- Die Sicht des jeweils Anderen: das Eigene und das Fremde
- Der deutsch-französische Krieg 1870/71
- Der Erste Weltkrieg
- Der Erste Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis der Deutschen und der Franzosen
- Der Friedensvertrag von Versailles. Eine Bilanz
- Frankreich und Deutschland im Zweitem Weltkrieg
- Französische Zwangsarbeiter in Deutschland 1940-45
- Deutschland und Frankreich 1944/45
- Die Besatzungszeit
- Die Montanunion
- Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen durch Charles de Gaulle und Konrad Adenauer
- Personen
- Quellen
- Deutsch-französische Beziehungen 1945-2000
- Vierzig Jahre Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR
- Vive la République! Marianne als deutsch-demokratischer Mythos im Satiremagazin Eulenspiegel
'Mitterrands Rede'
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Aus der Rede des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand am 20. Januar 1983 vor dem Deutschen Bundestag zum 20. Jahrestag des deutsch-französischen Vertrages
"Wer hätte sich nach so langen Kämpfen vorstellen können, daß in diesem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts Deutschland und Frankreich zusammentreffen, nicht um den Jahrestag einer Schlacht, eines Waffenstillstandes oder eines Friedensvertrages zu begehen, sondern um eines Tages zu gedenken, an dem Versöhnung geschlossen wurde. Wieviel Zeit, wieviel Anstrengungen sind aufgebracht worden, wie viele Menschen haben ihr Leben verloren bei Auseinandersetzungen, die mal von der einen, mal von der anderen Seite gewonnen wurden, vergängliche Siege, die den Sieger dazu verdammten, auf Blut aufzubauen, und den Besiegten, von der Zeit der Rache zu träumen. Es gab Kriege zwischen Völkern, die in Bewegung waren, die auf der Suche waren nach den verschiedensten Zielen - Religionskriege, Herrenkriege, Bruderkriege, Massenkriege, Bürgerkriege. Die größten Grausamkeiten barbarischer Diktaturen waren nötig, ein besetztes Frankreich, ein zerrissenes Deutschland, ein verwüstetes, geteiltes, ausgelaugtes Europa, damit der gemeinsame Wille der Europäer entstand, vor allem der gemeinsame Wille der Deutschen und der Franzosen, all dies zu überwinden.
Man fragt sich nun, weshalb es früher so regelmäßig das Unglück zwischen unseren Völkern gegeben hat, das unsere Völker schließlich durch einen tief im Bewußtsein verankerten Haß getrennt hat. Sie, Herr Präsident, haben das Wort von der Erbfeindschaft gebraucht. Aber auch in den schlimmsten Tagen gab es doch ein bemerkenswertes Gegengewicht: Die besten unserer schöpferischen Menschen, unserer Künstler haben nie aufgehört, aufeinander zu reagieren und einen fast einmaligen Dialog zu schaffen, voller Zerrissenheit, voller späterer Beschwichtigungen, aber immer voll entscheidender Bedeutung. Sollen wir hier den Dialog der Schatten führen? Den Dialog der berühmten Toten, die Ihre wie unsere Geschichte prägen? Ich möchte an dieser Stelle nur Victor Hugo zitieren, der 1842 von Deutschland und Frankreich gesprochen hat und der den Begriff innigster Verbindung, ja sogar Blutsverwandtschaft benutzt hat und der hinzufügte, daß die Verbindung zwischen Deutschland und Frankreich der Welt den Frieden brächte. Ich könnte hier sehr viele andere Beispiele aufführen, viele fruchtbare Formen der Auseinandersetzung, die über die schlimmsten Augenblicke siegen würden. Aber es gibt keinen Bereich, wo das Schaffen in Frankreich so fruchtbar gewesen wäre, wenn nicht gleichzeitig deutscher Geist diese Entwicklung bestimmt hätte, und das gilt auch für die Entwicklung in Deutschland und den Beitrag Frankreichs dazu. [...]
Es gibt kein vorbestimmtes Schicksal, und unsere Völker wissen sehr wohl, daß sie heute im Frieden das wertvollste aller Güter haben, nachdem ihre Eltern, ihre Großeltern so häufig an der Front, in den Schützengräben, im Widerstand, in den Lagern, in den Befreiungsarmeen davon geträumt haben, daß Frankreich und Deutschland sich irgendwann einmal gegenseitig achten und zu einem guten Einvernehmen finden würden. Aus diesem Traum ist dann der Völkerbund hervorgegangen und später die Vereinten Nationen. Und die Nachwelt wird sich daran erinnern, daß unsere Konflikte zu Institutionen geführt haben, zu Schutzmechanismen, zu Friedenssicherungsmaßnahmen. Und wenn auch noch viel zu tun bleibt, so ist aus dieser Auseinandersetzung zumindest die Vorstellung einer organisierten Welt entstanden. [...]
Nachdem wir das traurige Beispiel von Nachbarvölkern gegeben haben, die sich gegenseitig zerfleischten, können wir heute statt dessen eine Harmonie feiern, die jetzt mehr als 30 Jahre besteht, einen Vertrag, der seit 20 Jahren besteht und der überall in unserer bedrohten und zerrissenen Welt als Beispiel dienen kann."
20 Jahre deutsch-französische Zusammenarbeit, Bonn: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 1983, S. 11-15