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'Die Intensivierung wirtschaftlicher Verflechtungen '
 
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Die Intensivierung wirtschaftlicher Verflechtungen

Insgesamt war die Bereitschaft, neue politische Wege im Verhältnis zu Österreich-Ungarn einzuschlagen und dieses gegebenenfalls gleichsam ins Schlepptau zu nehmen, unterschwellig stark; die Besorgnis über die zunehmende Schwächung der Stellung des Deutschtums, die nun auch die amtliche Politik zu beeinflussen begann, tat ein Weiteres, um hier eine Änderung der Einstellungen anzubahnen. Die Neigung, Österreich-Ungarn stärker in den Orbit des deutschen politischen Systems hineinzuziehen und zugleich in die eigenen imperialistischen Zukunftspläne einzubeziehen, erhielt dann einen zusätzlichen Schub mit dem Übergang zu einer aktiven deutschen Orientpolitik, die mit Hilfe der Bagdadbahn [1] eine systematische "pénétration pacifique" des Osmanischen Reiches betrieb und zunehmend auch den Balkan als ein viel versprechendes Gebiet für einen deutschen informellen Imperialismus entdeckte.

Abbildung 11:

Kaum ein Projekt hat vor dem Ersten Weltkrieg die Gemüter so erregt wie die Bagdadbahn, die vom Bahnhof Haidarpascha im asiatischen Teil Istanbuls bis an den Persischen Golf führen sollte, letztlich aber eine durchgehende Verbindung von Hamburg über Berlin, Wien, Sofia und Istanbul bis zum Persischen Golf darstellte.

Internet-Quelle (Abb.1)
[2]

Internet-Quelle (Abb.2)
[3]

Dennoch kann von einer ernsthaften Mitteleuropapolitik des Deutschen Reiches vor 1914 nicht die Rede sein. Ökonomisch war die deutsche Wirtschaft in hohem Maße auf den Weltmarkt hin orientiert; weder der Balkan noch de Orient figurierten in den Exportbilanzen des deutschen Außenhandels sonderlich hoch, und ebenso stand es mit dem Kapitalexport. Allein im Osmanischen Reich fanden sich, zufolge der Bagdadbahn, vor 1914 signifikante Investitionen mit steigender Tendenz. Österreich-Ungarn hingegen spielte einstweilen eher die Rolle eines ökonomischen "backwaters", seine wirtschaftliche Bedeutung war nicht hoch genug, um ein besonderes Interesse der deutschen Wirtschaftskreise, wie es späterhin die Mitteleuropapläne vinkulierten, auf sich zu ziehen.

Dennoch kam der erste, massive Vorstoß für eine grundlegende Änderung der deutschen Politik in Richtung auf Mitteleuropa aus wirtschaftlichen Kreisen, freilich signifikanterweise von einem Elektroindustriellen, Walther Rathenau [4]  von der AEG, die ja für ihre weltweiten Aktivitäten, die sich auf industrielle Ausrüstungen der öffentlichen Hände, insbesondere der Kommunen, spezialisierten, in besonderem Maß auf flankierende Unterstützung der staatlichen Politik angewiesen war. Im Jahre 1913 trat Walther Rathenau mit einer Philippika an die Öffentlichkeit, in der er darlegte, dass Deutschland bei der Aufteilung der Welt zu spät gekommen und "die Zeit der großen Erwerbungen" für Deutschland "verpasst" sei. Andererseits sei der Besitz überseeischer Ressourcen und Rohstoffquellen für alle fortgeschrittenen Industriestaaten unabdingbar notwendig. Unter den obwaltenden Umständen bestehe für das Deutsche Reich jedoch keine Möglichkeit, diese Lage auf gewaltsamem Wege zu verändern oder aber durch die Abkehr von der gegenwärtigen, im Interesse der Landwirtschaft betriebenen Hochschutzzollpolitik die Chancen für die deutsche Exportwirtschaft zu verbessern. Auf längere Sicht sei Amerika der lachende Dritte angesichts der gegenwärtigen Hochschutzzollpolitik der europäischen Mächte; es sei die eigentliche Zukunftsgefahr auch für die deutsche wirtschaftliche Weltstellung, der es beizeiten zu begegnen gelte. "Es bleibt eine letzte Möglichkeit: die Erstrebung eines mitteleuropäischen Zollvereins, dem sich wohl oder übel, über lang oder kurz die westlichen Staaten anschließen würden. ... Die Aufgabe, den Ländern unserer europäischen Zone die wirtschaftliche Freizügigkeit zu schaffen, ist schwer; unlösbar ist sie nicht. Handelsgesetzgebungen sind auszugleichen, Syndikate zu entschädigen, für fiskalische Zolleinnahmen ist Aufteilung und für ihre Ausfälle Ersatz zu schaffen; aber das Ziel würde eine wirtschaftliche Einheit schaffen, die der amerikanischen ebenbürtig, vielleicht überlegen wäre, und innerhalb des Bandes würde es zurückgebliebene, stockende und unproduktive Landesteile nicht mehr geben. ... Gleichzeitig aber wäre dem nationalistischen Hass der Nationen der schärfste Stachel genommen. ... Was die Nationen hindert, einander zu vertrauen, sich aufeinander zu stützen, ihre Besitztümer und Kräfte wechselseitig mitzuteilen und zu genießen, sind nur mittelbar Fragen der Macht, des Imperialismus und der Expansion: im Kern sind es Fragen der Wirtschaft. Verschmilzt die Wirtschaft Europas zur Gemeinschaft, und das wird früher geschehen als wir denken, so verschmilzt auch die Politik .. ," (19)

Abbildung 12:

Werbeplakat der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft Berlin. Der Berliner Unternehmer Emil Rathenau (1838-1915) erkannte frühzeitig die Zukunftschancen der Elektrotechnik. Er erwarb 1881 die Lizenz auf die Edison-Patente und gründete 1883 die Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Electricität, aus der 1887 die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) hervorging. Das Selbstbewußtsein des rasch expandierenden Unternehmens, das auch die ersten leistungsfähigen Kraftwerke außerhalb der USA baute und betrieb, kommt eindrucksvoll in dem von Louis Schmidt 1888 gestalteten Werbeplakat zum Ausdruck. Sein Zentrum bildet die Göttin des Lichtes, die über der Weltkugel auf einem geflügelten Rad, Symbol des technischen Siegeszuges (und ursprünglich der Eisenbahn), thront.

Internet-Quelle [5]

Dieses bemerkenswert weitsichtige Plädoyer für eine grundlegende Änderung der Strategie und Zielsetzung der deutschen Weltpolitik betrachtete die Begründung eines mitteleuropäischen Zoll- und Wirtschaftsverbunds nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zu dem Zweck, einen eigenständigen europäischen Wirtschaftsraum ins Leben zu rufen, der jenem der Vereinigten Staaten vergleichbar, weit weniger abhängig von dem überseeischen Handel sein würde und vor allem die Voraussetzungen für ein stetiges wirtschaftliches Wachstum legen werde. Implizit plädierte Rathenau dafür, den Schwerpunkt der deutschen Weltpolitik hinfort auf den südosteuropäischen Raum zu verlagern und sich dabei in erster Linie der Methoden eines informellen Imperialismus zu bedienen, welcher zudem die Chance in sich berge, mittelfristig zu einer Verständigung unter den europäischen Völkern zu gelangen. Andere Zeitgenossen waren handfester und zugleich weit direkter in ihren Zielvorstellungen. Graf Albrecht zu Stolberg-Wernigerode trug dem Staatssekretär des Innern von Delbrück im Februar 1914 die Frage vor, ob es nicht jetzt an der Zeit sei, mit Österreich "und anschließend daran" mit "Rumänien, Albanien, und eventuell auch" der "Türkei einen Zollverein" zu bilden, der als Unterpfand einer Vereinigung aller Deutschen und nichtslawischen Elemente dienen könnte, "als Bollwerk gegen das Vordringen der Slawen, gegen die neue Völkerwanderung" (20). Hier war ein anderer, aggressiver Ton angeschlagen, der sich gegen die südslawischen Völker des Balkans richtete und indirekt gegen das zaristische Russland als deren angeblichen Protektor.

Schon in diesen Vorkriegsäußerungen wird deutlich, dass die Mitteleuropaidee in jener Zeit in Deutschland einen überwiegend instrumentalen Sinn besaß, nämlich der Einbeziehung Österreich-Ungarns und der restlichen den Mittelmächten nahe stehenden Balkanvölker sowie der Türkei in eine politische Kombination, die zum Ersten gegen Russland und die slawischen Staaten des Balkans gerichtet war und zum Zweiten eine Rückendeckung für die deutsche Orientpolitik im Osmanischen Reich abgeben sollte. Noch stärker in diese letztere Richtung wiesen Ernst Jäckhs und Paul Rohrbachs Artikel in der von ihnen 1913 gegründeten Zeitschrift Das größere Deutschland, mit welcher sie, wie Rohrbach späterhin einräumte, das deutsche Volk für den kommenden großen Krieg mit Russland und Frankreich um die Weltstellung Deutschlands vorbereiten wollten. Vor 1914 aber war ernstlich an eine grundlegende Rückwendung der Stoßrichtung der deutschen Weltpolitik nach Südosten nicht zu denken; die Wege der deutschen Diplomatie waren zu eingefahren. Vor allem aber war die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft nach Übersee viel zu groß und ihre Position in den Weltmärkten viel zu bedeutsam, in der Tat stärker als je zuvor, als dass sie sich auf das unsichere Experiment der Konzentration auf einen neuen mitteleuropäischen Wirtschaftsraum hätte einlassen können.

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Anmerkungen

19. Walther Rathenau, Gesammelte Schriften in fünf Bänden, Bd. l, Berlin 1918, S. 276-278.

20. Schreiben an Delbrück vom 12. 2. 1914, zit. bei Reinhard Opitz, Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945. Köln 1977. S. 208 f.