ggf. so lange dauerte,
- ob Flucht bzw. Vertreibung aus Glaubensgründen heute noch vorkommen und inwieweit sich diese gegenüber früher grundsätzlich unterscheiden.
Ein Projekt könnte mit dem Besuch des Deutschen Hugenotten-Museums in Bad Karlshafen (Hessen), des Hugenotten-Museums Berlin im Französischen Dom am Gendarmenmarkt oder den entsprechenden Abteilungen in verschiedenen Stadtmuseen (Erlangen, Friedrichsdorf, Hofgeismar, Neu Isenburg) abgeschlossen werden (s. den Vorschlag zur Nutzung des Museums in Bad Karlshafen und das Verzeichnis der Museen in Praxis Geschichte, Heft 3/1992, S. 56-58). Dieser Besuch sollte zur Vertiefung und Veranschaulichung des Gelernten beitragen.