French
German
 
Seite zur Sammlung hinzufügen
'Antiamerikanische Strömungen'
 
1 Seite(n) in der Sammlung
 
 
 
 
 

Antiamerikanische Strömungen

Gewiss hat es jedenfalls seit den sechziger Jahren eine Art außerparlamentarischen Antiamerikanismus gegeben, und ohne den Vietnam-Krieg wäre die Entwicklung einer Ulrike Meinhof zum Terrorismus nicht zu erklären. Aber das Dogma der Parteien und Regierungen war die Solidarität mit dem als voll positiv aufgefassten Amerika, was auch zu Missdeutungen führen mochte. So hieß es z.B nach dem 11. September 2001 in Deutschland sofort: «Artikel 5 des NATO-Vertrags verpflichtet uns dazu, sofort, wenn verlangt, militärischen Beistand zu leisten». De Gaulle ist in der politischen Struktur der Allianz geblieben, eben weil der Art. 5 nur sagt, dass der Beistand darin besteht, dass «jede von ihnen (die Parteien des Paktes) unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung der Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet…». (zum Originaltext des Vertrags [1] )

Es besteht eine ständige Befürchtung, von und aus den USA kritisiert zu werden, vor allem im Namen der Hitler-Vergangenheit. Der Blick von drüben enthält mehr Argwohn und Anklage als der aus Frankreich. Der «Holocaust-Unterricht» als einzige Aufklärung über die jüngste deutsche Geschichte und Gegenwart – in den meisten colleges wird auf diese Art ein negatives Deutschland-Bild gepflegt. Man fühlt sich ständig verpflichtet, sich zu rechtfertigen. Mitunter überlässt man sogar die Überlieferung der Vergangenheit einem Amerikaner. So geht es mit dem Inhalt (nicht mit der ergreifenden Architektur!) des jüdischen Museums in Berlin, in dem das deutsche Judentum im XIX. Jahrhundert nur der guten Stube entspringen darf. Börne [2] ist kaum anwesend, Karl Marx und Rosa Luxemburg überhaupt nicht. Vergeblich sucht auch der wache Besucher nach Edith Stein [3] , obwohl ja der Papst immer wieder hervorgehoben hat, dass die katholische Heilige als Jüdin ermordet worden ist.

Es trifft sich, dass die Beziehung zu Amerika nicht zu trennen ist von der zu Israel. Nach der Friedenspreisrede von Martin Walser fragte der israelische Botschafter in der FAZ, was eigentlich die Keule sein sollte, von der der Preisträger gesprochen hatte. Ich antwortete im Deutschen Fernsehen, diese Keule würde jedesmal von Israel geschwungen, wenn ein Deutscher Israel kritisierte. Seit einiger Zeit – schon vor dem Irak-Krieg, während des Krieges und seitdem – sollte in Deutschland wie in Frankreich ständig betont werden, dass die Kritik an Bush ebenso wenig Antiamerikanismus impliziert wie die Kritik an Scharon Antisemitismus. Beide legen wenig Wert auf das Völkerrecht. Im April 2003 habe ich diese Wirklichkeit in einem Le Monde-Artikel näher beschrieben, den ich «Les hors-la-loi» (in modernen Deutsch «Die outlaws») betitelt hatte. Israel – dank einer UNO-Resolution entstandener Staat – hat seit 1967 ständig UNO-Resolutionen ignoriert, insofern diese nicht vor dem Votum einem amerikanischen Veto erlegen waren; es zerstückelt die besetzten Gebiete und fühlt sich frei zu entscheiden, wer getötet werden soll und welche Häuser zu zerstören sind. Recht und Gesetz sind im Namen der Bekämpfung des Terrorismus ausgeschaltet. Als könnte man von den Einwohnern der «Gebiete» und von Gaza verlangen, Mitgefühl mit den Opfern der Attentate zu haben, wenn ihnen jedes Mitgefühl für ihre tragische Lage verweigert wird!

George Bush seinerseits hat die Irak-Intervention lange vor der diese nicht rechtfertigenden Resolution beschlossen. Die USA ziehen sich immer mehr aus der sogenannten «internationalen Völkergemeinschaft» zurück, ob es nun um Umweltschutz geht oder um AIDS-Medikamente für Afrika oder um den Internationalen Strafgerichtshof. Entspricht es den internationalen Regeln, wenn die amerikanische Regierung im Juli 2003 einundfünfzig Staaten mit Sanktionen droht, falls sie sich weigern, ein Abkommen zu unterschreiben, das auf die Gerichtsbarkeit (Straffälligkeit) der amerikanischen Soldaten verzichtet? Besonders schlimm ist der Umgang mit den Gefangenen auf Guantanamo, von denen man nicht wissen darf, wofür jeder von ihnen eingekerkert ist und die keine Außenkontakte (weder mit Familien noch Anwälten) haben dürfen. Inwieweit sie gefoltert worden sind, darf nicht untersucht werden.

Abbildung 3:

Kriege und militärische Interventionen der USA 1945-2002

 

 

 

 

Internet-Quelle [4]

Erstaunlich ist, dass zunächst in Amerika, dann in Deutschland, bedeutende Jura-Professoren und Schriftsteller, die ihr Leben lang für das internationale Recht eingetreten waren, seit dem Irak-Krieg dem amerikanischen Präsidenten die Macht zugestehen, das «alte» Recht beiseite zu schieben und ein neues zu schaffen. Begründung: das Ziel des Angriffs sei ja die Herstellung der freiheitlichen Demokratie im Irak gewesen. Vielleicht war es eine der Absichten. Aber sollte da nicht klargestellt werden, dass Saudi-Arabien auch keine Demokratie kennt und am Terror-Anschlag (des 11. September) stärker beteiligt war als der Irak? Und auch, dass in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts die Vereinigten Staaten nicht selten interveniert haben, um Demokratien durch Diktaturen zu ersetzen. So z.B. 1954 in Guatemala, so vor allem an einem anderen 11. September, nämlich 1973, als mit der Unterstützung von Henry Kissinger Salvador Allende gestürzt und durch den grausamen General Pinochet ersetzt wurde? Dass sich in der Betrachtung solcher Fakten einiges in Deutschland verändert hat, mag durch die Tatsache belegt werden, dass im Oktober 2003 der Friedenspeis des deutschen Buchhandels in der Paulskirche an die Amerika-kritische Amerikanerin Susan Sontag überreicht wurde.